Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die unsichere Rolle der USA bei der künftigen Unterstützung der Nato haben Europa aufgerüttelt. Jetzt sei die grossflächige Kooperation aller Nationalstaaten gefragt, sagt Sicherheitsexpertin Pia Fuhrhop von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
SRF News: Die europäische Rüstungsbeschaffung ist für ihre Langsamkeit bekannt – man hört von sieben Jahren für die Evaluation eines Gewehrs. Haben die europäischen Länder das militärische Aufrüsten verlernt?
Pia Fuhrhop: Solange europäische Armeen sich an weit vorausplanbaren Auslandseinsätzen orientieren konnten, wurden Waffensysteme sehr lange ausgesucht. Diese Zeit haben wir in Europa unter den jetzigen Bedingungen nicht mehr. Beschaffungen müssen heute deutlich schneller entschieden und umgesetzt werden, und dieses Bewusstsein scheint zumindest in Deutschland angekommen zu sein.
Es scheint, als sei Geld im Moment nicht das vordringlichste Problem. Die Nato-Staaten haben sich zu höheren Ausgaben verpflichtet. Ist die Finanzierungsfrage weitgehend gelöst?
Wir wissen noch gar nicht so genau, wie viel Geld in Europa insgesamt zur Verfügung stehen wird. Die Verpflichtungen im Rahmen der Nato oder die neuen Finanzierungsmöglichkeiten durch die EU sind zunächst einmal Ankündigungen. Die Zeichen stehen zwar auf grössere Ausgaben, aber ob es diese dann auch wirklich geben wird, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.
Die Staaten sollten gemeinsam festlegen, welche Schlüsseltechnologien Europa für die nächsten zehn Jahre eigenständig beherrschen will.
Die Geldfrage einmal beiseitegelegt – was ist der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche europäische Verteidigungspolitik?
Geld löst die Kooperationshemmnisse in Europa tatsächlich nicht auf. Es braucht zwingend mehr europäische Kooperation. Das beginnt bei einer Harmonisierung des Bedarfs, sodass Nationalstaaten nicht mehr einzeln festlegen, was sie brauchen, sondern gemeinsam definieren, welche Rüstungsgüter benötigt werden. Nur so können sie in grösserer Stückzahl beschafft werden. Entscheidend aus meiner Sicht: Die Staaten sollten gemeinsam festlegen, welche Schlüsseltechnologien Europa für die nächsten zehn Jahre eigenständig beherrschen will.
Diese Kooperation scheitert oft an nationalen Interessen, gerade wenn es um die eigene Industrie geht. Wer muss Druck ausüben, damit sich das ändert?
Den Druck muss die Politik sich selbst machen. Die Staaten bestellen und bezahlen diese Rüstungsgüter. Es liegt an ihnen, die Nachfrage zu steuern und dafür zu sorgen, dass etwa Anforderungen an einen neuen Kampfpanzer nicht auf 13 verschiedene Weisen nationalstaatlich definiert werden. Am wichtigsten wäre dabei, dass nationale Interessen zugunsten gemeinsamer Beschaffungen zurückstehen.
Europa hat mit Blick auf das, was militärisch nötig ist, kein Erkenntnisproblem. Aber es gibt ein Umsetzungsproblem.
Wo liegen die Probleme bei der Umsetzung?
Europa hat mit Blick auf das, was militärisch nötig ist, kein Erkenntnisproblem. Aber es gibt ein Umsetzungsproblem. An dieser Umsetzung muss in der aktuellen Phase intensiv gearbeitet werden. Viel wird davon abhängen, ob weiterhin das Gefühl von äusserem Druck besteht, weil man sich nicht mehr sicher sein kann, wie viel die USA in Zukunft noch für die europäische Sicherheit leisten wollen.
Das Interview führte Charles Liebherr.
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