Nicht alle wollen erst mit 67 in den Ruhestand gehen. Ein alternativer Ansatz: früh finanziell unabhängig sein - und von den Erträgen des eigenen Vermögens leben. Kann das gelingen?
Rente mit 67 Jahren - das klingt für manche Menschen nicht allzu verlockend. Stattdessen wollen viele bereits mit 40 Jahren finanziell unabhängig sein und von den Erträgen des eigenen Vermögens leben können - ganz ohne Erwerbsarbeit.
Wer mit 40 in Rente gehen will, der will finanziell frei und unabhängig sein, selbstbestimmt leben und vielleicht auch einfach nicht mehr arbeiten gehen. "Ganz oft geht es insbesondere um das Thema Selbstbestimmung und darum, auch einfach die Option zu haben, nicht von einem Arbeitgeber oder einer starren Hierarchie abhängig zu sein", sagt Katharina Lüth, Vorständin beim Fintech-Unternehmen Raisin im ARD-Finanzformat 50k auf YouTube: "Hier kann teilweise schon der Weg das Ziel sein: Kann ich mir ein Sabbatical leisten oder vielleicht auch Teilzeit erlauben?"
Was hinter der Vier-Prozent-Regel steckt
Menschen, die das versuchen, nennt man Frugalisten. Sie leben sparsam und wollen durch gezieltes Sparen finanzielle Freiheit erreichen. Dahinter steckt ein gut durchdachter Plan, denn finanzielle Freiheit will gut vorbereitet sein - besonders was die Ersparnisse betrifft. Wie viel Geld man dafür ansparen muss, hängt davon ab, wie viel man tatsächlich monatlich zum Leben braucht. Frugalisten gehen dabei meist davon aus, dass man das ersparte Kapital gar nicht mehr anrührt, sondern nur noch von den Kapitaleinkünften lebt, also von Dividenden, Zinserträgen, Mieteinnahmen oder Unternehmensbeteiligungen.
Die Grundlage dafür ist die sogenannte Trinity-Studie aus dem Jahr 1998, die nachhaltige Entnahmeraten aus einem Ruhestandsportfolio untersucht hat. Vereinfacht gesagt geht es darum, herauszufinden, wie viel Geld man jährlich aus einem Portfolio entnehmen kann, ohne dass das Geld schon vor Ablauf einer bestimmten Frist aufgebraucht ist. Das Ergebnis: Wenn man über 30 Jahre lang jährlich vier Prozent aus seinem Portfolio entnimmt, reicht das Geld auch so lange. Vorausgesetzt, es ist langfristig breit gestreut angelegt.
Wichtig ist dabei aber: Es sei eben nur eine grobe Richtlinie, betont Expertin Katharina Lüth: "In 95 Prozent der Fälle hat das Geld gereicht, wenn man mehr in Aktien investiert hat. Das heißt aber auch: Nur weil es im Durchschnitt funktioniert, sollte man sich nicht zu 100 Prozent darauf verlassen."
Das 25-Fache der jährlichen Ausgaben ansparen
Frugalisten wie Oliver Noelting - in der Szene so etwas wie ein Vorreiter - beziehen sich bei ihren Berechnungen zur nötigen Ansparsumme und Entnahmerate im Rentenalter auf die Trinity-Studie und die Vier-Prozent Regel. Er betont etwa, dass die Vier-Prozent-Regel für ihn eine solide Faustregel dafür sei, "wie viel Geld ich benötige, um finanziell unabhängig zu sein und nie wieder arbeiten gehen zu müssen."
Wer jedes Jahr vier Prozent aus seinem Portfolio entnimmt, gibt ein Fünfundzwanzigstel seines Vermögens aus. Daraus ergibt sich dann wiederum eine Sparrate für die Zeit vor der Rente: Man braucht das 25-Fache der jährlichen Ausgaben, damit man das Vermögen in der Rente deckt.
Eine Million Euro in wenigen Jahren?
Das Ganze lässt sich auch konkretisieren: Ein durchschnittlicher privater Haushalt gab im Jahr 2022 laut Statistischem Bundesamt 2.846 Euro pro Monat aus. Mit Tools wie dem "Finanzielle Freiheit Rechner" von Finanzfluss kann man errechnen, wie viel Geld man zur Seite legen müsste, um 2.846 Euro netto pro Monat zur Verfügung zu haben. Es gibt aber auch andere Rechner - die Ergebnisse können entsprechend unterschiedlich ausfallen.
Geht man von einer erwarteten Rendite von durchschnittlich sechs Prozent pro Jahr aus, wie sie der MSCI World schafft, und von 15 Jahren Ansparphase, dann bräuchte man mehr als eine Million Euro, um mit 40 Jahren in Rente gehen zu können und dann 30 Jahre lang davon leben zu können. Um das zu erreichen, müsste man monatlich mehr als 5.000 Euro zur Seite legen. Allerdings sei hier betont, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern bei 78,2 und von Frauen bei 83 Jahren liegt.
