Die deutsche Fusionsindustrie fordert von der Bundesregierung eine Anschubfinanzierung von drei Milliarden Euro, um die im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot gegebene Zusage einzulösen. „Fusionsenergie jetzt oder nie“, ist der Aufruf der drei führenden deutschen Start-ups Proxima, Marvel und Focused Energy überschrieben: „Für Deutschland und Europa ist jetzt der Moment, die wissenschaftliche Stärke, die industrielle Basis und den Kapitalmarkt zu mobilisieren.“

Das sind keine leeren Worte, die Zeit drängt: Weltweit ist ein Wettlauf um die Zukunftstechnologie im Gange. Wasserstoffatome zwecks Energiegewinnung zu verschmelzen – in dieser Disziplin gehören deutsche Wissenschaftler bislang zu den besten der Welt. Die Technik verheißt eine unbegrenzte, risikoarme, strahlungs- und abfallfreie Energieversorgung der Welt.

Doch Deutschlands Wettbewerber holen auf, vor allem in den USA und China. Bereits 2027 soll die Pilotanlage „SPARC“ der US-Firma Commonwealth Fusion Systems (CFS) in Massachusetts in Betrieb gehen – in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem „Burning Plasma Experimental Superconducting Tokamak“ (BEST) in Heifei, China. Und Deutschland?

Europäischer Energiemulti unterstützt US-Konkurrenz

Das Bundeskabinett will am Mittwoch kommender Woche den „Aktionsplan Fusion“ aus dem Bundesforschungsministerium beschließen. „Wir wollen deutsche Unternehmen zu Weltmarktführern bei der Fusion machen und Arbeitsplätze schaffen“, heißt es dazu im Haus der Ministerin Dorothee Bär (CSU). Noch sind Details unbekannt. Doch nach WELT-Informationen droht die Finanzierung des Aktionsplans weit hinter dem Nötigen zurückzubleiben.

Dem Vernehmen nach sollen für die Umsetzung des Aktionsplans nur zwischen 700 und 900 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Die Summe verteilt sich dann auch noch auf drei Forschungscluster Magnetfusion, Laserfusion und Tritium-Produktion. Der so aufgeteilte Betrag wird kaum genügen, dem Ziel des ersten kommerziellen Fusionskraftwerks der Welt schnell genug näherzukommen. Commonwealth Fusion, das von einigen US-Milliardären wie Bill Gates unterstützt wird, hat sich bereits eine Finanzierung von mehr als drei Milliarden US-Dollar gesichert – und schreitet beim Bau der Pilotanlage voran.

Dass selbst die ersten europäischen Energiekonzerne auf einen frühen Erfolg der Amerikaner setzen, ist ein Alarmzeichen. In der vergangenen Woche unterzeichnete der Energiemulti Eni aus Italien ein sogenanntes Power Purchase Agreement (PPA) im Volumen von einer Milliarde US-Dollar mit Commonwealth Fusion.

Es ist bereits der zweite Stromliefervertrag, den die US-Kraftwerksplaner abschließen konnten. Nach der Pilotanlage SPARC in Devens im US-Bundesstaat Massachusetts soll das eigentliche Fusionskraftwerk Anfang der 2030er-Jahre in Chesterfield County im Bundesstaat Virginia in Betrieb gehen und 400 Megawatt klimaneutrale Elektrizität liefern.

Der Stromliefervertrag mit Eni ist vorerst nicht viel mehr als ein PR-Erfolg für die Amerikaner. Einzelheiten wurden nicht verkündet. Geld fließt wohl nur, falls Commonwealth Fusion überhaupt liefern kann – und zudem einen wettbewerbsfähigen Strompreis berechnet. Dennoch hat der unter vielen Bedingungen abgeschlossene Vertrag eine wichtige Signalwirkung für den Markt, indem er das Interesse von Finanzinvestoren auf den Bereich Fusionsenergie lenkt.

Obwohl die Amerikaner mit viel Geld vorpreschen, ist das Rennen aus Sicht der deutschen Fusionsfirmen noch nicht gelaufen. So setzt die US-Firma Commonwealth auf einen Reaktor vom Typ Tokamak, der aus Sicht einiger Experten weniger gut geeignet ist für die kontinuierliche Stromproduktion in einem Kraftwerk. Die deutsche Proxima Fusion setzt hingegen auf das sogenannte Stellarator-Konzept und glaubt, damit den US-Wettbewerbern im kommerziellen Kraftwerksbetrieb überlegen zu sein.

Die Technik von Proxima basiert auf Erfahrungen mit dem Stellarator „Wendelstein-7x“, der vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) seit Jahren in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern erprobt und optimiert wird. Das brennende Plasma aus Wasserstoff-Isotopen wird dort durch starke Magnete in der Schwebe gehalten.

Das Konzept der deutschen Proxima hat mit dem Tokamak-Ansatz der Amerikaner gemein, dass beide auf einen magnetischen Einschluss des brennenden Wasserstoff-Plasmas setzen. Haben die Amerikaner mit der ersten Pilotanlagen SPARC Erfolg, dürfte das einen globalen Investitionsboom in die Magnetfusion auslösen, von dem auch Proxima profitieren könnte.

Den Deutschen bliebe es dann nur noch zu beweisen, dass innerhalb des Magnet-Konzepts ein Stellarator besser ist als ein Tokamak. Dabei helfen könnte eine weitere deutsche Gründung: Gauss Fusion. Das Unternehmen versucht, in ganz Europa die jeweils besten Wissenschaftler, Maschinenbauer, Zulieferer zusammenzuschließen zu einer Art „Airbus“ der Fusionsenergie. Wie das Gemeinschaftsunternehmen der europäischen Flugzeugbauer hätte die Gauss-Gemeinschaft dann wohl auch genügend Ressourcen, im internationalen Wettlauf mitzuhalten.

Der alternative Ansatz der Laserfusion, wie er etwa von den deutschen Entwicklern Focused Energy und Marvel Fusion verfolgt wird, hätte das Nachsehen. Sie hätten es dann schwerer, Geldgeber davon zu überzeugen, dass ihre Fusionsverfahren mittels Laserstrahlen der Magnetfusion mindestens ebenbürtig ist. Die Unternehmen pochen umso mehr auf eine bessere Unterstützung durch die Bundespolitik, jenseits der finanziellen Zusagen. Unter anderem geht es ihnen darum, die Kernfusion gesetzgeberisch klar von der Kernspaltung, also der klassischen „Atomkraft“ zu trennen.

„Für die Fusionsenergie ist ein eigener, zukunftsfähiger Rechtsrahmen abseits des Atomschutzrechts zwingend notwendig“, sagt Günter Kraft, von Focused Energy: Deutschland müsse jetzt klare Regeln schaffen, damit erste industrielle Projekte noch in dieser Legislaturperiode starten können.

Jetzt ist an der von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geführten Bundesregierung, ihre im Koalitionsvertrag gegebenen Versprechen mit Geld und klugen Gesetzen umzusetzen. Der erste Termin dafür ist die Kabinettssitzung am Mittwoch kommender Woche.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft und Klimapolitik. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.

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