Die Techriesen kündigen weitere gigantische Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) an. Doch werden sich diese jemals auszahlen? Die Nervosität wächst. Fondsmanager David Wehner erklärt im Interview mit ntv.de, warum er noch gelassen ist, welche Risiken bestehen und welche Anleger jetzt verkaufen sollten.
ntv.de: Die jüngsten Quartalszahlen mehrerer Techriesen wurden mit Spannung erwartet, am Ende entwickelten sich die Aktien von Meta, Microsoft und Alphabet höchst unterschiedlich. Hat sich bei KI-Aktien nun eine Blase gebildet oder nicht - sind KI-Aktien überteuert?
David Wehner: Wir sind sehr wahrscheinlich auf dem Weg, in den nächsten drei bis fünf Jahren eine Blase zu bilden. Bildlich gesprochen ist vielleicht ein Drittel des Luftballons aufgeblasen. Wir müssen dabei den gesamten KI-Komplex betrachten, von der Energieerzeugung und Rohstoffen über den Aufbau von Rechenzentren und die Chipherstellung bis zur Programmierung von Anwendungen für die Endnutzer.
An welchen Stellen droht ein übertriebenes Aufblähen?
Momentan bilden sich insbesondere beim Aufbau von Rechenzentren langfristig Überkapazitäten, weil die Nachfrage derzeit enorm ist, und wir befinden uns in einem regelrechten Wettrennen zwischen den Plattform-Anbietern. Die Bauaktivitäten haben ein Allzeithoch erreicht, zurzeit werden mehr Rechenzentren gebaut als Bürogebäude. Wenn die KI-Anwendungen in den nächsten Jahren effizienter werden, werden im Lauf der Zeit Überkapazitäten abgebaut werden, auch beim Personal, das zunehmend durch KI-Anwendungen ersetzt wird. Aber wir sind noch nicht an dem Punkt, dass der Gesamtmarkt eine blasenartige Entwicklung nimmt, trotz der massiven Bewertungen von Nvidia, Tesla oder auch der Techriesen.
Wen wird es treffen, wenn die Blase am Ende platzt?
Nicht die großen Unternehmen, sondern wahrscheinlich die kleineren Startups, die auf den Zug aufgesprungen sind und mit viel Geld ausgestattet wurden, aber am Ende die Erwartungen nicht erfüllt haben. Sie werden wieder vom Markt verschwinden. Selbst die großen Plattformanbieter würden in so einem Szenario trotz zurzeit hervorragender Quartalsergebnisse abgestraft, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Meta ist das beste Beispiel. Der Markt sieht die Ausweitung der KI-Investitionen skeptisch.
Warum sind die Anleger hier skeptisch?
Auch weil die KI-Investitionen mittlerweile mit Fremdkapital finanziert werden. Bei der Fülle an Anwendungen - allein bei den Chatbots entwickelt jeder Konzern seinen eigenen - wird es irgendwann zu einer Bereinigung kommen. Wir sind also wahrscheinlich auf dem Weg zu einer Blase, aber noch nicht am Ende. Es wird unter dieser Annahme noch weitere Kurssprünge geben, wir stehen nicht kurz vor einem Platzen - wenn man das Ende einer Blase überhaupt vorher erkennen kann.
Skeptisch macht Analysten zurzeit vor allem die Frage, ob und wann sich die hohen KI-Investitionen der Techriesen auszahlen. Wie lautet Ihre Prognose?
Jeder sucht die potenteste und profitabelste KI, die am Ende andere Unternehmen nutzen sollen. Bemerkenswert sind dabei die Karussellgeschäfte: Unternehmen verstricken sich miteinander. Oracle investiert zum Beispiel in OpenAI, das im Gegenzug in der Oracle-Cloud Anwendungen generieren wird. Auch das führt zu Erwartungen, die sich kaum erfüllen lassen. Allein der benötigte Energiebedarf würde neue Energiequellen erfordern. Die nötigen Ressourcen müssen erst einmal geschaffen werden. In diesem Wettlauf verschulden sich einige Unternehmen massiv. Oracle hat mittlerweile eine Verschuldung gemessen am Eigenkapital von über 500 Prozent, Amazon ist bei knapp 50 Prozent, Microsoft bei 30 Prozent. Auch wir haben Sorge, ob sich diese massiven Investitionen langfristig rechnen.
Von welchen Summen sprechen wir da?
Auch in den Jahren 2026 und 2027 sind weitere Gesamtinvestitionen von jeweils 500 Milliarden Dollar geplant. Das bringt insbesondere bei einer Konzentration auf wenige Unternehmen Probleme mit sich, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. OpenAI bereitet einen Börsengang ab 2027 vor, der den ChatGPT-Entwickler mit bis zu einer Billion Dollar bewerten könnte. Das ist für ein Unternehmen, das bisher kein Geld verdient, mehr als sportlich. Das sind alles Warnzeichen.
Wie gefährlich wäre ein Platzen der sich abzeichnenden Blase?
Es wäre für sich allein genommen kein Riesendrama. Beim Platzen der Dotcom-Blase haben sich Unternehmen durchgesetzt, die heute marktbestimmend sind. Das Thema KI würde nicht sterben, sondern reifer werden, indem Überkapazitäten abgebaut werden - eine Art Darwinismus, am Ende setzt sich der anpassungsfähigste, der effizienteste Anbieter durch. Das haben wir bei allen neuen Technologien erlebt.
Werden die Folgen genauso schwer sein wie beim Platzen der Dotcom-Blase?
