Die Energiewende steht an einem Scheideweg. Sie belastet die deutsche Wettbewerbsfähigkeit und kann keine Versorgungssicherheit gewährleisten, sagt Katherina Reiche. Die Wirtschaftsministerin pocht deshalb auf Gaskraftwerke. Inzwischen ist von bis zu 72 Blöcken die Rede. Ist das noch sinnvolles Nachsteuern, um die Kosten der Energiewende zu senken? Oder werden die Erneuerbaren der Gaslobby zuliebe abgewürgt? Philipp Schröder ist überzeugt: Subventionierte Gaskraftwerke lösen kein Problem, sondern machen Deutschland erneut vom Ausland abhängig. Der Chef des Energieunternehmens 1Komma5Grad hat einen anderen Vorschlag: Wer Geld sparen möchte, sollte die Einspeisevergütung für Solaranlagen abschaffen und auf große Batteriespeicher verzichten, sagt er im "Klima-Labor" von ntv. Der Schlüssel zur erfolgreichen Energiewende ist ihm zufolge aber deutlich kleiner, simpler und günstiger.
ntv.de: Wann steigen Sie mit 1Komma5Grad in den Bau von Gaskraftwerken ein?
Philipp Schröder: Nie. (lacht)
Warum nicht? Das ist doch anscheinend ein lukratives Geschäft.
Das Kernproblem der deutschen Stromversorgung ist die Disharmonie zwischen erneuerbarer Produktion und Verbrauch. Die Bundesregierung scheint zu glauben, dass man dieses Problem nur mit Gaskraftwerken lösen kann. Wir sind überzeugt: Es wäre günstiger, den Verbrauch intelligent zu verschieben und Speicher oder Elektroautos zu nutzen, um überschüssige erneuerbare Energie abzuspeichern. Deswegen brauchen wir kaum Gaskraftwerke, selbst fünf bis zehn Gigawatt wären hochgegriffen.
Auch bei Robert Habeck ging es zwischenzeitlich um bis zu 25 Gigawatt. Dann sollte die Hälfte ausgeschrieben werden. Die schwarz-rote Regierung spricht jetzt von bis zu 36 Gigawatt. Woher kommt so viel Unsicherheit?
Von der Berechnungsgrundlage: Diese Zahlen kann man zusammenstellen, wie man sie braucht. Die Bundesregierung rechnet mit einem sehr langsamen Hochlauf von Batterien und Elektroautos. Daraus ergibt sich eine höhere Notwendigkeit für Gaskraftwerke. Wir glauben: Hätte jeder deutsche Haushalt ein Smart Meter, würde eine Flexibilität von 20 Gigawatt von selbst entstehen, denn Privatpersonen haben bereits 20 Gigawatt an Batterien installiert. Sie könnten einen Großteil der Grundlast abdecken - nicht alles, weil sie saisonal variiert. Aber dafür wäre keine Investition notwendig, die Heimspeicher sind bezahlt. Sie dürfen allerdings nicht am Energiemarkt teilnehmen, wie es notwendig wäre.
Schwarz-Rot hat kein Interesse daran, auf erneuerbare Energien zu setzen?
Im Bundeswirtschaftsministerium gibt es kluge Leute, die die Herausforderungen kennen. Die Bundesnetzagentur leistet ebenfalls solide Arbeit. Aber durch den Zolldeal mit Donald Trump steigt der Druck, amerikanisches Flüssiggas zu kaufen. Man hat quasi versprochen, 750 Milliarden US-Dollar zu investieren. Katherina Reiche hat selbst gesagt: LNG wird zu teurem Strom führen.
Wir würgen die Energiewende ab, um Donald Trump glücklich zu machen?
Wenn man es so stark verkürzen möchte, ja. Aber dann würgen wir nicht nur die Energiewende ab, wir senken auch nicht die Stromkosten.
Das zentrale Versprechen der Bundesregierung …
Richtig. Ich kann nicht erkennen, wie man mit LNG die Preise nachhaltig senken möchte, denn das wird immer teurer sein als russisches Gas.
