Man braucht schon eine gute Portion Selbstbewusstsein, um mit dem Hypershell X Ultra durch die Öffentlichkeit zu laufen. Das wird mir schon wenige Minuten nach dem Start meiner Wanderung im Itamos-Gebirge auf der Halbinsel Sithonia in Nordgriechenland klar. Kaum habe ich mit meinem Exoskelett die ersten Höhenmeter geschafft, kommen mir mehrere Wanderer entgegen – neugierige Blicke, dann ein zögerndes Lächeln, schließlich der demonstrative Blick zur Seite, um bloß nicht beim Starren ertappt zu werden. Aber ich sehe es ihnen an: Am liebsten würden sie mich weiter beobachten.
Ich kann es ihnen kaum verübeln. Denn das Gestell, das ich mir um Hüfte und Oberschenkel geschnallt habe, ist ein echter Hingucker – und erinnert ein bisschen an die Metallstreben, mit denen der junge Forrest Gump herumlaufen musste, bevor er zu rennen begann. Also irgendwie medizinisch. Doch mit Gumps Gestell hat das nicht viel zu tun, denn hier steckt jede Menge Hightech drin: zwei kleine Elektromotoren mit bis zu 1000 Watt Spitzenleistung, mehr als ein Dutzend Sensoren, ein Akku – und sehr viel Ingenieurskunst.
Der Hersteller nennt es „das bisher beste Outdoor-Exoskelett der Welt“. Üblicherweise sieht man Exoskelette eher in der Industrie und Logistik, wo schwer gehoben werden muss. Oder eben bei Menschen, die körperliche Probleme haben. Doch das Hypershell X Ultra ist gebaut für Menschen, die in der Natur wandern oder in den Bergen rennen wollen.
Ich habe das Hypershell X Ultra nicht nur selbst getestet, sondern es auch anderen angelegt. Die Reaktion ist überall dieselbe: ein breites Grinsen, irgendwo zwischen ungläubigem Staunen und kindlicher Freude. Denn das Gerät macht etwas völlig Ungewohntes – es verleiht einem buchstäblich Beine. Beim Anheben der Oberschenkel zieht es leicht mit, beim Absenken drückt es sanft nach unten. Plötzlich läuft man, als hätte man einen kleinen Motor eingebaut.
Dabei ist die Konstruktion erstaunlich leicht. Der Rahmen aus Carbonfaser und Titanlegierung wiegt mit Akku nur 2,2 Kilo. Man legt es mit einem Gurt oberhalb der Hüfte an und fixiert es mit einer Steckschnalle. Zwei kleine Motoren sitzen an den Hüftgelenken, von dort führen Streben nach vorn. Die Breite lässt sich in vier Stufen anpassen. Eine Smartphone-App macht nach der Eingabe von Größe und Gewicht des Trägers einen Vorschlag für die richtige Passgröße.
Wenn alles einmal eingestellt ist, dauert das Anlegen keine 30 Sekunden. Ein Druck auf den Knopf am rechten Motor, und das System erwacht. Über denselben Knopf kann ich die Unterstützungsstufen wechseln, LEDs zeigen den aktuellen Modus. Den Rest übernimmt das Exoskelett selbst: Es erkennt über Sensoren, ob ich bergauf oder bergab gehe, auf Sand, Asphalt oder Treppen – und passt die Unterstützung automatisch an.
Im Test funktionierte das erstaunlich zuverlässig. Selbst beim Treppensteigen hatte das System nach zwei Stufen den richtigen Modus gefunden. Besonders beeindruckend war der Unterschied beim Aufstieg: Während ich sonst eher schwer atmend über die Felsen steige, ging es diesmal fast federleicht nach oben. Beim Abstieg sollte das Hypershell laut Hersteller die Gelenkbelastung reduzieren – das konnte ich nicht eindeutig spüren. Aber die pure Leichtigkeit, mit der ich den Berg hinauflief, hat mich ehrlich verblüfft.
