Der Internationale Strafgerichtshof ICC hat Haftbefehle gegen zwei der obersten Führer der Taliban erlassen. Er wirft ihnen die Verfolgung von Frauen und Mädchen in Afghanistan vor. Der ARD-Korrespondent für Afghanistan schätzt die Wirkung dieser Haftbefehle ein.

SRF News: Wie hat die Talibanführung auf die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs reagiert?

Peter Hornung: Sehr scharf. Es gibt die Äusserung eines Taliban, der Gaza zum Vergleich anführt und sagt, angesichts dessen, was dort passiere, sei es eine Schande, «seitens des Internationalen Strafgerichtshof über Menschenrechte und Gerechtigkeit zu sprechen». Er kritisiert auch, dass sie die Gesetze der Scharia als unterdrückerisch bezeichnen oder gegen die Menschlichkeit gerichtet. Das zeige doch, wie feindselig und wie voller Hass dieser Gerichtshof auch gegen den Islam eingestellt sei. Es sei eine Beleidigung des Glaubens aller Muslime. 

Was bedeuten diese Haftbefehle für die afghanische Bevölkerung, insbesondere für Frauen und Mädchen?

Ich glaube nicht, dass er die Repression verschärft. Für die mutigen und selbstbewussten Frauen Afghanistans ist es ein Signal dafür, dass die Taliban Unrecht tun. 

Legende: Die Taliban feiern das zweite Jubiläum der Eroberung von Kabul. Reuters/Ali Khara

Was kann dieser Haftbefehl bewirken, wenn Afghanistan den Internationalen Strafgerichtshof gar nicht anerkennt?

Im Moment ist dieser Haftbefehl eher symbolisch. Der oberste Talibanführer Haibatullah Achundsada ist nicht dafür bekannt, zu reisen. Und selbst wenn er reisen wollte, würde er sicher nur in Länder reisen, in denen er nicht verhaftet würde. Auch beim obersten Richter Abdul Hakim Haqqani kann der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichts kaum vollstreckt werden. Das ist ohnehin eher die Ausnahme als die Regel. Aber ich denke, es sind wichtige Signale.

Afghanistan ist strategisch wichtig in der Region, und es ist auch wirtschaftlich interessant angesichts seiner Ressourcen.

Die Talibanregierung ist relativ isoliert. Verstärkt sich das noch nach diesen Haftbefehlen?

Da wird sich nicht viel verändern. Die sind isoliert. Ihr Emirat ist im Moment nur von einem Land anerkannt, von Russland. Aber es zeichnet sich ab, dass sich mehr und mehr zwei Lager bilden. Für den Westen liegt eine Anerkennung dieses Emirats in weiter Ferne angesichts der Missachtung der Menschenrechte durch die Taliban. Für Staaten wie Russland zum Beispiel ist dies kein Hindernis, auch nicht für die Volksrepublik China. Ich erwarte, dass auch da bald diplomatische Beziehungen aufgenommen werden. Afghanistan ist strategisch wichtig in der Region, und es ist einfach auch wirtschaftlich interessant angesichts seiner Ressourcen.

Haben diese Haftbefehle das Potenzial, die Machtverhältnisse oder die Geschlossenheit innerhalb der Talibanführung zu beeinflussen? 

Das glaube ich nicht. Man hat grundsätzlich wenig Einblick in die Talibanführung. Aber es gibt die Regierung in Kabul mit vor allem gemässigten, pragmatischen Taliban, aber auch einigen Vertretern der Konservativen. 

Es gibt sicher Machtkämpfe, aber die dringen kaum nach aussen.

Und es gibt eben die anderen Konservativen, die sitzen in Kandahar, im Süden Afghanistans, und da ist auch der oberste Talibanführer Hibatullah Achundsada. Es gibt sicher Machtkämpfe, die aber kaum nach aussen dringen. Ich sehe noch nicht, dass diese beiden Haftbefehle grossen Einfluss haben werden.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

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