Etwa ein Drittel der riesigen Fläche der Ukraine sei zumindest teilweise durch den Krieg verseucht, sagt Olena Melnyk. Die ukrainische Umweltwissenschaftlerin stammt aus Sumy. Derzeit arbeitet sie an der britischen Royal Agriculture University und an der Berner Fachhochschule. Dort beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Umweltzerstörung im Krieg.

Krieg zerstört die Umwelt

Die Ursachen sind vielfältig: chemische Überreste von Raketen, Artilleriegeschosse, zerstörtes Kriegsmaterial oder beschädigte Infrastruktur, Brände, auslaufendes Öl und Chemikalien. Allein im ersten Kriegsjahr seien zudem, bedingt durch die Kämpfe, 100 Millionen Tonnen CO₂ ausgestossen worden. Das entspricht dem jährlichen CO₂-Ausstoss von Belgien.

Dazu kommt ein langfristig riesiges Problem: «Ein Drittel des Landes ist vermint», sagt Melnyk. Dafür seien beide Kriegsparteien verantwortlich. «Und niemand wagt zu prognostizieren, wie lange die Entminung und die Beseitigung der Blindgänger nach dem Krieg dauern wird.»

Legende: Zerbombtes und zerstörtes Dorf in der Ukraine. Auch hier liegen wohl Blindgänger im Boden und Überreste der Granaten. Die in der Ukraine vom Krieg beeinträchtigten Landstriche machen ein Drittel der Fläche des Landes aus. Keystone/Efrem Lukatsky

Und es gibt auch gezielte Umweltzerstörung: So hätten die Russen etwa in der Nähe von Sumy Abwasser aus einer grossen Zuckerfabrik in die Flüsse geleitet und ganze Fischpopulationen vernichtet. Melnyk spricht von Ökozid. Dieses Verbrechen kann in der Ukraine mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Sogar in Russland gibt es den Straftatbestand des Ökozids, zumindest in der Theorie. Im «Römer Statut» des Internationalen Gerichtshofs – er ahndet Kriegsverbrechen – ist Ökozid allerdings noch nicht verankert, bedauert Melnyk.

Wir müssen die Hotspots der Verseuchung kartografieren.
Autor: Olena Melnyk Umweltwissenschaftlerin, stammt aus Sumy, arbeitet u.a. in Bern

Inzwischen werden die Umweltschäden durch den Krieg in der Ukraine auf über 100 Milliarden Franken geschätzt.

Fruchtbare Flächen gefährdet

Die Ukraine ist berühmt für ihre fruchtbare schwarze Erde. Dank ihr werden weltweit 400 Millionen Menschen versorgt. Doch wer möchte unter diesen Umständen noch Nahrungsmittel von diesem Land?

Immerhin: Die Ukraine unternehme grosse Anstrengungen, um die Umweltschäden exakt zu dokumentieren, erklärt Melnyk. So gibt es eine App, mit deren Hilfe man Verseuchungen festhalten, melden und fotografieren kann. «Wir müssen die Hotspots der Verseuchung kartografieren», betont sie.

Inzwischen seien rund acht Millionen grössere Einschlagkrater dokumentiert – auch dank Satellitenaufnahmen. Die Hoffnung war, dass die Art der Krater Rückschlüsse auf die verwendete Munition und die Art der Verseuchung geben könnten – kombiniert mit einem Augenschein der Bauern.

Andere Pflanzen anbauen

In der Ukraine existiert nicht nur die berühmte schwarze Erde – dokumentiert sind 650 verschiedene Erdtypen. Und alle reagieren unterschiedlich auf chemische Stoffe. Die Böden müssen deshalb vor dem Wiederanbau von Pflanzen überprüft werden – etwa mithilfe von Hyperspektralkameras.

Problematisch könnten Rückstände aus uranhaltiger Munition oder andere Schwermetalle sein. Untersuchungen in einigen der Gebiete hätten immerhin ergeben, dass das Uranproblem weniger gross sei als zunächst befürchtet.

Klar ist: In den kontaminierten Regionen können künftig womöglich keine Nahrungsmittel mehr angebaut werden. Doch Pflanzen wie Chinaschilf könnten dort durchaus für die Ethanolproduktion genutzt werden, schlägt Melnyk vor.

Die Wissenschaftlerin weigert sich, die Umweltverseuchung in ihrer Heimat als unüberwindbaren Berg zu betrachten. Sie will sie in lösbare Teilprobleme aufspalten.

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