Vier Schlepper drücken und ziehen gegen die Kraft des Windes an, der mit Stärke fünf genau da herkommt, wo die „Wilhelmshaven Express“ hin soll. Auf dem Brückenausleger an Backbord, der linken Schiffsseite, schaut Kapitän Tomasz Michalski fast fünfzig Meter hinunter auf den Terminal. Im Taufzelt der Reederei Hapag-Lloyd warten die Gäste schon darauf, dass der fast 400 Meter lange Containerfrachter festmacht, damit er seinen Namen offiziell bekommen kann, der ja längst schon am Bug und am Heck steht. Nur um einige Hundert Meter muss die „Wilhelmshaven Express“ von ihrem Liegeplatz unter den Containerbrücken weg zum Ort der Taufe hin verholt werden, doch nun dauert es, bis sie Meter um Meter der Kaikante wieder näherkommt.
Schifffahrt ist nie Routine, auch nicht an diesem Tag bei dem scheinbar einfachen Anlegemanöver am Terminal JadeWeserPort in Wilhelmshaven. Der Kapitän und ein Hafenlotse auf der Backbord-Nock koordinieren über Funk geduldig die Bewegungen der Schlepper, während ihnen der Wind den Regen in die signalgelben Jacken drückt.
Der Welthandel ist in den vergangenen Jahren immer weitergewachsen, trotz aller Kriege und Krisen, und immer größer wurden auch die Containerschiffe. Davon zeugt die riesige schwarze Wand der „Wilhelmshaven Express“, die fast 24.000 Containereinheiten (TEU) an Bord nehmen kann und die gemeinsam mit ihren elf „Schwestern“ der „Hamburg Express“-Klasse eines der größten Containerschiffe der Welt ist. Zugenommen haben in den vergangenen Jahren aber auch die Störfaktoren in den ohnehin fragilen globalen Transportketten. Es müssen nicht einmal Piraten in der Malakkastraße oder militante Huthi im Jemen sein, ein Streik von Hafenarbeitern in Hamburg oder von Lotsen in Antwerpen genügt schon, um den Fahrplan eines Container-Linienschiffes durcheinanderzubringen.
Der Vorstand von Hapag-Lloyd entschied deshalb vor einigen Jahren, ein eigenes Netzwerk von Beteiligungen und langfristigen Verträgen aufzubauen, das Unternehmen Hanseatic Global Terminals (HGT). Auf ihren wichtigsten Liniendiensten will Deutschlands größte Reederei so viele Terminals wie möglich anlaufen, deren Arbeit sie wesentlich mitbestimmen oder kontrollieren kann. Obendrein beschloss die Führung der Reederei, eine Allianz mit dem dänischen Maritimkonzern Maersk einzugehen, die seit Februar als „Gemini Cooperation“ am Markt ist und die derzeit nach eigener Aussage die pünktlichsten internationalen Liniendienste anbietet.
Maersk betreibt die zweitgrößte Flotte von Containerschiffen weltweit, Hapag-Lloyd die fünftgrößte. Und APMT, das Schwesterunternehmen von Maersk, hat längst das, was Hapag-Lloyd mit HGT nun aufbaut – ein globales Netz eigener Terminals. „Viele in der Branche waren skeptisch, ob wir 90 Prozent Pünktlichkeit tatsächlich liefern können – doch seit dem Start der Gemini Cooperation im Februar haben wir sie jeden Monat geliefert, das liegt auch über unseren eigenen Erwartungen“, sagt Rolf Habben Jansen, der Vorstandsvorsitzende von Hapag-Lloyd. „Das hat sehr viel damit zu tun, dass wir die Kontrolle über die wichtigsten Drehscheiben im Netzwerk haben, wie zum Beispiel Wilhelmshaven, Tanger in Marokko und künftig auch Damietta in Ägypten.“ Am JadeWeserPort hält Hapag-Lloyd seit dem Jahr 2021 einen Anteil von 30 Prozent, 70 Prozent liegen beim Terminalbetreiber Eurogate.
Lange Zeit hatte Hapag-Lloyd nur eine Beteiligung an einem Containerterminal, 25,1 Prozent am Terminal Altenwerder der HHLA in Hamburg. Die schweren logistischen Verwerfungen während der Pandemie, aber auch die enormen Gewinne, die Hapag-Lloyd wegen der seinerzeit knappen Schiffstonnage erzielen konnte, beschleunigten die Planungen und den Aufbau von HGT. Obwohl das Tochterunternehmen Hanseatic Global Terminals heißt, sitzt es in Rotterdam. An Europas größtem Hafen, so die Überlegung bei Hapag-Lloyd, sei das neue Unternehmen am effektivsten zu vernetzen. Chef von HGT ist der gebürtige Inder Dheeraj Bhatia. Der ist sehr oft unterwegs, um die aktuell international 22 Beteiligungen von HGT an Containerterminals bis zum Jahr 2030 auf 30 Beteiligungen auszubauen – und später vielleicht noch um viele mehr. Zuletzt erwarb HGT im März eine Mehrheitsbeteiligung an einem Containerterminal im Hafen von Le Havre.