Damals wurde nicht nur der Technologiesektor, sondern die gesamte Börse runtergerissen, also auch Unternehmen, die gar nicht von den hohen Bewertungen profitiert hatten. Diesmal dürfte es differenzierter ablaufen, denn die Rally der vergangenen sechs Monate wurde doch zum Großteil von Technologiewerten angetrieben. Ich denke, bei einer KI-Blase wird es ähnlich wie 2021 laufen, als wir eine Art Post-Covid-Liquiditätsblase hatten: Unprofitable Unternehmen mit digitalen Anwendungen für den Alltag zu Hause während der Covid-19-Pandemie wurden im Jahr 2022 massiv abgestraft.
Allerdings verloren nicht nur diese Anbieter massiv an Wert, sondern auch andere Techkonzerne.
Es wurde aber unterschieden: Große Unternehmen wie wie Apple, Microsoft, auch Nvidia fielen um bis zu 40 Prozent, doch Startup-ähnliche Unternehmen verloren fast ihren gesamten Wert. Der Gesamtmarkt fiel um 20 bis 25 Prozent, weil andere Unternehmen, die nicht so von der Rally profitiert hatten, nicht so in Mitleidenschaft gezogen wurden. Solange wir bei der KI keine Kredit-Blase durch Fremdfinanzierungen bekommen, wird ein Platzen eher die Unternehmen stark treffen, die am Anfang stehen und unprofitabel sind. Die großen Plattformbetreiber werden das viel besser überstehen können, auch wenn es bei ihnen ebenfalls zu großen Kursverlusten kommen würde.
Was unterscheidet den KI-Hype noch von der Dotcom-Blase?
Ein Risiko für eine Blase ist, dass nahezu alle Marktteilnehmer total euphorisch und risikobereit sind. Das ist bis hierhin nicht der Fall, viele Investoren sind skeptisch, auch wegen der zunehmenden Verschuldung der KI-Unternehmen, der geopolitischen Risiken und wegen des schwachen Wirtschaftswachstums insbesondere in Europa.
Sollten Anleger dann jetzt noch auf den KI-Hype aufspringen?
Für Investoren, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren, seit OpenAI auf der Bildfläche erschienen ist, nicht im KI-Bereich investiert waren, ist momentan wahrscheinlich nicht der richtige Einstiegszeitpunkt. Denn die Erwartungen wurden nicht nur von den Unternehmen getrieben, sondern auch durch eine laxe Geldpolitik, wir hatten weltweit über 120 Zinssenkungen in diesem Jahr. Sollte sich die geldpolitische Expansion abschwächen, sind die Bewertungen von KI-Unternehmen wegen der erheblichen Investitionen und der Finanzierungskosten kurzfristig wahrscheinlich nicht haltbar. Die Rally kann durchaus noch weitergehen, aber es wäre auch mal Zeit für einen Rücksetzer. Eine Korrektur des Gesamtmarkts von fünf bis zehn Prozent in den nächsten Monaten ist sehr wahrscheinlich.
Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, KI-Aktien zu verkaufen?
Ein Komplettverkauf ist nie eine gute Option, wenn man von einem Sektor langfristig überzeugt ist. Aber es bietet sich an, Gewinne mitzunehmen. Wer 1000 Euro in KI-Aktien investiert hat, die jetzt 2000 Euro wert sind, könnte jetzt seinen Gewinn in Höhe von 1000 Euro realisieren und bei zwei Prozent Zinsen parken, längerfristig in höherverzinsliche Rentenfonds investieren oder in Sektoren investieren, die von einer weiteren Rally profitieren könnten, aber noch unterbewertet sind, wie Rohstoffe oder Energie. Das hängt aber stark von der Risikoneigung des einzelnen Investors ab. Wer mit einem Anlagehorizont von 20 bis 30 Jahre investiert und mit Volatilität umgehen kann, braucht eigentlich nichts zu verkaufen, weil da Schwankungen einkalkuliert sind.
Welche anderen Branchen sind zurzeit vielversprechend?
Unternehmen aus dem reinen und zyklischen Konsumgütersegment wie zum Beispiel Nestle oder Unilever, aber auch im Sportartikelbereich Adidas und Nike - alles Unternehmen, die nicht so stark performt haben in den letzten Jahren. Industrieunternehmen wie Schneider Electric oder Siemens, die im Bereich Energie und Infrastruktur tätig sind, auch Bauunternehmen wie Vinci oder Caterpillar, können interessant sein. Jetzt schon in den breiten Automobilsektor zu investieren, wäre trotz der günstigen Bewertungen etwas gewagter, also etwas für risikogeneigte Investoren.
Und wenn ich einen KI-ETF habe - behalten oder verkaufen?
Einen Sparplan würde ich weiterlaufen lassen, denn ich investiere dabei vor allem in die großen Plattformanbieter. Wenn ich vor zwei Jahren mit meinem ETF einen echten Glücksgriff gelandet habe und der Fonds heute mehr als doppelt so viel wert ist, kann es durchaus sinnvoll sein, ein paar Gewinne zu realisieren. Das hängt sehr davon ab, wie der Investor tickt.
Die Techriesen bleiben aber eine sichere Bank?
Diese Schwergewichte bedienen alle Sektoren des gesamten Technologiespektrums, von Software über Hardware bis zu cloudbasierten Anwendungen etc. Es ist schwer zu prognostizieren, wer sich am Ende bei KI durchsetzt. Vielleicht wird es am Ende keiner von denen. Das beste Beispiel ist ja Nokia - wer hätte Anfang der 2000er gedacht, dass sich Apple am Smartphone-Markt durchsetzt.
Mit David Wehner sprach Christina Lohner
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