Deutschlands vierter Mobilfunknetzbetreiber steht vor einer Zäsur. Ende 2023 startete 1&1 den öffentlichen Betrieb seines eigenen Netzes, bis Ende dieses Jahres muss das Unternehmen seine Rolle als virtueller Netzbetreiber aufgeben. Ab 2026 gilt: Die zwölf Millionen Kunden sollen deutschlandweit im eigenen Netz versorgt werden – eine Herkulesaufgabe für den Spätzünder am Markt.
Die Fachzeitschrift „CHIP“ hat zusammen mit einem Messtechnik-Partner zehn Tage lang das 1&1-Netz geprüft. Dabei legten zwei Messautos und ein Rucksacksystem über 8100 Kilometer zurück – in 15 Städten, auf Autobahnen, in Fernzügen und zu Fuß in Innenstädten. Das Urteil der Tester fällt gespalten aus: Das Netz sei besser als viele denken, aber bis zum Niveau von Telekom, Vodafone und O2 sei noch viel Arbeit nötig.
1&1 setzt auf einen ambitionierten Ansatz: OpenRAN, eine dezentrale Netzarchitektur, bei der Software dank offener Schnittstellen unabhängig von der Hardware läuft. Das verspricht mehr Flexibilität und langfristig Kosteneinsparungen. An den Antennenstandorten befindet sich keine Hardware zur Signalaufbereitung – stattdessen wird das Funksignal per Glasfaser an kleine Datencenter weitergeleitet. Von geplanten 500 dieser Datencenter stehen bereits mehr als die Hälfte.
Doch der Fußabdruck des modernen Netzes bleibt überschaubar. Rund 1500 aktive Antennenstandorte schätzt „CHIP“ – die Konkurrenz betreibt mehrere Zehntausend. Deswegen ist 1&1 auf ein Roaming-Abkommen mit Vodafone angewiesen, um flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Wo kein 1&1-Standort in Reichweite ist, nutzen Kunden automatisch das Vodafone-Netz.
Abhängig von Vodafone
Die „CHIP“-Messungen belegen eindrücklich, wie abhängig 1&1 noch vom Roaming-Partner ist. Fast 88 Prozent aller Internet-Tests liefen über das Vodafone-Netz, bei Telefonaten lag die Quote sogar über 90 Prozent. Selbst in Städten, in denen 1&1 mit eigenen Standorten vertreten ist, stellt Vodafone-Roaming den Normalfall dar.
Diese Abhängigkeit birgt Tücken, denn die Zuverlässigkeit des Netzes liegt unter den Erwartungen. In Städten wurden nur 98,23 Prozent der Telefonanrufe erfolgreich durchgeführt – ein akzeptables, aber ausbaufähiges Ergebnis. Bei etablierten Netzen liegt dieser Wert bei 99,5 Prozent. Auch bei Datentransfers zeigen sich Schwächen. Die Erfolgsquote beim Download einer zehn Megabyte großen Datei lag bei 99,23 Prozent in den Städten – gut, aber nicht ideal.
Besonders enttäuschend fielen die Messungen in Fernzügen aus. Zwar sind Züge eine bekannte Schwachstelle aller deutschen Mobilfunknetze, doch 1&1 bleibt deutlich hinter den ohnehin niedrigen Erwartungen zurück. Nur 79,8 Prozent der Datei-Downloads waren erfolgreich, Test-Webseiten konnten lediglich in 92 Prozent der Fälle aufgerufen werden. Zwischen Nürnberg und Frankfurt sowie von Frankfurt nach Berlin registrierten die Experten besonders viele Fehler – vermutlich verursacht durch Interferenzen und Paketverluste im Zusammenspiel mit dem Vodafone-Roaming.
Bei der Performance kann 1&1 immerhin mithalten, erreicht aber keine Bestwerte. In 97,2 Prozent aller Messungen direkt im 1&1-Netz lagen die Download-Geschwindigkeiten über fünf Megabit pro Sekunde – ausreichend für HD-Video-Streaming. Mit Vodafone-Roaming waren es 98,7 Prozent. Der Abstand vergrößert sich bei höheren Geschwindigkeiten: 75 Prozent der Roaming-Messungen erreichten über 100 Megabit pro Sekunde, im reinen 1&1-Netz nur 58 Prozent.
Das schnellste gemessene Download-Sample lag bei 477 Megabit pro Sekunde. Möglich macht dies das 5G-Funkspektrum auf einem Frequenzband, bei dem 1&1 über 50 Megahertz verfügt. Doch hier liegt auch eine grundsätzliche Schwäche: Das insgesamt nutzbare Funkspektrum ist nicht vergleichbar mit dem der etablierten Wettbewerber – und wird es auch nach geplanten Erweiterungen 2026 nicht sein.
Hoffnung auf Verbesserung
Für 2026 zeichnen sich wichtige Änderungen ab. Ab Januar erhält 1&1 zweimal zehn Megahertz zusätzliches Spektrum bei 2,1 Gigahertz. Zudem soll das bidirektionale Handover eingeführt werden – damit wird nicht nur der Wechsel vom 1&1- ins Vodafone-Netz möglich, sondern auch zurück. Außerdem fordert 1&1 langwelliges Spektrum zwischen 700 und 900 Megahertz von den Konkurrenten ein – Frequenzen, die sich durch hohe Reichweite auszeichnen und für gute Gebäudeversorgung wichtig sind. Telekom, Vodafone und O2 sträuben sich bislang, werden sich aber wohl dem Willen der Bundesnetzagentur beugen müssen.
Die Auflage der Regulierungsbehörde ist klar. Ab Anfang 2026 muss 1&1 mindestens 25 Prozent der Bevölkerung ohne Roaming versorgen können. Aufgrund der erwarteten Neuerungen verzichtet „CHIP“ nach eigenen Angaben in diesem Jahr darauf, 1&1 in den großen Netzvergleich aufzunehmen – die Kundenerfahrung dürfte sich in den kommenden Monaten deutlich verändern.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“.
Thomas Heuzeroth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Verbraucher- und Technologiethemen, Unterhaltungselektronik und Telekommunikation.
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