Ein Riss und alles kann vorbei sein. Als Experten im März 2025 den Schaden an der Berliner Ringbahnbrücke überprüfen, ist klar: Das Bauwerk muss abgerissen werden. Eine neue Brücke soll her. So wie in Berlin steht es deutschlandweit um Tausende Brückenteile. Sie sind alt, marode und müssen modernisiert, oder neu gebaut werden. Die Bundesregierung hat einen Investitionsturbo für die Infrastruktur versprochen. Rosige Aussichten für die Bauindustrie – eigentlich.

Doch vom Aufwind nach der Bundestagswahl und dem versprochenen Sondervermögen ist nicht viel übrig. „Der Branche geht es momentan nicht gut“: So beschreibt es zumindest Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer des Hauptverbands der Bauindustrie (HDB), die Lage. Die Entscheidung, neue Ausschreibungen erst nach Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes zum Sondervermögen zuzulassen, hat unmittelbare Folgen: Die Unternehmen leiden unter Auftragsmangel.

Eigentlich will der Bund bis 2028 rund 52 Milliarden Euro in den Straßenbau stecken. Aber bis das Geld fließt, dürfte es noch dauern. Der Bundeshaushalt für 2025 ist noch immer nicht beschlossen und der nächste steht bereits an. Für die Projekte der Autobahn GmbH wurde sogar zwischenzeitlich ein Ausschreibungsstopp ausgesprochen. 2025 drohte bis vor Kurzem zum verlorenen Baujahr zu werden.

Ausschreibungsstopp bei der Autobahn GmbH

Jetzt geht es aber zumindest ein wenig voran. Als kurzfristige Lösung wurden der Autobahn GmbH 1,1 Milliarden Euro aus dem geplanten Sondervermögen freigegeben – 391 Millionen Euro für Brücken und 709 Millionen Euro für Fahrbahnen, „die im unmittelbaren baulichen Zusammenhang mit Erhaltungsmaßnahmen an Brücken und Tunneln“ stehen, wie es aus dem Bundesverkehrsministerium (BMV) heißt.

Verkehrsminister Patrick Schnieder kommentiert den kleinen Erfolg knapp: „Mit dieser Einigung setzen wir ein wichtiges Signal: Die Bagger können rollen.“ Auch die Autobahn GmbH zeigt sich erleichtert. Geschäftsführer Michael Güntner sagt: „Das ist ein klares Signal des Bundes, dass die Sanierung der Autobahnbrücken höchste Priorität hat.“

Bei den Bauunternehmern scheint davon bisher nicht viel einzutreffen; sie leiden unter Auftragsmangel. Seit der Ankündigung seien noch keine neuen Projekte auf den Markt gekommen, erklärt Daniel Jonas, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB) im August. „Unternehmen, die keine Ausweichmöglichkeiten in andere Marktsegmente, etwa den Energietrassenbau, haben, geraten zunehmend in Schwierigkeiten.“

Sanierungsstau: über 4000 Brücken baufällig

Die punktuelle Freigabe von 1,1 Milliarden Euro ist nur eine kurzfristige Erleichterung angesichts der Haushaltslücke. Im Sondervermögen sind Ausgaben von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr für Brückensanierungen vorgesehen. Das Kabinett plant bis 2028 insgesamt rund 52 Milliarden Euro an Investitionen in Straßen.

Und die braucht es, um den gewaltigen Sanierungsstau zu bewältigen. Allein in dieser Dekade sollen laut BMV 4000 Brücken auf den wichtigen Autobahnkorridoren saniert werden. Hinzu kämen rund 500 weitere Brücken-Teilbauwerke außerhalb des Kernnetzes. „Wegen der Dringlichkeit haben wir vorrangig mit den großen Brücken begonnen, bei denen die Modernisierung natürlich aufwendiger ist und mehr Zeit beansprucht als bei kleinen Brücken“, so eine Sprecherin des BMV.

Bis Ende Mai sei ungefähr ein Drittel der geplanten Strecke modernisiert worden. „Die Zahlen zeigen: Wir sind insgesamt auf einem guten Weg.“ Anders sieht das der Bundesrechnungshof. Noch im April 2025 stellte dieser fest: „Die Autobahn GmbH des Bundes (Autobahn GmbH) ist mit der Umsetzung des Brückenmodernisierungsprogrammes deutlich im Rückstand.“

Der Autobahn GmbH fehlt es an Fachkräften

Das könnte auch an der knappen Personalsituation bei der Autobahn GmbH liegen. Einem Bericht des „Tagesspiegels“ zufolge seien es 600 Stellen, die besetzt werden müssten. Auch der ehemalige Autobahn-GmbH-Aufsichtsratschef Oliver Luksic warnte bereits im Dezember 2024 vor zu wenig Personal. Laut ihm fehlen sogar etwa 1000 Fachkräfte.

Branchenkenner fordern klare Rekrutierungsstrategien und bessere Karrierewege im öffentlichen Sektor. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) betont, es brauche „attraktive Rahmenbedingungen und eine moderne Kultur mit Flexibilität und Digitalisierung“. Mittelfristig könne auch Fachkräftezuwanderung helfen.

Parallel entzündet sich ein Streit um die Vergütung bei der Autobahn GmbH. Der Bundesrechnungshof rügte laut „Handelsblatt“, die Autobahn GmbH zahle den 14.500 Mitarbeitern teils deutlich höhere Gehälter und Sonderzahlungen als im öffentlichen Dienst üblich – manche davon seien „sachlich nicht notwendig“ und „wirtschaftlich unangemessen“. Die überdurchschnittlichen Gehälter könnten demnach zu steigenden Personalkosten im gesamten öffentlichen Dienst führen. Dem BMV warf der Bundesrechnungshof eine mangelnde Kontrolle vor.

Das Verkehrsministerium hält dagegen: In Zeiten des Fachkräftemangels sei „die Gewährung außertariflicher Vergütung […] für die Gewinnung und Bindung qualifizierter Führungs- und Fachkräfte unabdingbar“. Ein neues Vergütungskonzept soll künftig Transparenz schaffen und die vom Rechnungshof geforderte Kontrolle umsetzen.

Der Bundesrechnungshof verweist auf Anfrage darauf, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages den Bericht im Juni 2025 erhalten habe. „Dort wurde er bisher nicht abschließend beraten.“ Man könne ihn daher nicht kommentieren.

Die Baubranche ist von der Politik irritiert

Aus Sicht der Bauunternehmen fehlt es nicht an Personal, sondern an Verlässlichkeit. „Der Ausschreibungsstopp bei der Autobahn GmbH war eine Voll-Katastrophe“, sagt HDB-Chef Müller. Der Staat habe als verlässlicher Investor enorm an Glaubwürdigkeit verloren. „Wir als Unternehmen müssen Verträge einhalten, sonst drohen Vertragsstrafen. Aber wenn der Staat Investitionen verspricht und sie dann nicht umsetzt, wird das einfach so hingenommen. Das ist schon bemerkenswert.“

Zugleich kritisiert er strukturelle Schieflagen in den Etats: „Die Autobahn GmbH hat zwei Töpfe. Einen für Investitionen und einen für Administration. Inzwischen sei der Verwaltungstopf so groß, dass kaum noch Geld für Planung übrig bleibe. „Deshalb müssen Mittel aus dem Investitionstopf umgeschichtet werden.“ Daher fordere er, dass in den Haushaltsverhandlungen „massiv“ nachgelegt werden müsse, um die versprochene Investitionsoffensive umzusetzen.

Immerhin: In der vorläufigen Haushaltsplanung für 2026 steigert der Bund die Investitionen der Autobahn GmbH um rund 385 Millionen Euro auf 4,012 Milliarden Euro. Ausgaben für Betrieb, Planungsdienstleistung und Verwaltung sinken laut Plan leicht – liegen aber weiterhin bei über zwei Milliarden Euro. Außerdem sind für 2026 im Kernhaushalt, die Mittel für die Erhaltung der Straßen und weitere Bedarfsplanmaßnahmen im Vergleich zu 2025 gekürzt worden.

An Personal in der Baubranche selbst mangelt es derweil nicht. „Es gibt kein Bauprojekt in Deutschland, das daran gescheitert wäre, dass wir zu wenig Kapazitäten hätten.“ Man habe derzeit eine Auslastungsquote von rund 70 Prozent – also 30 Prozent Reserve, so Müller. Auch BMVB-Geschäftsführer Jonas sagt: „Die mittelständische Bauwirtschaft ist leistungsfähig und könnte deutlich mehr umsetzen, wenn die notwendigen Projekte verlässlich und ausreichend finanziert auf den Markt kämen.“

Müller plädiert für bessere Ausschreibungsformate und mehr Einbindung des unternehmerischen Know-hows: Die Ausschreibungen seien oft unzureichend vorbereitet. „Statt jede Leitplanke, jedes Schild und jede Markierung einzeln auszuschreiben, sollte man funktionale Ausschreibungen an den Markt bringen.“

Diese Lösungen plant die Regierung

Das Bundesverkehrsministerium verspricht, der Branche mit verschiedenen Hebeln unter die Arme zu greifen: schnellere Mittel aus dem Sondervermögen, ein seit Juli 2024 eingerichtetes Kompetenzzentrum für Brückenmodernisierung, sowie digitale Genehmigungsportale und gesetzliche Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung.

BVMB-Geschäftsführer Jonas begrüßt die vorgestellten Pläne im Koalitionsvertrag. „Bislang ist die Umsetzung dieser Maßnahmen jedoch kaum erkennbar.“ Neben der Finanzierung sei die im Koalitionsvertrag zugesagte Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung unverzichtbar. „Verfahren müssen deutlich gestrafft, rechtliche Hürden reduziert, Abläufe bundesweit vereinheitlicht und Planungsprozesse vollständig digitalisiert werden.“

HMB-Geschäftsführer Müller meint: Das zweite Halbjahr wird hierfür entscheidend sein. „Kann die Regierung den Geist, den sie selbst am Anfang beschworen hat, wieder aufleben lassen?“ Sonst droht womöglich kein verlorenes Baujahr, sondern eine verlorene Baulegislaturperiode.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Klemens Handke ist Wirtschaftsredakteur. Er schreibt über Verkehrspolitik und die Deutsche Bahn.

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