Mit dem Argument, dass ein schlechter Deal immerhin besser sei als andauernde Unsicherheit, versucht etwa Kanzler Merz, die umstrittene Zoll-Einigung zu verteidigen. Nach allem, was bekannt ist, sind die offenen Punkte und Ungereimtheiten aber so groß, dass von einer Beilegung des Handelskonflikts kaum die Rede sein kann.

Für US-Präsident Donald Trump ist es der "größte Deal aller Zeiten". Bundeskanzler Friedrich Merz zeigt sich nach dem Handschlag zwischen Trump und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zwar "nicht zufrieden", betont aber: "Von stabilen und planbaren Handelsbeziehungen mit Marktzugang für beide Seiten profitieren alle." Auch an der Börse herrschte zunächst Erleichterung, dass mit dem Deal nun die monatelange Zeit der Unsicherheit vorbei sei. Am Morgen danach stieg der deutsche Leitindex Dax deutlich - um dann jedoch im Laufe des Tages deutlich ins Minus zu fallen. Denn es setzte sich nicht nur die Erkenntnis durch, welche Kröten die EU schlucken muss, sondern vor allem, wie viele Punkte offengeblieben und wie widersprüchlich die Angaben beider Seiten darüber sind, was überhaupt vereinbart wurde.

Von der Leyen selbst sprach nach dem Treffen mit Trump von einer "Rahmenvereinbarung". Anders als die Kommissionschefin es darstellt, bleiben dabei allerdings nicht nur Details zu klären, sondern auch durchaus grundsätzliche Fragen. Deutlich wird das dadurch, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal ein gemeinsames Grundsatzpapier schriftlich vorliegt. Alles, was bisher über den Deal bekannt ist, beruht auf mündlichen Äußerungen des Weißen Hauses und der Kommission. Und diese Angaben klaffen teilweise weit auseinander.

Klar ist, Trump will schon ab diesem Freitag, den 1. August, einen "Mindestzoll" auf alle Importe aus der EU einführen. Laut Weißem Haus einschließlich der bislang weitgehend zollbefreiten pharmazeutischen Produkte. EU-Vertreter betonen dagegen laut "Euronews", dass explizit die Ausnahme von Pharmaprodukten vereinbart worden sei, zumindest bis eine Untersuchung von US-Behörden zu dem Thema abgeschlossen sei. Unklar ist ebenfalls, ob Halbleiter unter den 15-Prozent-Basiszoll fallen.

EU soll mehr Gas kaufen als die USA überhaupt exportieren

Für Stahl und Aluminium-Importe in die USA hat die EU offenkundig zugestimmt, dass der von Trump vor Monaten verhängte 50-Prozent-Zollsatz dauerhaft bestehen bleibt. Allerdings wurde laut EU-Darstellung auch vereinbart, dass es - noch genau zu bestimmende - zollfreie Kontingente für europäische Exporteure geben soll. Das bedeutet, dass die hohen Zölle nur einen Teil der europäischen Stahl- und Aluminiumausfuhren der EU in die USA betreffen würden. In der Darstellung des Weißen Hauses dagegen tauchen diese Kontingente nicht auf.

Dafür heißt es in der US-Zusammenfassung des Deals, die EU habe im Zuge der Verhandlungen "zugestimmt, erhebliche Mengen an US-Militärausrüstung zu kaufen". Das wäre schon deshalb ungewöhnlich, weil allein die Mitgliedstaaten der EU mit der Rüstungsbeschaffung befasst sind. Von EU-Seite heißt es entsprechend, eine solche Vereinbarung gebe es nicht.

Teil des Deals sind zudem massive europäische Investitionen in den USA und der Kauf amerikanischer Energieträger - hauptsächlich Erdgas - durch die EU im Wert von 750 Milliarden Dollar innerhalb von nur drei Jahren. Dieser Teil der Vereinbarung wird von den EU-Vertretern nicht bestritten. Allerdings heißt es, dass es nur eine Absichtsbekundung gebe.

Durchgeführt werden könnten Importe und Investitionen nur von privaten Unternehmen. Zudem ist die Summe der angeblich geplanten Energiekäufe so hoch, dass unklar ist, wie US-Unternehmen so viel überhaupt liefern könnten in den nächsten drei Jahren. Zum Vergleich: Im letzten Jahr importierte die EU Energieträger für gut 75 Milliarden Dollar aus den USA. Der gesamte Energieexport der USA belief sich auf rund 166 Milliarden Dollar.

Solange ein Punkt offen ist, ist alles offen

Dass diese Widersprüche, Ungereimtheiten und vielen weiteren offenen Fragen in den kommenden Wochen oder Monaten in Verhandlungen auf Expertenebene geräuschlos ausgeräumt werden, ist kaum zu erwarten. Unter den bislang ungelösten Streitpunkten sind auch politisch sensible Themen wie der Agrarmarkt und Lebensmittelsicherheit. Da komplexe Vereinbarungen wie Handelsabkommen immer Paketlösungen sind, bei denen am Ende alle Themen zusammen betrachtet und abgewogen werden, gilt: Solange ein Punkt offen ist, ist alles offen.

Anschließend an eine noch gar nicht abzusehende Einigung auf ein vollständiges Abkommen steht zumindest in Europa ein komplexer Ratifizierungsprozess unter anderem durch das Europaparlament und die Mitgliedstaaten an. In den USA ist unterdessen noch nicht einmal klar, wer für eine Ratifizierung zuständig ist. Ob Trump ohne Zustimmung des Kongresses überhaupt umfangreiche Zölle verhängen darf, ist derzeit Gegenstand von Gerichtsprozessen. Von Planungssicherheit für europäische Unternehmen kann auf absehbare Zeit somit keine Rede sein.

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