Der Völkermord von Srebrenica jährt sich zum 30. Mal. Noch immer werden Leichen gefunden und identifiziert – und von 1000 Opfern fehlt noch immer jede Spur. Die Hintergründe erläutert SRF-Auslandredaktor Janis Fahrländer.

Heute werden sieben Opfer begraben – wieso erst jetzt?

Es handelt sich um sieben Personen – sechs Männer und eine Frau. Sie starben 1995 im Alter von 19 bis 67 Jahren und wurden schon vor längerer Zeit in verschiedenen Massengräbern gefunden. Die Identifizierung mittels DNA-Abgleich ist aufwändig. Zudem hat in einem Fall bislang die Zustimmung der Familie zum Begräbnis gefehlt.

Wieso fehlt von 1000 Opfern noch immer jede Spur?

Nach dem Völkermord im Juli 1995 wurden die Leichen in Massengräbern verscharrt. Diese wurden teils Wochen, teils Monate später wieder geöffnet, die Leichen herausgenommen und woanders wieder verscharrt. Damit wollten die Täter das Verbrechen vertuschen. Dabei wurden viele Körper auseinandergerissen, einige Körperteile blieben zurück, andere woanders wieder vergraben. Nur bei 10 Prozent der bisher gefundenen Opfer von Srebrenica sind die Überreste in komplettem Zustand. Und so begraben Familien manchmal nur einzelne Knochen von Opfern. Und manchmal tauchen neue Körperteile eines Opfers erst auf, nachdem die Person bereits begraben wurde. Insgesamt sind im ganzen Land die Überreste von mehreren Tausend Personen bis heute nicht gefunden – oder identifiziert worden. Und haben somit kein richtiges Grab. Und allein rund 1000 Opfer des Völkermords von Srebrenica sind bisher unauffindbar.

Legende: 30 Jahre nach Beginn des Völkermords in Srebrenica werden die Überreste von sieben Opfern beerdigt. Reuters/Amel Emric

Warum ist ein Grab für die Angerhörigen so wichtig?

So besteht die Möglichkeit, Abschied zu nehmen – an einem Ort der Trauer, an einem Begräbnis. Die Angehörigen wollen wissen, was mit ihren Liebsten passiert ist – wo und wie sie getötet wurden, wie vielleicht die letzten Momente ihres Lebens ausgesehen haben. Es gibt Fälle, in denen Angehörige die serbischen Täter angefleht haben, ihnen zu sagen, wo die Überreste ihrer Verwandten zu finden sind. Denn meist sind die Mörder die einzigen, die wissen, wo die Gräber sind. Und werden heute noch Gräber gefunden, dann meist, weil nach all den Jahren jemand sein Schweigen bricht.

Wie wichtig ist der internationale Gedenktag am 11. Juli?

Die internationale Anerkennung des Völkermords ist umso wichtiger, weil im Land selbst der Völkermord unter vielen bosnischen Serben und Serbinnen verleugnet wird. Zwar ist das in Bosnien und Herzegowina inzwischen eine Straftat, doch selbst Politikerinnen und Politiker des mehrheitlich serbisch geprägten Landesteils Republika Srpska leugnen den Völkermord. Dort wird der Gedenktag denn auch gar nicht begangen.

Ist das Massaker von Srebrenica aufgearbeitet worden?

Nein. Weder der Völkermord noch der Krieg wurden je aufgearbeitet. Vielmehr herrscht eine Kultur des Schweigens. Man geht dem Thema aus dem Weg, manche Ereignisse werden sogar verleugnet. Dabei hat jede Volksgruppe in Bosnien und Herzegowina ihre eigene Sicht der Dinge – und diese wird dann auch an die nächste Generation weitergegeben.

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