Steuererhöhungen und Warnungen vor einer Rezession: Die Kriegsindustrie hält Russland zwar wirtschaftlich noch am Laufen, doch viele andere Bereiche schwächeln. Ein Überblick.
Die Warnzeichen für die russische Volkswirtschaft werden mehr. Selbst hochrangige Regierungsmitglieder warnen vor einem deutlichen Rückgang der Wachstumszahlen. Nun muss das Kabinett auch noch mit einer überraschenden Mehrwertsteuererhöhung das Volk zur Kasse bitten, um die enormen Kriegsausgaben zu decken.
US-Präsident Donald Trump bezeichnete Russland zuletzt als "Papiertiger", die Wirtschaft sei in einem "fürchterlichen Zustand". Droht dem Land tatsächlich eine Krise?
Welche Branchen kriseln aktuell?
In vielen zivilen Bereichen gibt es offensichtliche Probleme. "Eine schwierige Situation in einzelnen Sektoren", sagte die russische Zentralbankchefin Elvira Nabiullina vor einer Woche dazu und führte als Beispiele die Ölförderindustrie sowie Kohle und Stahl an. Daneben klagen auch die Autobauer über sinkende Absatzzahlen.
Im Wohnungsbau herrscht seit dem Wegfall staatlich gestützter Hypothekenkredite schon länger Flaute. Und nun erhöht sich auch noch der Druck auf den Einzelhandel durch eine Steuererhöhung.
Wie hoch dürfte das Wachstum ausfallen?
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung senkte ihre Wachstumsprognose für Russland und erwartet für dieses Jahr nur noch eine um 1,3 Prozent höhere Wirtschaftsleistung. Zugleich liegt diese Erwartung immer noch über den Zahlen für Deutschland oder den Euro-Raum, die mit weniger als einem Prozent Wirtschaftswachstum rechnen müssen.
Das russische Finanzministerium senkte seine Wachstumsprognose für 2025 von 2,5 Prozent auf 1,5 Prozent. Sberbank-Chef German Gref hatte gar vor einer Krise gewarnt: Sollte die Zentralbank die Zinsen nicht drastisch senken, werde das Land in eine Rezession geraten.
Wie reagiert die russische Regierung?
Die Mehrwertsteuer soll zum Jahreswechsel von 20 auf 22 Prozent steigen. Mehr noch: Nun sollen auch kleinere Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als zehn Millionen Rubel (gut 100.000 Euro) diese Steuer zahlen - bisher lag die Grenze beim Sechsfachen.
Die Anhebung kommt einerseits unerwartet: 2024 hatte Kremlchef Wladimir Putin noch versprochen, die Steuern bis 2030 nicht anzutasten. Andererseits galt der Schritt seit Längerem als unausweichlich wegen des gewaltigen Haushaltsdefizits - allein bis August sind es 43 Milliarden Euro.
Das Geld sei etwa für die Finanzierung von Verteidigung und Sicherheit nötig, schreibt das Finanzministerium. Mit anderen Worten: für die weitere Kriegsführung.
Wie belastet der Krieg Russlands Wirtschaft?
Der Krieg gegen die Ukraine hat das Preisgefüge durcheinandergebracht. Viele Unternehmen außerhalb der Rüstungsindustrie müssen wegen Fachkräftemangels auch im Zuge der militärischen Mobilisierungskampagne hohe Löhne zahlen, um ihre Mitarbeiter zu halten oder neue zu gewinnen.
Dazu kommen die Kosten für die Kriegsführung. Die sind schwer zu beziffern: Aber allein die Haushaltsausgaben für die Posten Verteidigung und Innere Sicherheit belaufen sich in diesem Jahr auf 135 Milliarden Euro - etwa 40 Prozent der Gesamtausgaben.
Nicht eingerechnet sind hier die vor allem langfristigen Kosten der Sanktionen, die sich wegen der Einfuhrbeschränkungen in technologischem Rückstand ausdrücken, und die Kriegsschäden. Denn auch die grenznahen russischen Gebiete und weiter im Hinterland vor allem die Ölindustrie leiden schwer unter den Angriffen, mit denen die Ukraine ihren Abwehrkampf führt.
Wie schwer trifft es die russische Ölindustrie?
Russlands Ölindustrie leidet seit geraumer Zeit unter den Sanktionen. Moskau ist gezwungen, den Rohstoff mit Rabatt auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Vor allem Indien und China greifen hier noch zu.
Inzwischen wird aber auch die Wirkung der ukrainischen Drohnenangriffe deutlich. Im europäischen Teil Russlands wurden Dutzende Raffinerien angegriffen, teils mussten sie monatelang den Betrieb einstellen. Die Krise hat nun auch die russische Regierung zugegeben.
Vizeregierungschef Alexander Nowak hat bis Jahresende das Exportverbot von Benzin und Diesel verlängert, weil es im Land selbst an Treibstoff mangelt. Moskaus Statthalter auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim, Sergej Aksjonow, sah sich in einem Video dazu gezwungen, die Einwohner zu beruhigen. Die Lage werde sich in zwei Wochen entspannen, versprach er.
Was steht hinter der "Papiertiger"-Aussage Trumps?
Russland sei schwach und wirke nach dreieinhalb Jahren Krieg ohne echte Erfolge "wie ein Papiertiger", schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social. Er zeigte sich nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sogar überzeugt, dass Kiew "mit Unterstützung der Europäischen Union in der Lage ist, die gesamte Ukraine in ihrer ursprünglichen Form zurückzugewinnen". Wladimir Putin und Russland steckten in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, schrieb er.
Damit änderte Trump seinen sonst positiven Tonfall gegenüber Moskau. Sollte sich die Rhetorik in neuen Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft oder einer stärkeren militärischen Unterstützung für die Ukraine niederschlagen, wäre das für Russland tatsächlich ein schwerer Schlag. Gerade zusätzlicher Druck auf den Öl- und Gassektor würden Russlands Kriegskasse weiter zusetzen. Ob Trump aber tatsächlich handeln wird, gilt weiter als völlig ungewiss.
Was passiert, wenn Russland den Krieg beendet?
Ein Kriegsende würde den Sanktionsdruck lindern und zur Beendigung der ukrainischen Angriffe auf die russische Ölindustrie führen. Zugleich ist die Rüstungsindustrie angesichts der Probleme in den zivilen Sektoren diejenige Branche, die das Wirtschaftswachstum noch am Leben erhält.
Der Sektor ist für acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Eine Rückumstellung auf eine Friedenswirtschaft würde einen massiven Einbruch bedeuten. Zudem ist unklar, was mit den Rückkehrern von der Front passieren soll. Es droht ein Anstieg der Arbeitslosigkeit.
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