Katar will Europa kein Gas mehr liefern, sollte sich die EU-Kommission weigern, die wichtigsten Klimaschutz-Auflagen aus ihrer Lieferkettenrichtlinie zu streichen. Die schriftliche Androhung des Embargos und eine Liste mit konkreten Änderungsvorschlägen zur EU-Richtlinie liegen WELT AM SONNTAG vor. Die EU-Kommission bestätigte, dass ein entsprechendes Schreiben eingegangen sei.
Ohne die Lieferungen von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) des Emirats sind die für 2028 geplanten Gassanktionen der EU gegen Russland nach Experteneinschätzung nicht durchzuhalten. Außerdem drohen höhere Gaspreise in Europa.
In dem am 21. Mai an die Regierung von Belgien verschickten vierseitigen Schreiben droht der Energieminister von Katar, Saad Sherida Al-Kaabi, offen mit einem Lieferstopp. Die EU müsse weitere Änderungen an der Lieferkettenrichtlinie vornehmen, sonst „wird der Staat Katar und QatarEnergy ernsthaft alternative Märkte außerhalb der EU für unser LNG und andere Produkte in Betracht ziehen müssen, die ein stabileres und unternehmensfreundlicheres Geschäftsumfeld bieten“.
Der dem Klimaschutz gewidmete Artikel 22 der EU-Richtlinie, genannt „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD), enthalte „offensichtliche Unstimmigkeiten und Spannungen“ mit den in Katar geltenden Gesetzen und Standards.
Das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Recht jedes Staates, sich eigene Klimaschutzziele zu setzen, werde von der EU missachtet. Die „hohen Geldbußen, Strafen und die zivilrechtliche Haftung bei Nichteinhaltung von Artikel 22“ stellten ein Risiko dar, das die Fähigkeit QatarEnergys unterminiere, „weiterhin LNG und andere Produkte an die EU zu liefern“.
Belgien reguliert den europäischen LNG-Hafen Zeebrugge. Nach Informationen von WELT AM SONNTAG soll Katars Androhung eines Lieferstopps aber auch anderen EU-Staaten zugegangen sein. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium erklärte auf Nachfrage, man äußere sich „zu etwaiger vertraulicher Korrespondenz mit anderen Staaten grundsätzlich nicht“. Der Abgeordnete der Union im Europaparlament, Christian Ehler, teilte jedoch mit: „Das Schreiben der Katarer hat unser Büro in Brüssel bereits erreicht, und es wird an einer politischen Lösung innerhalb der EU gearbeitet.“
Die EU will bis 2050 klimaneutral werden, diese Jahreszahl ist im Weltklima-Abkommen von Paris jedoch nicht festgeschrieben. „Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmen nicht gezwungen werden sollten, sich zwischen den Klimapolitiken ihres eigenen Staates und den EU-Vorschriften entscheiden zu müssen“, heißt es in dem Schreiben Kaabis.
Bereits auf dem sogenannten Doha-Forum Ende 2024 hatte Kaabi erklärt, Katar strebe keine kurzfristige Klimaneutralität an. Strafzahlungen von bis zu fünf Prozent des globalen Umsatzes und zivile Haftungsrisiken, die sich aus der europäischen Lieferkettenrichtlinie ergeben, seien deshalb nicht akzeptabel.
Er werde „die EU sicher nicht mit Flüssigerdgas beliefern, um ihren Energiebedarf zu decken, und dann mit unseren gesamten weltweiten Einnahmen bestraft werden“, zitierte die „Qatar Tribune“ den Minister aus der Veranstaltung. Das Schreiben stellt nun eine weitere Eskalationsstufe im Streit zwischen Doha und Brüssel dar.
Katar ist drittwichtigster Lieferant der EU
Laut der Statistikbehörde Eurostat deckte Katar im ersten Quartal dieses Jahres 10,8 Prozent des europäischen Bedarfs an LNG. Das Emirat ist damit drittwichtigster Versorger hinter den USA (50,7 Prozent) und Russland (17 Prozent). Wird Russland wie geplant ab spätestens 2028 sanktioniert, während sich Katar vom europäischen Markt abwendet, müsste die EU also mehr als ein Viertel aller Flüssiggasimporte ersetzen. Eine Ausweitung der LNG-Lieferungen aus den USA könnte wegfallende Mengen in dieser Größenordnung nicht kompensieren.
Zudem würde der LNG-Anteil der USA bei einem Wegfall der katarischen Lieferungen schnell Richtung 60 Prozent steigen und Europa damit erneut abhängig von einem einzigen Lieferland werden. Die EU ist ohnehin stark auf Flüssiggas angewiesen: Machte LNG 2021 noch 20 Prozent der Gasimporte aus, waren es 2024 bereits 37 Prozent. Nach dem vollständigen Stopp russischer Pipeline-Lieferungen Anfang dieses Jahres liefern nur noch Norwegen und Algerien größere Mengen per Pipeline: Norwegen allein deckt fast 53 Prozent der europäischen Gasimporte ab. Ein Lieferstopp Katars würde den Grad der Abhängigkeit noch vergrößern.
Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft und Klimapolitik. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.
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