Die meisten Lastwagen auf dem Betriebshof der Stadtreinigung Hamburg am Bullerdeich im Stadtteil Hammerbrook fahren noch mit Dieselmotoren. Aber auch erste Müllfahrzeuge mit Elektroantrieb hat das städtische Unternehmen seit 2023 schon in Dienst gestellt. Mit vielen einzelnen Maßnahmen – von der Energieeffizienz der Gebäude bis zum Fuhrpark – will die Stadtreinigung bis zum Jahr 2035 „klimaneutral“ werden.

Der weitaus wichtigste Schritt bei der Verwirklichung dieses Ziels steht in den kommenden Jahren allerdings bei den Hamburger Müllverbrennungsanlagen bevor. Dort will die Stadtreinigung nach einem Pilotversuch die Technologie „Carbon Capture and Storage“ (CCS) installieren. In einem chemischen Verfahren, der sogenannten „Aminwäsche“, wird das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) dabei aus dem Rauchgas separiert, dann verflüssigt und abtransportiert. Auch die Wiederverwertung von CO₂ – CCU genannt – wird künftig eine wichtige Rolle bei der Entsorgung von Treibausgasen bei der Hamburger Müllverbrennung spielen.

„Die CO₂-Emissionen aus den zukünftig drei thermischen Abfallbehandlungsanlagen mit insgesamt einer Million Tonnen Abfalldurchsatz pro Jahr bestimmen   die Klimabilanz der Stadtreinigung Hamburg ganz wesentlich“, sagt Rüdiger Siechau, Sprecher der Geschäftsführung der Stadtreinigung, in der Zentrale des Unternehmens am Bullerdeich. „Insofern kommt einer Reduzierung dieser Emissionen für die angestrebte Klimaneutralität besondere Bedeutung zu.“

Derzeit betreibt Hamburg zwei Müllverbrennungsanlagen, am Rugenberger Damm in Altenwerder und an der Borsigstraße in Billbrook. Bis zur Heizperiode 2026/27 soll zudem das neu gebaute „Zentrum für Ressourcen und Energie“ (ZRE) im Stadtteil Bahrenfeld in Betrieb gehen. Alle drei Anlagen zusammen haben eine jährliche Kapazität zur Verbrennung von einer Million Tonnen Müll – dabei entstehen bis zu einer Million Tonnen Kohlendioxid. Die Anlagen erzeugen aus der Hitze der Verbrennungsprozesse Strom und zudem erhebliche Mengen an Fernwärme.

Die Müllverbrennungsanlage am Rugenberger Damm hat eine jährliche Kapazität von 320.000 Tonnen Müll. „Wir beschäftigen uns seit mehr als zwei Jahren mit dem Thema CCU und CCS an unseren thermischen Abfallbehandlungsanlagen und haben uns hierbei zunächst auf die Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm, die MVR, fokussiert“, sagt Jessica Wilhelm, Leiterin der Stabsstelle für Umwelt- und Klimaschutz. „Zu unserem CCU-Pilotprojekt, ebenfalls an der MVR, sind wir im engen Austausch mit der Umweltbehörde. Im Pilotprojekt wollen wir zunächst kleinere Mengen CO₂ aus dem Rauchgas abscheiden und einen Teil davon Dritten zur Nutzung zur Verfügung stellen.“

Hamburgs Umweltbehörde stuft die Treibhausgase aus der Müllverbrennung als „unvermeidbare Emissionen“ ein. Denn dieses Kohlendioxid kann auch durch moderne technische Prozesse nicht vermieden werden oder durch den Einsatz erneuerbarer Energien bei den Verbrennungsprozessen.

