Eine weitere Eskalation des Zollstreits scheint durch die Einigung zwischen der EU und den USA vorerst abgewendet. Wirtschaftsvertreter sind aber keineswegs begeistert, Experten warnen vor enormen Folgen.
Die Einigung im Zollstreit zwischen der Europäischen Union und den USA hat neben leichter Entspannung vor allem kritische Reaktionen in der Wirtschaft ausgelöst. Der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump verkündete Kompromiss lasse die deutsche Wirtschaft zwar "vorerst durchatmen", sagte die Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Helena Melnikov. Der Deal habe jedoch seinen Preis, "und dieser Preis geht auch zu Lasten der deutschen und europäischen Wirtschaft".
Die EU und die USA hatten sich zuvor auf eine Grundsatzvereinbarung zur Entschärfung des seit Monaten andauernden Zollkonflikts geeinigt. Von der Leyen zufolge werde der Zollsatz auf die meisten europäischen Importe in die USA bei 15 Prozent liegen, das gelte auch für Autos, Halbleiter und Pharmaprodukte. Die Zölle auf die Einfuhr von Stahl und Aluminium bleiben dem US-Präsidenten zufolge bei 50 Prozent.
"Kurzfristig Stabilität, mehr nicht"
"Für viele Unternehmen ist das eine dringend benötigte Atempause", sagte DIHK-Chefin Melnikov. Die EU habe mit der Einigung Schlimmeres verhindert, auch wenn viele Details noch unklar blieben. "Die Einigung schafft kurzfristig Stabilität, mehr nicht. Es ist nur ein erster Schritt." Die EU müsse nun mit den USA weiter verhandeln "und an einem umfassenden, fairen und zukunftsgerichteten Handelsabkommen arbeiten".
Trotz der Einigung seien Bundesregierung und EU-Kommission gefordert, "die richtigen Schlüsse zu ziehen: Wir brauchen wettbewerbsfähige Standortbedingungen, verlässliche Politik, gezielte Investitionsanreize und vor allem mehr Tempo und weitere Freihandelsabkommen", sagte Melnikov. Das Mercosur-Abkommen müsse endlich ratifiziert, die Verhandlungen mit Indien, Indonesien und Australien mit Nachdruck weitergeführt werden.
Zu viele Zugeständnisse Europas?
Der Industrieverband BDI äußerte sich deutlich kritischer zum Handelsdeal. Er sende ein fatales Signal, in dem die EU schmerzhafte Zölle in Kauf nehme, sagt BDI-Experte Wolfgang Niedermark. "Denn auch ein Zollsatz von 15 Prozent wird immense negative Auswirkungen auf die exportorientierte deutsche Industrie haben."
Der BDI kritisierte zudem die weiter hohen Zölle auf Stahl und Aluminium. Das sei ein zusätzlicher Tiefschlag. "Das setzt eine Schlüsselbranche weiter unter Druck, die ohnehin vor enormen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb und durch die Transformation steht", erklärte Niedermark. Die EU müsse nun zeigen, dass sie mehr sei als ein Binnenmarkt. "Wir brauchen eine Strategie für eine wettbewerbsfähige und resiliente Wirtschaft sowie den politischen Willen, im globalen Machtgefüge selbstbewusst mitzuspielen."
Positiv sei zumindest, dass eine weitere Eskalationsspirale zunächst abgewendet worden sei. "Entscheidend ist jetzt, dass das geschlossene Übereinkommen verbindlich wird."
Außenhandelsverband: Jedes Prozent Zoll ist zu viel
Der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbands VCI, Wolfgang Große Entrup, sagte: "Wer mit einem Hurrikan rechnet, ist für ein Unwetter dankbar." Auch wenn eine weitere Eskalation vermieden worden sei: Europas Exporte seien mit dem Deal weniger wettbewerbsfähig, die vereinbarten Zölle aus Sicht der Chemie zu hoch.
Der deutsche Außenhandelsverband nannte die Zolleinigung mit den USA einen "schmerzhaften Kompromiss". Jedes Prozent Zoll sei ein Prozent zu viel, erklärte der Präsident des Branchenverbands BGA, Dirk Jandura. "Der Zollaufschlag bedeutet für viele unserer Händler eine existenzielle Bedrohung."
Auch wenn jetzt zunächst Sicherheit über die Handelsbedingungen herrsche, würden sich Lieferketten verändern und Preise erhöhen. "Die Einigung mit den USA wird hier im Land spürbare Auswirkungen haben. Sie wird Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze kosten."
Ökonomin warnt vor "enormen Wohlstandsverlust"
Die Finanzmarktökonomin Ulrike Malmendier warnte in einem Interview bei tagesschau24 vor den Folgen des Kompromisses für die Wirtschaft und die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Europäischen Union. Auch die nun vereinbarten Zölle von 15 Prozent dürften zu einem "enormen Wohlstandsverlust" führen, so die Expertin. "Und das traurige ist, dass das auf absehbare Zeit auch nicht mehr weggehen wird. Denn wenn solche Zölle erhoben sind, wird es schwierig diese wieder herunter zu bekommen."
Interessanterweise gingen Expertinnen und Experten davon aus, dass die Folgen besonders stark in den USA zu spüren sein dürften, so Malmendier. Es werde erwartet, dass das Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) um etwa 1,5 Prozent geringer ausfallen könnte. Für die EU dürften die Folgen beim BIP nur halb so schlimm sein. Allerdings sei zu betonen, dass es in diesen Berechnungen große Unsicherheiten und Varianz gebe, denn es sei ja beispielsweise nicht absehbar, wie lange diese Zölle nun in Kraft sein werden.
Ulrike Malmendier, Finanzmarktökonomin, zum Ergebnis der Zollverhandlungen zwischen EU und USA
tagesschau24, 27.07.2025 20:00 UhrIW-Direktor: Trumps Zolldrohung nicht vom Tisch
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnte vor weiteren Störfeuern aus Washington. "Darauf vertrauen, dass nun Ruhe herrscht, kann man nicht", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Trump nimmt die Zolldrohung nie vollends vom Tisch." Auch deshalb wäre eine kraftvollere Verhandlungsstrategie der EU sinnvoll gewesen.
Der Präsident des Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, schrieb auf X: "Die kurzfristigen ökonomischen Kosten des Deals mit Trump sind für Deutschland und EU beherrschbar, aber es gibt keinen Grund zum Jubeln über dieses handelspolitische Appeasement." Die höheren Kosten kämen später, so Schularick.
Auch der IfW-Präsident warnte vor den Kurswechseln des US-Präsidenten: "Statt die regelbasierte Welthandelsordnung zu verteidigen, schlägt die EU in einen Deal ein, von dem unsicher ist, wie lange er hält, der von den Launen eines Populisten und nicht vom Recht regiert wird und der mit den Regeln der Welthandelsorganisation kaum vereinbar ist."
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