Kaum ein Land investiert so viel in die eigene Gesundheit – und erzielt dabei so durchschnittliche Ergebnisse: In ihrem aktuellen Gesundheitsbericht „Health at a Glance 2025“ hält die OECD Deutschland den Spiegel vor. Ohne mehr Effizienz, Prävention und klare Zuständigkeiten, das lässt sich aus den Befunden herauslesen, droht das System an seiner eigenen Komplexität und Bürokratie zu scheitern.

Deutlich wird das vor allem an den steigenden Gesundheitsausgaben. Im Schnitt gaben die OECD-Staaten zuletzt 9,3 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit aus – vor der Pandemie waren es 8,8 Prozent. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung aller Mitgliedsländer entspricht das rund 400 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Gesundheitsausgaben pro Jahr gegenüber dem Vor-Corona-Niveau.

In Deutschland sind die Kosten besonders hoch: Mit 12,3 Prozent des BIP liegt das Land im internationalen Vergleich mittlerweile auf Rang zwei – hinter den USA, aber noch vor der Schweiz. Das entspricht kaufkraftbereinigt jährlichen Gesundheitsausgaben von etwa 9365 Dollar pro Kopf. Zum Vergleich: 2019 waren es noch rund 6000 Dollar – ein Anstieg um etwa 36 Prozent.

Der hohe Mitteleinsatz spiegelt sich in einer dichten medizinischen Infrastruktur. Mit 7,7 Krankenhausbetten je 1000 Einwohner liegt Deutschland weit über dem OECD-Durchschnitt von 4,2 – kein anderes Land in Europa hat eine derart hohe Bettendichte. Und auch im weltweiten Vergleich liegen nur Japan und Südkorea mit jeweils 12 bis 13 Betten noch vor Deutschland.

Deutschland hat zu wenig Hausärzte

Auch bei der Versorgung mit Pflegekräften und Ärzten steht die Bundesrepublik gut da. Mit 12,2 Pflegekräften und 4,7 praktizierenden Ärzten je 1000 Einwohner liegt sie deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Allerdings weist die OECD darauf hin, dass nur etwa ein Viertel der Mediziner hierzulande Hausärzte sind – das System ist also stark spezialistenlastig.

Für Experten ist das gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Länder mit einem hohen Facharztanteil – etwa Deutschland, Griechenland oder Japan – haben laut OECD bis zu 30 Prozent höhere Pro-Kopf-Kosten als Staaten mit starkem Fokus auf Hausärzte. Spezialistensysteme führen häufiger zu Doppeluntersuchungen und zu dem, was Gesundheitsökonomen „unkoordinierte Behandlungspfade“ nennen. Gemeint ist damit, dass Patienten ohne klare Steuerung von einem Facharzt zum nächsten wechseln und Behandlungen sich dadurch doppeln oder verzögern.

Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken will hier Abhilfe schaffen. Sie plant, die Rolle der Hausärzte zu stärken und die Koordination im System zu verbessern. Hausärzte sollen finanziell besser gestellt, Apotheken stärker eingebunden und digitale Patientenakten, die in den Praxen bereits verpflichtend eingeführt wurden, weiter ausgebaut werden. Die OECD hält ein solches „Gatekeeping-System“ für eine der wirksamsten Maßnahmen, um Kosten zu senken und Qualität zu steigern.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt sich auch an den Ergebnissen. Denn der enorme finanzielle Aufwand, den Deutschland im Gesundheitswesen betreibt, schlägt sich nicht im selben Maße in der Versorgungsqualität nieder, wie das angesichts der Milliardenausgaben zu erwarten wäre.

Ein Gradmesser ist die Zahl der vermeidbaren Krankenhauseinweisungen, also Fälle, die eigentlich ambulant behandelt werden könnten, aber dennoch in der Klinik landen. Dazu gehören etwa Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Asthma oder Herzinsuffizienz. Deutschland liegt in allen drei Bereichen deutlich über dem OECD-Durchschnitt – teilweise um 50 bis 70 Prozent.

Bei der Lebenserwartung keineswegs Spitze

Trotz der hohen Ausgaben rangiert Deutschland auch bei der durchschnittlichen Lebenserwartung keineswegs an der Spitze. Sie beträgt 81,1 Jahre und entspricht damit dem OECD-Durchschnitt. Spanien kommt sogar auf 84 Jahre – obwohl das Land gemessen am BIP deutlich weniger in sein Gesundheitssystem investiert. „Bei dem hohen Mitteleinsatz in Deutschland würde man sich insgesamt bessere Ergebnisse wünschen“, konstatiert OECD-Gesundheitsexperte Michael Müller.

Ein Beispiel, bei dem Deutschland stark heraussticht, sind die Hüftgelenks-Operationen. Sie gehören zu den häufigsten planbaren Eingriffen bei älteren Menschen. Mit 351 Eingriffen pro 100.000 Einwohner liegt Deutschland hier an der Spitze, fast 70 Prozent über dem OECD-Durchschnitt. Die OECD interpretiert den hohen Wert nicht automatisch als Zeichen von Überversorgung – verweist aber darauf, dass die Häufigkeit solcher Operationen stärker vom Versorgungssystem und von Vergütungsanreizen abhängt als vom tatsächlichen medizinischen Bedarf.

Deutschlands Gesundheitswesen bleibt damit ein Paradox: weltweit führend in Ausstattung und Kosten – aber nur Mittelmaß bei den Ergebnissen. Die OECD mahnt daher, dass mehr Geld allein die Versorgung nicht verbessert. Entscheidend seien klare Zuständigkeiten, digitale Vernetzung und eine stärkere Prävention. Mit anderen Worten: Nur wenn Ressourcen gezielter eingesetzt werden, könnte sich der enorme finanzielle Aufwand künftig auch tatsächlich in messbar besserer Gesundheit niederschlagen.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Anja Ettel ist Korrespondentin für Wirtschaft und Finanzen in Frankfurt und Co-Host des Börsen-Podcasts „Alles auf Aktien“. Sie berichtet unter anderem über die Chemie- und Pharmaindustrie sowie über Geldpolitik und Finanzmärkte.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke