Zwei ehemalige Sowjetrepubliken feiern einen "Friedensgipfel" im Weißen Haus in Washington. Was die Staatschefs von Armenien und Aserbaidschan am letzten Freitag mit großer Geste und reichlich Schmeicheleien für Donald Trump in den USA aufführten, wäre vor zwei Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Und es geht keineswegs nur um schöne Worte, sondern um harte geopolitische und wirtschaftliche Fakten: Die seit über 30 Jahre verfeindeten Staaten investieren in ein großes gemeinsames Verkehrsprojekt unter Beteiligung der Vereinigten Staaten, das die große aserbaidschanische Exklave Nachitschewan besser mit dem Rest der Republik verbindet. Sie nennen es in Baku den "Trump-Korridor".
Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.
Das erdölreiche Aserbaidschan geht seit geraumer Zeit auf Distanz zu Russland. Und das bitterarme Armenien, das sich bisher auf die "Schutzmacht" Russland verlassen hatte, nabelt sich ebenfalls ab, seit es im letzten Krieg mit Aserbaidschan schnöde von Wladimir Putin verraten wurde. Wenn die gemeinsame Befreiung aus der russischen Umklammerung vorankommt, wird sie die Fliehkräfte an der russischen Peripherie weiter verstärken. Auch die mittelasiatischen Staaten, allen voran das rohstoffreiche Kasachstan, wollen sich unabhängiger von Moskau machen. Weil sich Putin seit dem Überfall auf die Ukraine ganz um seine Westgrenze kümmern muss, entstehen im Süden und im Osten Russlands neue Freiräume.
Natürlich geht alles nicht ohne Kämpfe ab, wie man in Georgien sehen kann, dem direkten Nachbarland Aserbaidschans und Armeniens. Dort versucht Putin mit Hilfe eines Milliardärs, der sein Geld vor allem in Russland verdient, den Weg nach Europa zu versperren. Seit Monaten kämpfen große Teile der städtischen Bevölkerung in Georgien gegen die prorussische Regierung in Tiflis. Tag für Tag kommt es zu Demonstrationen, die alles lahmlegen.

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Chancen für die deutsche Wirtschaft
Man darf sich den Prozess der Loslösung von Moskau nicht geradlinig vorstellen. Je ärmer die ehemaligen Sowjetrepubliken sind, umso mehr sind sie ökonomisch eng mit der früheren Kolonialmacht Russland verbunden. Das gilt vor allem für das traditionelle Armenhaus Zentralasiens, die Republik Tadschikistan. Seit vielen Jahren arbeiten Hunderttausende von Tadschiken als Gastarbeiter in Russland. Unter ihnen kommt es jetzt immer wieder zu Zwangsrekrutierungen für die Front in der Ukraine.

Russland Putins Todesmaschine: Das zynische Geschäft mit Soldaten
capitalAber selbst in den Ländern, die immer noch eng an Russland gebunden sind, wirken die Fliehkräfte. Ganz Mittelasien orientiert sich immer stärker nach Osten und nach Süden. China und die Türkei üben eine große Anziehungskraft auf die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken in der Region aus. Dieser Trend wird sich eher noch verstärken. Trotz aller Schwüre einer ewigen Freundschaft mit Russland verfolgt die chinesische Politik knallhart ihre eigenen nationalen Interessen in der Region.
Auch für die deutsche Wirtschaft ergeben sich große Chancen, je mehr sich die ehemaligen Sowjetrepubliken von Putin abkoppeln. Die deutschen Exporte nach Kasachstan schießen seit zwei Jahren massiv in die Höhe. Und das Erdöl aus Aserbaidschan fließt verstärkt in die EU. Allerdings können sich die Warenströme schnell wieder umkehren: Wenn Wladimir Putin das Schlachtfeld in der Ukraine als Sieger verlassen sollte, müssen all die Länder an der Peripherie mit starkem Druck rechnen, sich wieder unter die Fittiche des russischen Doppeladlers zu begeben.
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