Durch den Klimaschutz werden die Kosten für die Müllentsorgung steigen. Etwa die Hälfe des Kohlenstoffes aus dem Hamburger Müll steckt in nachwachsenden organischen Substanzen, in Holz oder jeder Art von Fleisch-, Obst- und Gemüseresten, in Grünschnitt oder Waldabfällen. Die andere Hälfte stammt aus den fossilen Energien, vor allem aus dem Erdöl, aus dem Kunststoffe gefertigt werden. „Solange die Emissionen nicht abgeschieden werden, zahlen wir für den fossilen Anteil an CO₂ aktuell 55 Euro je Tonne, was die Abfallbehandlung für die Gebührenzahlenden entsprechend verteuert“, sagt Siechau. „Es ist davon auszugehen, dass sich perspektivisch diese CO₂-Abgaben weiter erhöhen und sich den Kosten der CCU/CCS – Technologie annähern werden.“

Die Entsorgung des Kohlendioxids nach der Reinigung des Rauchgases wird dadurch in Zukunft auch wirtschaftlich sinnvoll sein. Hinzu kommt: Im Emissionshandel wird „organisches“ Kohlendioxid günstiger behandelt als „fossiles“, daraus ergeben sich Einnahmechancen für Kommunen. Denn CO₂ aus organischen Substanzen zirkuliert ohnehin bereits – nachwachsende Lebewesen binden Kohlenstoff aus der Atmosphäre.  Wenn zudem auch organisches CO₂ aus der Müllverbrennung mithilfe von CCS und CCU gebunden wird, verbessert das die Klimabilanz zusätzlich.

Besonders wichtig ist die Nachrüstung der Müllverbrennungsanlagen, weil diese Kraftwerke auch für die Hamburger Fernwärme-Versorgung genutzt werden. „Die Stadtreinigung liefert aus ihren thermischen Abfallbehandlungsanlagen rund die Hälfte der Hamburger Fernwärme, die nach gesetzlicher Regelung als klimaneutrale Wärme gilt und den Wärmeversorgungsunternehmen für Hamburger Haushalte zur Verfügung gestellt wird“, sagt Siechau. „Damit ist es zukünftig unsere Aufgabe, und nicht die der Wärmeunternehmen, die im Verbrennungsprozess entstehenden CO₂-Emissionen durch geeignete Technologien zu reduzieren.“

In jedem Fall ist die Nachrüstung der Müllverbrennungsanlagen mit CCS-Technologie Pionierarbeit. „Bislang gibt es in Deutschland noch keine thermische Abfallbehandlungsanlage mit einer integrierten großtechnischen CO₂-Abscheidung, die CCS oder CCU umsetzt. Einige Pilotanlagen sind bereits in Deutschland in Betrieb“, sagt Jessica Wilhelm. „Die Planung einer großtechnischen CO₂-Abscheidung an thermischen Abfallbehandlungsanlagen ist sehr komplex, weil jede Anlage unterschiedliche technische Spezifikationen und Platzverhältnisse besitzt.“

Wie das Kohlendioxid aus den CCS-Anlagen künftig aus Hamburg abtransportiert, wo es gespeichert oder verarbeitet wird, das ist bislang noch völlig offen. Eine Infrastruktur für die Entsorgung von Kohlendioxid gibt es bislang in Deutschland nicht. Der Transport per Lastwagen oder Tankwaggon ist allerdings ein gängiges Verfahren, weil verflüssigtes Kohlendioxid seit Jahrzehnten auch in industriellen Prozessen verwendet wird. „Verschiedene Unternehmen haben Vorstellungen zum Aufbau regionaler oder bundesweiter Pipelinenetze in Deutschland skizziert“ schreibt auf Anfrage die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. „Als CO₂-Transportoptionen werden sowohl Pipelines als auch Züge mit Kesselwagen für flüssiges CO₂ angesehen. Für erste kleine Speicherprojekte könnte zunächst der Bahntransport eine Option sein, bis ein Transport mittels Rohrleitungen möglich ist.“

Fest steht bei der Stadtreinigung Hamburg bislang nur, dass man auf CCS als Technologie nicht wird verzichten können. Um über das Pilotstadium hinaus in die Anwendung zu kommen, ist nun vor allem der Bund gefragt: „Wir hoffen, dass die erforderliche Regulatorik für CCS und CCU in Deutschland zügig umgesetzt wird“, sagte Jessica Wilhelm, „weil wir für nachhaltige Geschäftsmodelle klare Rahmenbedingungen benötigen, um in diese Technologien investieren zu können.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten auch über Projekte von Industrie und Energiewirtschaft für den Klimaschutz.

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