Ein Video auf Telegram zeigt eine Szene auf einem Markt in Jekaterinburg. Maskierte Männer in Tarnkleidung halten einen Früchteverkäufer fest. Dieser beteuert, er habe nichts getan, wird aber abgeführt.

Die Maskierten sind keine Polizisten. Sie tragen Armbänder mit dem Logo der sogenannten «Russischen Gemeinschaft» – einer ultrarechten Gruppe, die in ganz Russland Ableger hat. Dem Früchteverkäufer werfen sie vor, ein illegaler Einwanderer zu sein.

Legende: Mitglieder der «Russischen Gemeinschaft» posieren für ein Gruppenfoto in der Stadt Tscheljabinsk. Screenshot Youtube.

Die «Russische Gemeinschaft» sei zur wichtigsten und aktivsten rechtsradikalen Gruppe im Land avanciert, sagt Alexander Werchowskij vom Moskauer Zentrum für Extremismusforschung «Sowa».

«Diese sogenannten ‹Razzien› können überall stattfinden», so Werchowskij. «Am Arbeitsplatz zum Beispiel. Da kommen die Leute von der ‹Gemeinschaft› und kontrollieren die Papiere der Mitarbeiter, die nicht russisch aussehen.»

Legende: Extremismusforscher Alexander Werchowskij forscht über rechtsextreme Gruppierungen wie die «Russische Gemeinschaft». SRF/CalumMacKenzie

Die Rechtsradikalen gäben sich auch als «Konfliktlöser», so Werchowskij: Bei Streit zwischen ethnisch russischen und nicht russischen Bürgern intervenierten sie aufseiten der Russen und schüchterten die andere Seite ein.

Anschliessend berichte die Gruppe in den sozialen Medien davon, sagt der Extremismusforscher.

Früher Untergrund, nun instrumentalisiert

Die «Russische Gemeinschaft» prahlt mit ihrer organisierten Selbstjustiz, statt sie zu verstecken. Vor nur wenigen Jahren hätten Russlands Rechtsextreme im Untergrund agieren müssen, sagt Werchowskij – als die Behörden noch hart gegen sie vorgingen.

«2022 änderte sich das», sagt er. «Nun war Kriegslage, und der Staat brauchte eine gewisse nationalistische Mobilisierung in der Gesellschaft. Die sollte nicht nur von oben herab kommen.» Also habe man begonnen, diese Gruppen zu tolerieren und für sich zu nutzen.

Die «Razzia» gegen Marktverkäufer in Jekaterinburg wurde von der örtlichen Polizei nachträglich gutgeheissen und gelobt. Auch in anderen Städten arbeitet die Polizei offen mit den rechtsextremen Aktivisten zusammen.

In Petersburg wurden im vergangenen Sommer zwölf Mitglieder der «Gemeinschaft» festgenommen, als sie sich in einen Streit unter Taxifahrern einmischten. Darauf schaltete sich Alexander Bastrykin ein, der mächtige Chef des staatlichen Ermittlungskomitees in Moskau.

Bastrykin forderte die Freilassung der Rechtsextremen und ein Verfahren gegen die Polizisten, die sie aufgegriffen hatten. Auch andere Anklagen gegen die «Russische Gemeinschaft» verliefen im Sand.

Die «Russische Gemeinschaft» gibt sich demonstrativ loyal, unterstützt den Krieg und hält sich sogar aus der Lokalpolitik heraus. Auch vermeidet sie in der Regel direkte physische Gewalt.

«Neue Realität wird nicht angenehm sein»

In seinem Drang, mit vermeintlichem «Patriotismus» die Bevölkerung für den Krieg anzustacheln, lässt sich der Kreml aber auch von den rechtsradikalen Strassenbanden beeinflussen. Auch hohe Beamte hetzen gegen Arbeitsmigranten aus Zentralasien – obwohl die russische Wirtschaft unter einem akuten Arbeitskräftemangel leidet.

Der Krieg verändere die Gesellschaft, sagt Alexander Werchowskij. «Irgendwann wird der Krieg vorbei sein, und es wird sich eine gewisse Stimmung angestaut haben», sagt er – eine fremdenfeindliche Stimmung, die sich irgendwo werde entladen müssen. «Dann sind wir in einer neuen Realität. Ich weiss nicht, wie sie aussehen wird, aber ich denke, sie wird nicht angenehm sein.»

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