Eine neue Bescheidenheit wird sichtbar beim Hausbau. In Zeiten von Ressourcenknappheit, hohen Baukosten und Klimakrise hat offenbar auch bei besserverdienenden Häuslebauern ein Umdenken eingesetzt. Die frei stehende Villa im Grünen mit 300 Quadratmetern Wohnfläche für zwei Personen plus Doppelgarage gilt nicht mehr als repräsentativ. Wer als modern und zukunftsgewandt dastehen will, übt sich in Bescheidenheit und lässt ökologisch korrekt bauen. Und das heißt inzwischen auch: umbauen, kleiner bauen und mit mehr Naturmaterialien.
Die jetzt mit dem Häuser-des-Jahres-Award des Münchener Callwey-Verlags ausgezeichneten Häuser zeigen das deutlich. Wie jedes Jahr wurden im Oktober 50 Einfamilienhäuser in Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz gekürt. Sie zeigen: Die Bauwende ist gekommen.
Die ausgezeichneten Häuser sind oder sehen aus wie umgebaute Scheunen oder Baukörper, die alles sein könnten – nur kein klassisches Einfamilienhaus. Auch ein Umbau wurde ausgezeichnet, zu 70 Prozent bestehend aus recycelten alten Baumaterialien. Die beliebteste, wenn auch teuerste Wohnform der Deutschen, das vom Architekten geplante Einfamilienhaus, protzt nicht mehr mit Pool, Porsche und Platz. Sondern mit Sparsamkeit. Jedenfalls, was die Materialien angeht. Über die tatsächlichen Kaufpreise wollten die Bauherren Stillschweigen bewahren.
Skihütte für zwei Familien
So ging es auch den Bauherren des mit dem ersten Preis ausgezeichneten Hauses, eines Neubaus in Feldkirchen im Speckgürtel von München. Auch hier war Sparsamkeit in Bezug auf den Ressourcenverbrauch entscheidend. An der Fassade sollen künftig blühende Kletterpflanzen empor ranken. Noch sind nur große hölzerne Rankgerüste zu sehen. Doch die lassen hoffen, dass der schlichte Holzbau spätestens im Sommer mehr Ausstrahlung und Lebendigkeit erlangt.
Ein „bemerkenswertes Projekt“ habe das Münchener Architekturbüro Kuntscher Tscherning Architekten und Stadtplaner in Kooperation mit dem ebenfalls in München ansässigen Büro Samsøe Sattler geplant, heißt es in der Laudatio von Jurymitglied Michael Schuster. Lebendig zugehen soll es vor allem im Innern des dreigeschossigen Hauses, das eigentlich gar kein Einfamilienhaus ist, sondern ein Doppelhaus für zwei Familien.
Während der Grundriss der Osthälfte eher konventionell gestaltet ist, wollten die Planer in der westlichen Hälfte auf einer Wohnfläche von 128 Quadratmetern eine offene Wohnlandschaft über drei Ebenen schaffen. Außer im Schlaf- und Badbereich gibt es keine Türen. Für großzügige Ein- und Ausblicke und natürliche Beleuchtung hat man größtenteils auf Trennwände verzichtet zugunsten von semitransparenten bodentiefen Vorhängen, die in Schienen in der Decke geführt werden.
Besonders im Winter mögen sich die Bewohner dieser hybriden Wohnhälfte, gewärmt durch Kaminfeuer und Fußbodenheizung und umgeben vom Duft des rohen Fichtenholzes, wie in einer Skihütte fühlen. In diesem Ambiente mag bei den umweltsensiblen Bewohnern die Bauscham – das Pendant zur Flugscham – gar nicht erst aufkommen. Die Energieversorgung ist vorbildlich ökologisch: Solarpaneele auf dem Dach und die Wallbox in der eingebauten Garage sorgen für grüne Energie.
Bauteilejagd für den Umbau
Besondere Aufmerksamkeit hat auch eins der fünf von der Jury mit einer Auszeichnung bedachten Häuser verdient: das Re:House des jungen österreichischen Architekten Markus Jeschaunig und seiner Agency in Biosphere. Die Aufgabe, ein schlichtes Einfamilienhaus aus den 1950er-Jahren in Premstätten bei Graz für eine dreiköpfige Familie zu sanieren, zu erweitern und heutigen Wohnbedürfnissen anzupassen, hat der Architekt auf außergewöhnliche Weise gelöst.
Um so wenige Ressourcen wie möglich zu verbrauchen, nahmen sich die Bauherren und der Architekt sechs Jahre Zeit. So lange dauerte der Prozess des sogenannten Urban Mining, einer Art Schatzsuche nach nicht mehr genutzten, aber wiederverwertbaren Baumaterialien aus zum Abriss freigegebenen Gebäuden. Und das möglichst aus dem näheren Umfeld der Baustelle, um lange Transportwege zu vermeiden.
Die Ausbeute der Bauteilejäger, zu denen auch Mitarbeiter der Wiener Baustoffagentur Baukarussell gehörten, kann sich sehen lassen: Mehr als 70 Prozent des Materials stammt aus Re-Use-Quellen aus einem Radius von 15 Kilometern um die Baustelle.
Aus einem Siedlungshaus wie aus dem Katalog wurde ein extravagantes Unikat. Und die ursprünglich für den Schredder bestimmten Abbruchmaterialien haben ein zweites Leben bekommen. Sie erzählen auch von der Baugeschichte des Ortes. Da sind etwa die alten Ziegel aus der 400 Meter entfernten, vor Jahrzehnten stillgelegten Ziegelfabrik. Ihre warmen Braun-, Rot- und Schwarztöne machen das sanierte Dach zu einem Hingucker und haben dank ihrer unbearbeiteten Natürlichkeit eine authentischere Ausstrahlung als die heute oft verwendeten Schmutz abweisenden hochglänzenden Industrieschindeln.
Wie es sich für ein echtes Ökohaus gehört, sollte auf Beton mit seiner schlechten CO₂-Bilanz möglichst verzichtet werden. Stattdessen wurden die Wände des Anbaus aus Stampflehm gebaut und die Wände mit Naturlehm verputzt. Dieser konnte praktischerweise aus dem Baugrund gewonnen werden. Und von der Abbruchbaustelle einer stillgelegten Grazer Brauerei von 1890 übernahmen die Bauherren den gesamten hölzernen Dachstuhl sowie noch intakte Glasbausteine.
Stein zu Stein
Zwar kein Unikat im Hinblick auf Ökologie, aber ebenfalls für die Ewigkeit gebaut ist ein Ferienhaus über dem Lago Maggiore: Entstanden aus einer Mischung aus recycelten alten Mauersteinen aus Abbruchgebäuden und neuem, regionalem Granit scheint es mit der umliegenden Felswand aus demselben Stein und dem üppig wuchernden Grün ringsum geradezu zu verschmelzen.
Wie ein Adlerhorst thront das lang gestreckte Haus mit einer Wohnfläche von 160 Quadratmetern am Steilhang oberhalb von Ascona. Das für seine außergewöhnlichen Wohnhäuser berühmte Tessiner Architekturbüro Wespi de Meuron Romeo, oftmals unter den Ausgezeichneten des Häuser-Awards, zeichnet sich auch hier bei Formgebung und Wahl der Materialien durch seine Rücksichtnahme auf den Genius Loci und die Bautraditionen der Region aus.
Ein Ehepaar genießt hier seinen Ruhestand. Bücher oder Fernsehen braucht es dazu wohl nicht mehr. Man muss nur mit seinem Stuhl dem Sonnenverlauf folgen, um ein spannendes Spiel von Licht und Schatten zu erleben. Das alte Bauhaus-Postulat, bei der Raumgestaltung immer die Verlängerung des Raumes nach außen zu berücksichtigen – hier wurde es in Perfektion umgesetzt. Es ist kein Umbau im Bestand. Dennoch ist ein Haus entstanden, das so aussieht, als wäre es immer schon dagewesen.
Das Buch „Häuser des Jahres 2025 – die 50 besten Einfamilienhäuser“ von Johanna Adorján und Eva Maria Herrmann ist im Callwey Verlag, München erschienen und kostet 59,95 Euro.
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