„Terminals spielen weiterhin eine zentrale Rolle in den globalen Lieferketten, und ihre strategische Bedeutung wird auch in einer deglobalisierenden Welt kaum abnehmen“, sagt Bhatia. „Im Gegenteil: Terminals könnten sogar noch an Relevanz gewinnen, weil Unternehmen ihre Handelsmuster und Lieferketten anpassen. Wir erwarten deshalb kontinuierliche Investitionen in die Terminalbranche – getragen von strategischen, finanziellen und operativen Überlegungen.“
Hapag-Lloyd war mit HGT spät dran, die Konkurrenz von MSC, CMA CGM oder auch von Cosco betreibt eigene Organisationen von Terminals schon seit Jahrzehnten. Auch die in Hamburg heftig umstrittene Beteiligung des italienischen Maritimkonzerns MSC mit 49,9 Prozent an der Hafenlogistik-Sparte der HHLA folgt dem Ziel, das eigene Netzwerk an Hafenanlagen auszubauen.
Die engeren Verbindungen mit Terminals vergrößern den Spielraum der Linienreedereien erheblich. „Der globale Containertransport hat sich seit dem Jahr 2000 etwa verdreifacht, auf mehr als 700 Millionen TEU im Jahr, die Kapazität der Hafenanlagen hingegen nicht. Hafen- und speziell auch Containerterminals sind eine extrem begrenzte Ressource“, sagt Jan Tiedemann, Senior Analyst beim Branchenfachdienst Alphaliner in Hamburg. „Die Reedereien haben erkannt, dass die Verfügbarkeit von Terminal- und Hafenkapazitäten der nächste große Engpass in der globalen Transportkette ist. Einen neuen Terminal in bestimmten, für die Ladungsströme interessanten Regionen, können sie kurzfristig mit noch so viel Geld nicht bauen, sei es in China, den USA oder Europa – wirtschaftspolitische Gründe im jeweiligen Staat können dagegensprechen, der Umweltschutz, Bürgerinitiativen oder auch schlicht der Mangel an geeigneten Flächen.“
Erst in jüngerer Zeit entschied Hamburgs rot-grüner Senat, die Containerterminals der mehrheitlich städtischen HHLA für Beteiligungen ausländischer Reedereien zu öffnen, zunächst für Cosco am Tollerort, dann von MSC an der HHLA insgesamt. „Diese Entwicklung verschiebt die Machtbalance innerhalb der maritimen Logistik: Reedereien gewinnen zunehmend einen strategischen Handlungsspielraum, ihre Ladungsströme gezielt dorthin zu lenken, wo sich die eigenen Assets befinden – unabhängig davon, was aus Sicht einzelner Häfen oder nationaler Hafenstrategien von Bedeutung wäre“, sagt Jan Ninnemann, Professor an der Hamburg School of Business Administration (HSBA). Ziel der Linienreedereien sei es, „mehr Kontrolle über die gesamte Logistikkette zu gewinnen – von der Seeschifffahrt über Terminals bis hin zu den Hinterlandverkehren“.
Der Unternehmensverband Hafen Hamburg (UVHH) sieht diese Netzwerke überwiegend positiv: „Die Beteiligung von Reedereien an Terminals ist seit vielen Jahrzehnten weltweit geübte Praxis. In der Regel profitieren sowohl die Terminalbetreiber als auch die Reedereien von derartigen Joint Ventures“, sagt Norman Zurke, Hauptgeschäftsführer des UVHH. „Problematisch ist allerdings, dass reedereieigene Terminals in einigen Mitgliedstaaten der EU immer noch steuerlich bevorzugt werden. Wir fordern deshalb seit vielen Jahren eine europaweit einheitliche Besteuerung von reedereieigenen und gemeinschaftlich genutzten Terminals.“
Am JadeWeserPort dominiert an diesem grauen Tag die Farbe Orange, mit den Containern auf der „Wilhelmshaven Express“, auf dem Terminal und auf Güterzügen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Hamburger Unternehmen, an dem Hamburg beteiligt ist, dem einzigen deutschen Tiefwasser-Terminal 13 Jahre nach dessen Eröffnung zum Aufschwung verhilft. Hamburgs Senat wollte sich in den Nullerjahren am geplanten Terminal in Wilhelmshaven beteiligen, entschied sich aber dagegen und redete das ungeliebte Konkurrenzprojekt fortan eher klein. Eine Fusion der Hamburger HHLA und des bremisch-hamburgischen Unternehmens Eurogate bei den norddeutschen Containerterminals kam später ebenfalls nicht zustande. Dann übernahm Hapag-Lloyd die Anteile am JadeWeserPort von Maersk. Beide bringen nun in der Allianz Gemini viel Ladung an die Jade, allein 6300 Boxen werden auf der „Wilhelmshaven Express“ in diesen Tagen gelöscht und geladen, umgerechnet mehr als 11.500 TEU.
Um 12.36 Uhr lässt Taufpatin Wibke Friedrichs-Firmin die Champagnerflasche an der „Wilhelmshaven Express“ zerschellen. Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) schwärmt vom „Durchbruch“ für den JadeWeserPort, erstmals schlägt der Terminal 2025 mehr als eine Million TEU um. Die „Wilhelmshaven Express“, die aus Asien kommt, fährt auf der Linie NE1 weiter nach Bremerhaven und Rotterdam und dann wieder nach Asien. Hamburg laufen die Schiffe der „Hamburg Express“-Klasse seit dem Start der Gemini-Allianz nicht mehr an. Das passt derzeit nicht in das Konzept von Hapag-Lloyd.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die maritime Wirtschaft, über Schifffahrt, Häfen und Werften.
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