Der Hunger im Gazastreifen hat ein dramatisches Ausmass angenommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einer Massenhungersnot – bewusst verursacht von Israel. Nun will Israel den Abwurf von Hilfsgütern über dem Gazastreifen wieder erlauben. International steigt der Druck auf Israel. Aber wie sieht es im Land selber aus? Vera Weidenbach schildert, wie die Krise im Gazastreifen in Israel wahrgenommen wird.
SRF News: Wie wird in Israel über die Lage im Gazastreifen berichtet?
Vera Weidenbach: Das kommt sehr darauf an, welche Medien man konsumiert. In den grossen Fernsehsendern, wo die meisten Menschen Nachrichten schauen, kommt die Hungersnot und auch die humanitäre Situation im Gazastreifen sehr wenig vor. Es werden wenige Bilder gezeigt und in den Talkshows hört man Dinge wie «Wir haben keine Beweise für die Hungersnot». Die israelische Regierung hat die Schwere der Lage bisher auch von sich gewiesen und macht die UNO verantwortlich. Dieses Bild wird in den Medien weitgehend so übernommen. Stimmen und Zeugnisse von Menschen im Gazastreifen hört man kaum.
Wie ist denn die Wahrnehmung in der israelischen Bevölkerung – gibt es da kritische Stimmen?
Die Lage in der Bevölkerung ist gespalten – wobei eine grosse Mehrheit will, dass der Krieg beendet wird; in den letzten Umfragen waren es über 70 Prozent. Das sieht man auch regelmässig an den grossen Demonstrationen für die Geiselbefreiung und für ein Ende des Krieges. Aber die meisten jüdischen Israeli haben nicht unbedingt an erster Stelle die Menschen im Gazastreifen im Sinn, sondern eben die Geiseln und die israelischen Soldaten, die im Krieg fallen.
Stimmen, die in den Medien sehr wenig repräsentiert sind, werden jetzt auf der Strasse sichtbarer.
Dann gibt es einige Organisationen von Israeli gemeinsam mit Arabern. Diese Stimmen sind in der letzten Zeit lauter geworden. Man vergisst gerne, dass über 20 Prozent der Bevölkerung in Israel arabische Israeli sind. Und diese Demonstrationen, die kleiner sind als die grossen Antiregierungsproteste mit Bildern von getöteten Kindern in Gaza und jetzt eben von hungernden Kindern in Gaza, die sind in der letzten Woche grösser geworden. Diese Stimmen, die politisch und in den Medien sehr wenig repräsentiert sind, werden jetzt auf der Strasse sichtbarer.
Israel will wieder den Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft erlauben. Geschieht das auf Druck von innen oder von aussen?
Innenpolitisch kann ich keine Veränderung der Lage erkennen. Regierungschef Benjamin Netanjahu ist nach wie vor in der Zwickmühle, dass seine ultrarechten Koalitionspartner die Regierung verlassen würden, wenn er den Krieg dauerhaft beenden sollte. Auch die Demonstrationen im Land sind nach wie vor gross, aber Netanjahu sieht diese Menschen, die auf die Strasse gehen, nicht als seine Hauptwählerschaft. Deshalb glaube ich, dass es jetzt tatsächlich der internationale Druck ist, der grösser geworden ist. Und auch der Fakt, dass die humanitäre Situation sich derart verschärft hat.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.
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