Frugalisten leben extrem sparsam
Zum Vergleich: Das durchschnittliche Bruttogehalt bei Vollbeschäftigten lag im April vergangenen Jahres bei 4.634 Euro monatlich. Davon gehen noch Steuern und Sozialversicherungen ab. Und: Im Schnitt sparen die Deutschen laut Statistischem Bundesamt rund zehn Prozent ihres Einkommens. Das klingt im Vergleich zu den 5.000 Euro wenig, ist aber im Vergleich zu anderen Ländern sogar eine verhältnismäßig hohe Quote. In Österreich etwa liegt die Sparrate bei rund neun Prozent, in den USA bei 4,7 Prozent und in Japan nur bei 2,8 Prozent.
Viele Frugalisten leben aber oft mit weniger als der Durchschnittsdeutsche - sie geben also weniger Geld im Monat aus und sparen stattdessen rund 70 Prozent ihres Einkommens. Reduziert man die angenommene Rentensumme auf 1.500 Euro pro Monat, bräuchte man auch nur noch eine Sparrate von 2.637 Euro, um eine halbe Million zu erreichen.
Das hieße aber auch, dass man im täglichen Leben viele Einschränkungen hinnehmen muss, betont auch Expertin Katharina Lüth: "Das bedeutet in der Regel eher in einem kleinen Zimmer oder in einer WG zu leben - oder auf dem Land. In beliebten Großstadtlagen kann man dann nicht wohnen, weil die Miete schon gut zwei Drittel des Budgets von 1.500 Euro kostet."
Finanzielle Situation kann sich verändern
Nur mit geringeren Ausgaben als im Durchschnitt ist es überhaupt möglich, deutlich vor Erreichen des Regelrenteneintrittsalters aufzuhören zu arbeiten. Und es gebe Risiken, die sich nur schwer vorhersagen lassen, betont Lüth: "Wenn ich zum Beispiel zur Miete wohne und einen sehr günstigen Mietvertrag habe, dann aber wegen einer Eigenbedarfskündigung eine neue Wohnung suchen muss, dann kann das zu einem plötzlichen Sprung in meinen Mietkosten führen, den ich nicht einkalkuliert habe."
Sie betont, dass es immer wieder Situationen gebe, die das Leben und auch die finanzielle Situation entscheidend verändern könnten - etwa die Gründung einer Familie oder ein Jobverlust. Und auch in der Entnahmephase - also in der Zeit, in der man schon in Rente ist - gebe es Risiken: "Ich kann zum Beispiel nicht sagen, dass ich alle meine Aktien in einem Hoch verkaufe, sondern muss immer einen Teil entsparen. Auch dann, wenn der Aktienmarkt gerade niedrig steht", so Lüth.
Steuern, Krankenversicherung und das Geld aus der Rentenkasse
Und auch während der Entnahmephase muss man Steuern zahlen: "Generell ist wichtig, dass, wenn ich Aktien entnehme, das Ganze der Kapitalertragssteuer unterliegt. Das gilt einerseits für Dividenden - die muss ich voll versteuern", erklärt die Expertin. Das gelte aber auch, wenn Aktien oder ETF-Anteile mit Gewinn verkauft werden. Diese sogenannte Abgeltungssteuer liegt bei 26,375 Prozent. Dann kann mit der Günstigerprüfung reduziert werden. Das ist ein Verfahren im deutschen Steuerrecht, das es ermöglicht, zu prüfen, ob die Besteuerung von Kapitalerträgen mit dem persönlichen Steuersatz günstiger ist als die Abgeltungssteuer.
Und auch die Krankenversicherung darf man nicht vergessen: Wer mit 40 Jahren aufhört zu arbeiten und freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse bleibt, muss weiter Beiträge zahlen, hat aber zum Beispiel keinen Anspruch auf Krankengeld. Und wer nicht mehr arbeitet, der zahlt auch nicht mehr in die Rentenkasse ein. Und alles, was man bis zum Alter von 40 Jahren eingezahlt hat, bekommt man auch erst mit dem Renteneintrittsalter, also regulär mit 67 Jahren.
Ist das realistisch?
Ob das Ganze realistisch ist, hängt sehr individuell von der eigenen Lebenssituation ab. Frugalist Oliver Noelting zum Beispiel hat sich von der Rente mit 40 bereits verabschiedet: "Das Ziel, mit 40 in Rente zu gehen, verfolge ich schon seit einigen Jahren nicht mehr stringent", sagte er auf Anfrage von 50k. "Um es zu erreichen, müsste ich Vollzeit arbeiten, ich möchte aber stattdessen schon heute mehr Zeit für meine junge Familie übrig haben, weshalb ich weiterhin nur in Teilzeit arbeite und unter anderem 2022 ein Jahr in Elternzeit gegangen bin."
Katharina Lüth betont aber auch: "Grundsätzlich finde ich es sinnvoll, darüber nachzudenken. Denn es bringt Leute dazu, darüber nachzudenken, was eigentlich ihre finanziellen Ziele sind und wie viel Geld man im Alter braucht."
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke