Die Sonne knallt, Sven Becker zieht sich die Mütze etwas tiefer ins Gesicht. In weißer Marine-Uniform steht der Marine-Kapitän auf dem Deck der „Berlin“ – dem größten Versorgungsschiff der Bundeswehr. Links hinter ihm weht eine deutsche Flagge mit Bundesadler am Heck des 174 Meter langen Schiffes, zu seiner Rechten ragt die New Yorker Skyline in den Himmel.
Für viele der 230 Männer und Frauen an Bord sei die Hafeneinfahrt ein „Once-in-a-lifetime-experience“ gewesen, sagt Becker und kommt ins Schwärmen. „Das war ein unglaubliches Erlebnis, an der Freiheitsstatue vorbeizufahren.“ Während Becker spricht, fliegen alle paar Minuten Helikopter über das Schiff, unten auf dem Wasser rasen Jetskis entlang, teilweise ist der Kapitän kaum zu verstehen.
Vier Wochen Fahrt durch den Nordatlantik hat die „Berlin“ hinter sich. Es ist eine Übungsmission, wie sie die Marine ständig durchführt – die aber auch Werbezwecken dienen soll. Den Abschnitt von Deutschland über Schottland nach Grönland haben Fernsehkamerateams begleitet.
Nun steht eine Gruppe Reporter mit gezückten Handys und Aufnahmegeräten auf dem Deck der „Berlin“, die im New Yorker Hafen direkt neben einem Kreuzfahrt-Riesen ankert. Auch das deutsche Generalkonsulat ist vertreten. Denn zwischen geopolitischen Spannungen, Zeitenwende und Wehrpflicht-Debatte sucht die Bundeswehr derzeit verstärkt die Öffentlichkeit.
Das ist kein Zufall. Der Ruf der Truppe war über Jahre ramponiert, die Suche nach neuen Soldaten läuft schon länger schwierig. Eine kaputt gesparte Armee, wenig beachtet von der Politik und gelähmt durch ihre dysfunktionale Beschaffung-Bürokratie? Dieses Image soll der Vergangenheit angehören.
Das Militär präsentiert sich nun als moderner und sicherer Arbeitgeber. Weil die Zielvorgaben entsprechend hoch sind – Kanzler Friedrich Merz schwebt die größte Armee Europas vor – fährt die Truppe eine beachtliche Personalkampagne. Die Aufrüstungspläne der Koalition aus Union und SPD, verbunden mit frischen Milliardenbeträgen, geben den nötigen Spielraum.
Ob die „Zeitenwende“ gelingt, hängt auch davon ab, wie stark das Militär ist. Über Jahre schrumpfte die Bundeswehr, während anderswo aufgestockt wurde. 181.174 aktive Soldaten gibt es derzeit in Deutschland sowie etwa 80.860 zivile Mitarbeiter.
Das ist weit von den Vorgaben entfernt. Ursprünglich war eine Zielgröße von 203.000 Soldaten bis 2031 vorgesehen, Verteidigungsminister Boris Pistorius aber plant, die Zahl auf 230.000 zu erhöhen.
Um neue Soldaten anzuwerben, geht die Truppe teils unkonventionelle Wege. Neben ihren bundesweit 16 Karrierecentern und 110 Karriereberatungsbüros ist die Bundeswehr vermehrt auf Veranstaltungen, Messen und sogar Festivals wie beispielsweise in Wacken vertreten.
Das zeigt Wirkung: Die Zahl der Bewerber stieg 2024 um fast 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch auf Europas größter Fitnessmesse, der „Fibo“ in Köln, gehören die Soldaten mittlerweile zu den Stammgästen. Über Influencer und eine ausgeklügelte Social-Media-Strategie wird dort neues Personal angeworben, wie WELT im Frühjahr berichtete.
Neben den Personalproblemen daheim muss die Truppe zudem ihre neue Rolle angesichts der veränderten geopolitischen Lage finden. Das soll auch die Übungsfahrt der „Berlin“ verdeutlichen. Das Transportschiff, dessen Hauptaufgabe die logistische Versorgung von Kriegsschiffen und die Behandlung Verletzter ist, nahm im Nordatlantik an einer von Kanada geführten Übung teil, nun steht in den USA der 250. Geburtstag der Navy an.
Fragen der versammelten Journalisten zu möglichen Kampfeinsätzen abseits von Übungen und zu US-Präsident Donald Trump beantworten die Truppen-Vertreter in New York kurz und gekonnt diplomatisch – um bloß nichts Falsches zu sagen. „Es gibt keine Veränderung auf meiner Ebene, was die Administration in den USA angeht“, sagt Kapitän Becker beispielsweise. Die Partnerschaft mit der U.S. Navy sei nach wie vor stark. Becker spricht von einem „ungebrochen hervorragenden Verhältnis“.
Auch Karsten Uwe Schlüter, der Kommandant der „Berlin“, hält sich knapp. „Wir waren bei in Grönland bei Freunden zu Gast“, sagt er. Wenige Monate bevor die Bundeswehr dort anlandete, ging US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Insel auf Erkundungstour. Die amerikanische Regierung möchte sich das riesige Land einverleiben – offiziell aus geostrategischen Überlegungen.
Tatsächlich haben Experten wiederholt die Frage aufgeworfen, inwiefern die USA militärisch noch ein enger Verbündeter für Deutschland ist. Präsident Trumps teilweise Abkehr von den Nato-Partnern und der wankelmütige Kurs gegenüber Russlands Machthaber Wladimir Putin hat in diplomatischen, aber auch in militärischen Kreisen für ein mittelschweres Beben gesorgt.
Und dann ist da noch die Debatte um die Wehrpflicht. „Natürlich lesen wir Zeitung und bekommen mit, wie in Deutschland über das Thema gesprochen wird“, sagt Becker. Die Marine sei beliebt, beteuert er – zumindest bei denjenigen, die sich bereits verpflichtet haben. „Die, die da sind, sind total begeistert.“
Aber wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Das Durchschnittsalter der „Berlin“-Besatzung liegt zwischen 30 und 40, leicht über dem allgemeinen Schnitt der Bundeswehr. Die Marine, die in Wilhelmshaven sitzt, könne bei der Personalsuche zwar punkten mit „neuen und modernen Waffensystemen“. Das allein reicht aber nicht, um neue Rekruten im großen Stil zu gewinnen.
Auf Nachfrage von WELT deutet Becker zwar an, dass er die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht befürwortet, bleibt aber auch hier diplomatisch unkonkret. Es gehe nun um „sukzessives Aufwachsen“, sagt er. „Schritt für Schritt im Rahmen der politischen Vorgaben.“ Eine „glaubhafte Abschreckung“, sei jedenfalls nur mit entsprechender Mannstärke möglich, so viel sei klar.
Wichtig seien aber nicht nur die Neuverpflichtung, sondern auch, die Menschen langfristig an das Militär als Arbeitgeber zu binden. „25 Jahre lief es bei der Bundeswehr in die falsche Richtung“, so der Kapitän. „Die richtigen Schritte sind nun angegangen worden.“
Becker sagt, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 habe auch in der Gesellschaft eine Art Zeitenwende stattgefunden. „Die Wahrnehmung von deutschen Soldaten in Deutschland wird positiver.“ Er erlebe das persönlich ganz konkret, beispielsweise, wenn er in Uniform Bahn fahre.
In Sachen Militär seien die USA eine Art Vorbild, findet er. „Viele unserer Soldaten laufen in Uniform durch New York. Die Bevölkerung reagiert darauf total positiv“, erzählt Becker. Das Mantra „Thank you for your service“, sei in den USA fest verankert. „Dieser Spruch – Vielen Dank für Ihren Dienst – etabliert sich ein Stück weit auch in Deutschland.“ Vor ein paar Jahren noch, sagt Becker, sei das kaum denkbar gewesen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.
Jan Klauth ist US-Korrespondent mit Sitz in New York.
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