An einem Morgen im September steigen in der Ukraine mehrere Drohnen auf. Ihr Ziel: das Herz der russischen Wirtschaft. Sie überqueren die Grenze und fliegen Richtung Osten, rund 1200 Kilometer weit, über Wälder, Steppen und die Wolga bis an den Rand der Stadt Salawat. Dort schlagen sie in eine Raffinerie des Unternehmens Gazprom ein. Teile der Anlage gehen in Flammen auf, Satellitenfotos zeigen nach dem Angriff dichten schwarzen Rauch. Es war ein Rückschlag für Wladimir Putin – und zwei weitere sollten folgen.

Die Raffinerie von Salawat verwandelt Öl in Benzin und Diesel und so in Geld für Putins Krieg gegen die Ukraine. In den vergangenen Jahren sorgte die Produktion fossiler Brennstoffe Analysten zufolge für 30 Prozent aller russischen Staatseinnahmen – vielleicht mehr. Keine andere Geldquelle ist so wichtig für Putin. Die Ressourcen, ohne die unsere moderne Welt nicht funktioniert, sind sein großer Schatz.

Aber nun hat der Machthaber ein Problem. Noch nie seit dem Überfall auf die Ukraine verkaufte Russland so wenig Öl und Gas wie im September. Dem finnischen Forschungsinstitut Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) zufolge sanken die Einnahmen aus dem Export der Brennstoffe auf 546 Millionen Euro pro Tag. Das klingt noch immer nach viel Geld – könnte sich für Putin aber als Desaster erweisen.

Vor allem der Handel mit Ölprodukten scheint zu kollabieren. Der Export von Benzin brach um fast 70 Prozent ein, wie bisher unveröffentlichte CREA-Daten zeigen, die WELT vorliegen. Treibstoff für Schiffe: minus 35 Prozent. Diesel: minus elf Prozent. Naphtha, wichtig für die Herstellung von Kunststoffen und Chemikalien: minus drei Prozent. All diese Zahlen dürften bedeuten, dass die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine schwieriger wird.

„Der deutliche Rückgang der russischen Exporte von Ölprodukten ist hauptsächlich auf die Drohnenangriffe der Ukraine zurückzuführen“, sagt der CREA-Experte Petras Katinas. Es gebe nun Engpässe in Russland, was die Regierung dazu veranlasst habe, die Ausfuhr von Benzin und Diesel einzuschränken.

Die Ukraine attackierte in diesem Jahr so viele russische Raffinieren wie nie zuvor. Zwischen Kaliningrad und Kamtschatka stellen rund 40 große Anlagen Benzin und Diesel her. Etwa die Hälfte davon, heißt es in Militärkreisen, sei schon getroffen worden. So wie jene am Rand der Stadt Salawat.

Kampf gegen Schattentanker

Weniger Öl bedeutet weniger Krieg – so lautet das Kalkül des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Die Sanktionen, die am schnellsten wirken“, sagte er kürzlich, „sind die Brände in Russlands Raffinerien.“ Drohnenangriffe sollen den Strom der Rohstoffe in andere Weltregionen unterbrechen und so die Einnahmen des Kremls schmälern. Größter Abnehmer war im September China, das Land kaufte fast die Hälfte aller russischen Rohölexporte. Die meisten Ölprodukte – 26 Prozent – gingen an die Türkei.

Ukrainische Drohnen sind aber nicht Putins einziges Problem. Auch neue Sanktionen bedrohen sein lukratives Geschäft mit den Rohstoffen. Die Europäische Union (EU) beschloss vor wenigen Tagen zum ersten Mal ein Importverbot für russisches Flüssiggas. Es soll ab dem Jahr 2027 gelten. Die verbleibenden Abnehmer – Spanien, Portugal, Belgien, Frankreich und die Niederlande – können sich dann auf höhere Gewalt berufen und langfristige Lieferverträge kündigen.

Zudem geht Brüssel stärker gegen Putins Schattentanker vor. Ihre Kapitäne fahren russische Rohstoffe illegal in die Welt hinaus, ohne Papiere und ohne Transponder. Sie umgehen damit einen im Jahr 2022 beschlossenen Preisdeckel, nach dem Schiffe, die bei europäischen Firmen versichert sind, kein russisches Öl transportieren dürfen – außer es kostet weniger als 47,60 Dollar je Fass.

Die Logik hinter dem Preisdeckel ist simpel: Russland soll Rohstoffe verkaufen können, damit sie auf dem Weltmarkt verfügbar sind. Aber zu Summen, die dem Kreml nicht allzu viele Einnahmen bringen. Kürzlich listete Brüssel weitere 117 Schiffe als Schattentanker und erhöhte die Gesamtzahl damit auf 557. Ihnen ist das Ansteuern europäischer Häfen verboten. Rückschlag Nummer zwei für Putin.

Die russische Wirtschaft, so scheint es, spürt all das schon. Im Oktober senkte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr von 0,9 auf 0,6 Prozent. 2024 hatte das Plus bei 4,3 Prozent gelegen.

Und es könnte noch schlimmer kommen. Denn Putins drittes Problem hat der IWF noch gar nicht berücksichtigt: Donald Trump. Nach langem Zögern kündigte der US-Präsident gerade Sanktionen gegen die beiden größten russischen Ölkonzerne an, Rosneft und Lukoil. Ihre Vermögenswerte in den Vereinigten Staaten sollen eingefroren werden. Zudem dürfen amerikanische Unternehmen keine Geschäfte mehr mit ihnen machen.

„Die US-Sanktionen gegen Rosneft und Lukoil könnten die Exporte von Ölprodukten weiter einschränken“, sagt der CREA-Experte Katinas. „Aber bestimmte Ausnahmen drohen die unmittelbaren Auswirkungen abzumildern.“ So hofft etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, dass er bei einem Treffen mit Trump in den kommenden Tagen das OK für weitere Öl- und Gas-Importe aus Russland erhält.

Trotzdem kommen mehrere dramatische Entwicklungen auf Putin zu. Und keine davon kann er kontrollieren. Es scheint sich so etwas wie der perfekte Sturm zusammenzubrauen: Die Ukraine greift vermehrt russische Raffinerien an, Europa verbannt russische Öltanker und russisches Flüssiggas, Amerika verhängt erstmals Sanktionen gegen russische Ölkonzerne. Ob all das den Verlauf des Krieges ändern kann, dürfte sich in den kommenden Monaten zeigen.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU. Zuvor war er US-Korrespondent in New York.

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