Katherina Reiche kann nichts für den Zolldeal, aber sie wird in die Ecke gedrängt und muss zusehen, dass sie dieses Gas abnimmt - und versucht stattdessen, an anderer Stelle zu sparen, etwa beim Netzausbau?
Die Kosten verursacht der statische und willkürliche Stromverbrauch. Wenn die Wärmepumpe läuft, nachdem die Sonne untergegangen ist, muss man Netze bauen, um anderen Strom dorthin zu transportieren - ob das Windstrom von der Küste oder importierter Strom von unseren Nachbarn ist. Je mehr Wärmepumpen und E-Autos es gibt, desto schlimmer wird es. Die Netzentgelte werden steigen und steigen. In dem Sinne hat Frau Reiche recht: Wir subventionieren Solarstrom, erzeugen ihn aber dann, wenn ihn niemand braucht. Und wir bezahlen Gaskraftwerke dafür, dass sie tagsüber nicht laufen. Letztlich sind beide Kraftwerksparks defizitär, weil die Verbindung zwischen Verbrauch und Erzeugung fehlt.
Lokale Strompreissignale?
Und flexible Netzentgelte, also ein Preissignal für das Netz. Wir sind in sieben Märkten tätig, in Schweden gibt es das bereits: Dort ist der Stromtransport teurer, wenn viel im Netz los ist, und günstiger, wenn weniger los ist. Es wird weniger erneuerbarer Strom abgeregelt, die Energiepreise sinken und man benötigt weniger Netzausbau, weil weniger Re-Dispatch notwendig ist. Der verursacht in Deutschland die steigenden Strompreise: Die Windkraftanlage muss abgeregelt werden, weil niemand den Strom abnehmen kann. Wird dieses Problem gelöst, wenn ich mehr subventionierte Gaskraftwerke aufstelle? Nicht wirklich.
Wir ketten uns langfristig an hohe Strompreise?
Ja. Aktuell verschenken wir Strom nach Österreich und kaufen ihn später aus Polen zurück. In einem flexiblen und intelligenten System wird der günstige Strom in jedem Haus gespeichert oder genutzt. Wenn man das umsetzt, kann man die Strompreise für alle in Europa massiv senken und bräuchte viel weniger Gas und Netzausbau. Dafür sind aber Smart Meter notwendig.
Die intelligenten Stromzähler?
Das ist die infrastrukturelle Grundlage, dafür braucht man nicht viel Geld. Leider geht das Wirtschaftsministerium nicht davon aus, dass sie rechtzeitig installiert werden. Tritt das ein, hat es recht: Wir müssen die Grundlast mit Gaskraftwerken erweitern, obwohl wir bereits Tage sehen, an denen wir 100 Prozent unseres Strombedarfs mit Erneuerbaren decken. Die sind da, die kann man nicht mehr abschalten.
Beschreien Sie es nicht.
Ich weiß, einige wünschen sich das. Es gibt eine gewisse populistische Tendenz, zu sagen: Die Energiewende ist schrecklich teuer. Ich hoffe, dass eines Tages alle verstehen, dass Erneuerbare günstigen und manchmal sogar kostenfreien Strom erzeugen. Die ersten Anlagen fallen jetzt auch aus der Einspeisevergütung heraus. Wir wären bescheuert, nicht darüber nachzudenken, wie man sie besser einsetzen kann. Dazu gehört aber auch, dysfunktionale Regelungen und die Förderung bestimmter Anlagen abzuschaffen.
Die Einspeisevergütung?
Richtig. Anfang des Jahres wurde das Solarstromspitzengesetz verabschiedet. Strom wird seitdem nicht mehr vergütet, wenn der Preis am Markt negativ ist. Das ergibt Sinn. Für diese Schlechterstellung haben auch wir uns eingesetzt, weil man um die Harmonisierung von Erzeugung und Verbrauch nicht herumkommt, wenn man Strom für alle günstiger machen möchte.
Gehen Sie auch beim Vorschlag von RWE-Chef Markus Krebber mit, der sich sehr populistisch dafür starkmacht, die Einspeisevergütung umzukehren?
Bei dieser Debatte gibt es immer zwei Lager. Die einen sagen, die Erneuerbaren sind die Guten und die Fossilen die Bösen. Das fossile Lager sagt: Das sind alles Quatschköpfe und Hafermilchtrinker. Damit müssen wir aufhören. Ob Gaskraftwerk oder Solaranlage: Man sollte keiner Technologie Geld dafür geben, dass sie etwas tut, was die Kosten für alle anderen anhebt. Das Preisrisiko gehört in den Markt. Wir haben bei uns Heimspeicher, die könnten den überschüssigen Solarstrom aufnehmen. Aber der Prozess, um den Speicher und den Zähler beim Verteilnetzbetreiber zum Einspeisen anzumelden … das sind bürokratische Hürden wie beim Bau des Berliner Flughafens.
Im Kern hat der RWE-Chef also recht, wenn er sagt: Die Leute sollen zahlen, wenn sie ins Netz einspeisen?
Nein, das ist Polemik. Neue Solaranlagen speisen ohnehin kaum noch ein. Und ein Unternehmen, das für Kohlekraftwerke und AKWs hochgradig Subventionsoptimierung betrieben hat, sollte vorsichtig sein, was es sich wünscht - zumal die Privatpersonen ihr eigenes Geld in Solarlagen investiert haben. Aber an solchen Aussagen merkt man, dass sich Unternehmen wie RWE inzwischen wieder aus der Deckung trauen, um draufzuhauen. Das Problem würde sich übrigens von selbst lösen, wenn wir unseren Solarstrom an der Strombörse direkt verkaufen und gleichzeitig unsere Speicher und E-Autos aufladen könnten. Dann bräuchte es die Einspeisevergütung gar nicht mehr, aber dafür benötigen wir die intelligenten Stromzähler.
Woran hapert es denn? Man muss doch nur schauen, wie es unsere Nachbarn gemacht haben. Die sind alle mit Smart Metern ausgestattet.
Texas baut wie wild Wind und Solar, die Chinesen auch. Die Preise für Solarmodule und Batteriezellen fallen. Es ist wirklich dumm, stattdessen auf Gaskraftwerke zu setzen, die man nicht unbedingt braucht. Das ist viel zu teuer, das macht uns abhängig vom Ausland. Warum macht man es trotzdem? Weil das Geschäftsmodell Gas sonst kippt. Je mehr Leute auf eine Wärmepumpe umsteigen, desto teurer wird der Betrieb der Gasnetze. Die Gaslobby ist eine der besten, die es gibt. Sie hat den Bock erfolgreich zum Gärtner gemacht. Das ist der erste Punkt.
Und der zweite?
Am Smart-Meter-Rollout sind 900 Verteilnetzbetreiber in kommunaler Eigentümerschaft beteiligt. Die sind teilweise so klein und organisatorisch behäbig, das ist eine Mischung aus Unfähigkeit und Blockade. Die haben nichts davon, ein Smart Meter zu installieren. Die haben als Monopolisten mit dem Zählerpunkt jahrzehntelang Geld verdient. In dem Moment, in dem wir mit dem Smart Meter auftauchen, verlieren sie Einnahmen. Das Bundeswirtschaftsministerium kann aber nicht befehlen, die Zähler zu installieren. Das kann nur die Bundesnetzagentur, und die ist unabhängig.
Eigentlich. Im Bericht zur Versorgungssicherheit hat die Bundesnetzagentur Batterien nicht bedacht. Dort wird der Eindruck vermittelt, dass kein Ausbau stattfindet. Wie erklären Sie sich das?
Die Annahmen in dem Bericht sind zu defensiv, um es höflich auszudrücken. In Privathäusern befinden sich 20 Gigawatt an Batterien und die erste Million Elektroautos ist auch verkauft. Die könnten theoretisch ebenfalls überschüssigen Strom aufnehmen, die stehen 23 Stunden am Tag herum. Das hätte einen Rieseneffekt, um die Grundlastanforderung an die Gaskraftwerke zu reduzieren. Bei Großspeichern ist die Kritik an dem Bericht jedoch unzulässig. Die werden von der Bundesnetzagentur zu Recht kritisch gesehen.
Warum?
Sie nutzen eine regulatorische Lücke aus: Durch gezieltes Lobbying wurden sie für 20 Jahre von den Netzengelten befreit und können den ganzen Tag am Energiemarkt Strom handeln. Wenn die Preise niedrig sind, speichert man Strom. Wenn sie hoch sind, verkauft man ihn. Großspeicher machen das aber nicht netzdienlich. Die zahlen nichts für die Autobahn und nutzen sie häufig dann, wenn sie bereits verstopft ist.
Das sind die berüchtigten Einspeiser, die man nicht haben möchte?
Die belasten ein ohnehin gestresstes Netz zusätzlich, ohne einen Zweck zu erfüllen. Die wollen nur Geld verdienen. Deswegen versuchen die Bundesnetzagentur und das Wirtschaftsministerium, diese Kapazitäten durch einen Baukostenzuschuss zu verhindern. Das ist Taktik, weil man die Gesetzeslage nicht mehr ändern kann. Diese Großspeicher sind Gelddruckmaschinen.
Nur Ihre Speicher sind gute Speicher?
Klar, ich bin voreingenommen, wir verdienen Geld mit Heimspeichern. Aber unsere Speicher verhalten sich netzdienlich und zahlen Netzentgelte. Unsere Kundinnen und Kunden helfen, ein reales Problem zu lösen - und profitieren: In den Niederlanden sind unsere Strompreise negativ, in Schweden liegen sie zwischen 0 und 0,05 Euro. In Deutschland schaffen wir auch 0,07 bis 0,10 Euro.
Großspeicher sind aber auch Teil der Lösung oder komplett überflüssig?
Die Gemengelage ist komplex. Wir benötigen Großspeicher, aber die meisten Projekte möchten die Netzentgeltbefreiung ausnutzen und Geld verdienen. Anfragen von Privatinvestoren über 500 Gigawatt fallen nicht vom Himmel.
Und man kann nicht vorschreiben, dass Großspeicher netzdienlich arbeiten müssen?
Der Bundestag hat die Netzentgeltbefreiung beschlossen, kurz bevor die Kompetenzen an die Bundesnetzagentur übergeben wurden. Das war in der letzten schwarz-roten Koalition von Angela Merkel. Wahrscheinlich war man sich nicht im Klaren darüber, was das bedeutet. Man wollte einfach Speicher. Jetzt ist es gültige Gesetzeslage. Die Netzbetreiber versuchen, die Anträge abzuwehren, indem sie sagen: Wenn du einen Netzanschluss möchtest, musst du dich an den Anschlusskosten beteiligen. Gerade die Bundesnetzagentur weiß: Für Privatverbraucher und die Industrie werden Großspeicher einen negativen Einfluss haben.
Das Speicherchaos ist gewollt, um den Antragstellern den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Die Bundesnetzagentur hat ein Mandat und das lautet: Die Netzentgelte müssen so niedrig wie möglich sein. Die ist ein bisschen wie eine Zentralbank. Sie wacht darüber, dass Oma Erna, aber auch die Industrie eine tolle Infrastruktur zu einem fairen Preis bekommt. Die muss dieses Chaos, das durch die Netzentgeltbefreiung entstanden ist, aufräumen.
Lässt sich die Energiewende noch abwürgen?
Kurzfristig bin ich nervös, weil es Kunden verunsichert, wenn Standards verändert oder sogar manipuliert werden. Langfristig? Nein, die Erneuerbaren werden sich durchsetzen und der Motor für günstigen Strom sein. Deswegen wird es Deutschland schaden, wenn man zu sehr auf die Gaslobby hört.
Mit Philipp Schröder sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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