Für Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche war es eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal stellte die CDU-Politikerin die Konjunkturprognose der Bundesregierung vor und zum ersten Mal stellte sie sich in der Berliner Bundespressekonferenz den Fragen der Journalisten. Reiche nutzte den Auftritt, um ihre Reformagenda zu präsentieren. Neben vielen einzelnen Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag sprach die Ministerin auch einige aus ihrer Sicht notwendige Veränderungen an, die beim Koalitionspartner SPD auf Ablehnung stoßen.
Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist die Wirtschaftsprognose für die kommenden Jahre. Sie sagt zwar für das kommende Jahr ein Ende der dreijährigen Stagnation voraus – 1,3 Prozent Wachstum im kommenden Jahr und 1,4 Prozent im Jahr 2027. Doch dieses Wachstum droht ein Strohfeuer zu werden, wenn es nicht von strukturellen Reformen begleitet wird, mahnt Reiche.
Der wesentliche Antrieb für das erwartete Wachstum sind die gewaltigen Ausgabenpakete der Bundesregierung für Infrastruktur und Rüstung. Jeweils 500 Milliarden Euro stehen dafür als „Sondervermögen“ bereit. Diese Investitionen seien aber zum großen Teil Erhaltungsinvestitionen, etwa der Ersatz von Straßen.
Vor dem staatlichen Konjunkturprogramm kommt die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur auf ein Wachstum von 0,2 Prozent, sagt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) voraus. „Die Bürger spüren, dass es alles andere als gut läuft“, sagte die Ministerin. „Die Wirtschaft mahnt zu Recht Reformen an. Wir müssen kämpfen um unseren Wohlstand. Wir müssen kämpfen zurück zum Wachstum.“ Es brauche Mut für entschlossene Reformen.
Diese Reformen gliedert Reiche in sechs Punkte. Von „Energiekosten senken“, „Private Investitionen mobilisieren“, „Steigerung des Erwerbspotenzials“ und „Bürokratie abbauen“ bis zu „Handelsbeziehungen vertiefen“ und „auf Innovationen setzen“ reicht ihr Programm. In einem langen Vortrag zählte sie Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag auf, die unter diese Überschriften passen, etwa die Sonderabschreibungen für Investitionen von Unternehmen ab dem kommenden Jahr, die Aktivrente oder den geplanten Industriestrompreis.
Reiche schloss sich in vielen Punkten ihren wirtschaftspolitischen Beratern an, die am Montag eine „Wachstumsagenda“ vorgelegt hatten. Darin fordern sie unter anderem ein höheres Renteneintrittsalter, das an die Lebenserwartung gekoppelt ist. Außerdem Deregulierung statt nur Bürokratieabbau. Bei der SPD stießen solche Forderungen auf Ablehnung.
„Bürger spüren, dass wir Veränderungen brauchen“
„Meine Beobachtung ist, dass Bürgerinnen und Bürger sehr wohl spüren und wahrnehmen, dass wir Veränderungen brauchen“, sagte Reiche. Sie sähen, dass Arbeitsplätze abgebaut werden und das Zukunftsversprechen, dass es der nächsten Generationen besser gehen wird, ins Wanken gerate. Wenn die Wirtschaft weiter schrumpfe, werde es Verteilungskämpfe um das knapper werdende Geld geben. „Es wird Kämpfe geben, ob wir dieses Geld in Klimaschutz oder in die sozialen Sicherungssysteme oder in die Verteidigung geben. Wenn wir alles drei wollen und brauchen, auf einem guten Niveau, oder sogar ausbauen, brauchen wir mehr Wachstum“, sagte Reiche.
Neben Reiche saß erstmals ihr neuer Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik, Benjamin Weigert. Er ist eine Art Chefökonom des Ministeriums. Weigert hatte sich bisher als Chef des Zentralbereichs Finanzstabilität der Deutschen Bundesbank vor allem mit den Risiken auf Finanzmärkten beschäftigt und mit der Frage, wie die Politik solche Risiken eindämmen kann. Zuvor hatte der Ökonom als Generalsekretär des Sachverständigenrats – der „Wirtschaftsweisen“ – gearbeitet und sich in dieser Funktion mit einem deutlich breiteren Themenspektrum befasst.
So publizierte Weigert im Jahr 2012 ein Papier zur gerade gestarteten Energiewende, zusammen mit seinem damaligen Kollegen Malte Hübner und dem damaligen „Wirtschaftsweisen“ Christoph M. Schmidt. Die Beschlüsse der schwarz-gelben Regierung böten „die Chance, zu demonstrieren, dass eine moderne Industriegesellschaft ohne erhebliche Wohlfahrtsverluste aus der Kernenergie aussteigen kann“, schrieben sie damals.
Allerdings müsse man die Kosten der Energiewende minimieren, durch ein neues, stärker marktorientiertes Fördersystem und „vor allem durch eine effiziente Verteilung der Erzeugungsstandorte in Europa“. Es werde „nicht genügen, die Energiewende im nationalen Alleingang zu betreiben“, warnten die Weigert und Kollegen damals. Bekanntlich folgte deutsche Politik diesem Rat nur in eingeschränkter Form.
Mit dem Arbeitsmarkt hatte sich Weigert schon in seiner Dissertation 2007 befasst. Beispielsweise zeigte er in einer Modellrechnung, dass eine Einwanderungspolitik, die auf gut ausgebildete Einwanderer abzielt, zugleich zu einem Anstieg des Bildungsniveaus der Einheimischen führen kann.
Später veröffentlichte bei der Bundesbank zusammen mit zwei Kollegen eine Analyse zu den Auswirkungen der Hartz-Reformen auf die Wirtschaft in der Euro-Zone. Ergebnis: Die Reformen haben Wirtschaftswachstum, Konsum und Investitionen in Deutschland angetrieben, die Arbeitslosigkeit gesenkt. Über das Land hinaus war der Effekt aber nicht nachweisbar. „Unsere Analyse deutet darauf hin, dass die untersuchten Reformen nicht direkt der Hauptgrund für die innereuropäischen Ungleichgewichte sind“, schrieben die Ökonomen.
Die bisherigen Positionen des neuen Chefökonomen fügen sich gut in die Linie von Wirtschaftsministerin Reiche, die sich als stramme Ordnungspolitikerin innerhalb der Regierung positioniert. Weigerts Vorgängerin Elga Bartsch war von Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als Expertin für die ökonomischen Risiken des Klimawandels eingeführt worden. Sie hatte lange bei der Investmentbank Morgan Stanley gearbeitet und kam vom Finanzverwalter Blackrock. Anders als Bundesbanker Weigert setzte sie sich für eine flexiblere Geldpolitik ein und schien eher gewillt, Ausnahmen von strengen ordnungspolitischen Regeln zuzulassen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
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