Nach zehn Kilometern und 630 Höhenmetern fühlte ich mich kaum erschöpft – im Gegenteil: Ich hätte locker noch weiterlaufen können. Der Akku zeigte noch 30 Prozent Restladung, obwohl ich zwischendurch mehrmals den „Hyper-Modus“ ausprobiert hatte, der für besonders dynamische Bewegungen gedacht ist. Im normalen Gehtempo fühlt man sich darin fast ein bisschen ferngesteuert. Der Eco-Modus mit 50 Prozent Unterstützung war meist die bessere Wahl.
Interessant ist der Moment, wenn man das Exoskelett wieder ablegt: Plötzlich fühlen sich die eigenen Beine bleischwer an. Erst da merkt man, wie viel Arbeit einem das System tatsächlich abgenommen hat.
Laut Hersteller soll ein Akku für rund 42.000 Schritte oder 30 Kilometer reichen – und zwei Akkus sind im Lieferumfang. Die angeblich 39 Prozent weniger körperliche Belastung oder 22 Prozent geringere Herzfrequenz konnte ich zwar nicht exakt nachmessen, aber das Gefühl der Erleichterung war überdeutlich. Zudem behauptet der Hersteller eine 63 Prozent verringerte Muskelbelastung in den Hüftbeugern und 25 Prozent weniger Muskelbelastung in den Hüftstreckern. In jedem Fall kann ich berichten, dass sich auch am Folgetag kein Muskelkater einstellte, der mich sonst nach einem Wandertag eigentlich immer verfolgt.
Die App dokumentiert auf dem Smartphone alles mit: Schritte, Höhenmeter, Distanz, Akkustand, geschätzte Reichweite. Nur das GPS-Tracking fehlt. Für die Apple Watch gibt es eine kleine Zusatz-App, über die sich der Modus direkt am Handgelenk wechseln lässt – praktisch, aber nicht zwingend nötig, weil die Automatik im Test alles richtig gemacht hat. Ich mochte zudem den simplen Knopf am Gerät lieber.
Und für wen ist das Hypershell X Ultra nun gedacht? Ich würde sagen: für alle, die gerne wandern, aber ihre Kräfte besser einteilen wollen. Es ist ein bisschen wie ein E-Bike für die Beine – man läuft selbst, nur eben leichter. Für manche bedeutet das, überhaupt wieder eine größere Entfernung wandern zu können, für andere: doppelt so weit zu kommen und die 20-Kilometer-Marke zu knacken.
Da wir schon beim E-Bike-Vergleich sind: Es gibt tatsächlich einen eigenen Modus für das Fahrradfahren, den ich in Berlin auf einem normalen Rad ausprobieren konnte. Auch hier hat das Exoskelett sofort erkannt, dass ich in die Pedalen trat. Die Unterstützung ist nicht ganz so sanft wie bei einem echten E-Bike, die Erleichterung beim Treten ist aber deutlich zu spüren. Ich konnte das auch auf einem Spinning-Bike feststellen, was sich allerdings etwas absurd anfühlte. Denn wer sich auf ein solches Gerät setzt, will es eigentlich schwer haben.
Da sind wir auch schon bei einem kleinen Problem: das schlechte Gewissen. Ich war beim Wandern im Gebirge mit einer kleinen Gruppe unterwegs – und hatte immer wieder das Gefühl, zu schummeln. Schließlich gehört zum Wandern auch die wohltuende Erschöpfung am Ende des Tages. Aber wer das wünscht, kann sich auch am Exoskelett abmühen. Denn dafür gibt es einen Fitness-Modus, der über die App zugeschaltet werden kann: Dann arbeitet das Hypershell gegen einen, statt für einen. Das Hypershell X Ultra kostet 1999 Euro.
Dieser Artikel entstand für das Wirtschaftskompetenzcenter von WELT und „Business Insider Deutschland“.
Thomas Heuzeroth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Verbraucher- und Technologiethemen, Unterhaltungselektronik und Telekommunikation.
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