Die Deutschen trinken so wenig Bier wie noch nie. Einen Absatz von 34,1 Millionen Hektoliter meldet das Statistische Bundesamt für den Zeitraum Januar bis Mai, das ist der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. 2,3 Millionen Hektoliter oder umgerechnet fast sieben Prozent hat der Markt in diesen fünf Monaten im Vergleich zum ohnehin schon schwachen Vorjahreszeitraum verloren. „Das ist historisch“, ordnet Volker Kuhl ein, der Geschäftsführer der Großbrauerei Veltins. „Das macht Sorge und bedeutet für viele Brauereien einen echten Kampf.“ Zumal dieser unerwartet hohe Rückschlag im weiteren Jahresverlauf nicht mehr aufzuholen sei.

Zwar schrumpft der Biermarkt hierzulande schon seit Jahrzehnten – aber nicht in diesem Tempo. Kuhl spricht von einer aktuell mehr als doppelt so hohen Geschwindigkeit. Und das trotz des eigentlich „biertauglichen Wetters“, wie der Manager es ausdrückt. „Viel Sonne, warum und trocken – das Wetter im ersten Halbjahr hätte den Brauern und der Gastronomie eigentlich helfen müssen. Hat es aber nicht.“ Zwar sei die Haushaltsabdeckung stabil geblieben, ergänzt Veltins-Vertriebschef Rainer Emig. „Die Basisabsätze für den täglichen Durst sind gleichgeblieben, es mangelt aber an den variablen i-Tüpfelchen, etwa dem Bier unterwegs, dem zweiten Bier beim Essen, dem dritten und vierten, je nachdem wie lustig man unterwegs ist.“

Den Hauptgrund sieht die Branche im anhaltend schwachen Konsumklima und der schlechten Verbraucherstimmung. Ein derart großes Minus könne man nicht mehr aufs Wetter schieben, sagt Holger Eichele, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes, gegenüber WELT. „Wie bei Gastronomie und Handel schlägt die schlechte Verbraucherstimmung voll aufs Geschäft der Brauereien durch.“ Weil zeitgleich aber auch die Kosten für zum Beispiel Rohstoffe, Energie, Personal und Logistik hoch sind und teils noch weiter steigen, macht er sich Sorgen ums Überleben von vielen der insgesamt rund 1500 Brauereien hierzulande.

Veltins-Chef Kuhl sagt bereits eine schmerzliche Konsolidierung voraus. „Bei einem Marktminus, wie wir es aktuell haben, und zugleich zunehmenden Kosten, wird es Brauereien geben, die das nicht überleben“, prognostiziert der Experte sichtbare strukturelle Veränderungen. Die Zahlen seien so kritisch, dass es nicht mehr möglich ist, so weiter zu machen wie bisher. „Wir werden zwangsläufig sehen, dass Brauereien aufgeben oder verkauft werden“, sagt Kuhl. Veltins selbst gehört nicht in die Kategorie der gefährdeten Betriebe. Auch das zeigen die aktuellen Zahlen. Im ersten Halbjahr 2025 legte der Absatz des über 200 Jahre alten Familienunternehmens aus dem Sauerland um 2,3 Prozent auf knapp 1,8 Millionen Hektoliter zu. Verluste im Fassbiergeschäft und bei den Biermischgetränken wurden dabei überkompensiert von Zuwächsen beim klassischen Pils, vor allem aber beim Hellen Pülleken, mit dem Veltins den anhaltenden Hell-Bier-Trend bedient.

Bei 11,6 Prozent liegt mittlerweile der Marktanteil von Helles im Sortenmix in Deutschland, meldet Marktforscher NielsenIQ. Lediglich das klassische Pils ist mit einem stabilen Anteil von knapp 50 Prozent stärker. Zwar werden rund 60 Prozent des Hell-Biers allein in Bayern und Baden-Württemberg verkauft. Fünf Jahre zuvor lag dieser Anteil aber noch bei 74 Prozent. Und Branchenbeobachter rechnen mit weiteren Marktanteilsgewinnen in den kommenden Jahren, vor allem zulasten von Weizen, Export und Spezialitätenbieren.

Zweite Ausnahme im krisengeschüttelten Biermarkt ist neben Helles das alkoholfreie Bier, das ebenfalls seit Jahren zulegen kann. Ein Rettungsanker ist dieses Feld nach Ansicht von Veltins-Chef Kuhl indes nicht für die Branche. Und tatsächlich liegt der Anteil im Sortenmix noch immer unter zehn Prozent. Noch dazu sei der Wettbewerb besonders intensiv. „Die Zahl der Neuprodukte bei den alkoholfreien Bieren ist so groß wie nie zuvor“, beschreibt Kuhl. Praktisch alle Brauereien würden sich mittlerweile auf diesen Markt stürzen. Entlastung sei damit aber kaum zu erreichen. „Alkoholfreie Biere sind allenfalls ein Pflaster, das die Schmerzen lindert. Ein Retter in der aktuellen strukturellen Krise der Brauwirtschaft sind sie nicht.“ Zumal alkoholfreies Bier weniger in Kisten verkauft werde, sondern vorrangig in Sixpacks. „Das stellt man sich nicht in den Keller, sondern kauft es eher zu, wenn man es braucht.“

Bei rund 4,4 Prozent liegt derzeit ganz grundsätzlich der Marktanteil von Sixpacks in Deutschland, weisen die Statistiken von NielsenIQ aus. Wichtigste Gebindeart ist mit weitem Abstand der klassische Kasten mit 20 Halbliterflaschen, dessen Marktanteil bei über 50 Prozent liegt. Gekauft werden die Kisten vornehmlich im Angebot: Vier von fünf Kästen bekannter Markenbiere kaufen die Deutschen in der Aktion, also im Angebot bei Supermärkten und Getränkemärkten. Und da ist ein Preis zwischen zehn und elf Euro gang und gäbe. Damit kostet Bier heute praktisch genauso viel wie zu D-Mark-Zeiten. Und dazwischenliegen Jahrzehnte mit merklicher Inflation und gestiegenen Kosten. „Bier ist ein Lockvogel-Artikel, um Kunden in die Läden zu locken“, erklärt Kuhl. „Unser Wunsch ist das nicht“, stellt der Veltins-Mann Kuhl klar. „Aber wir haben da keinen Einfluss. Die Preise macht der Handel.“

Kritik kommt auch von Marktführer Radeberger Gruppe. „Diese Entwicklung sehen wir mit Sorge, weil ein Bierpreis um die zehn Euro eben nicht den Wert widerspiegelt, der diesem mit viel Expertise und natürlichen Rohstoffen gebrauten Produkt gebührt“, sagt eine Sprecherin des Konzerns, zu dem rund 60 Biermarken aus Deutschland gehören, darunter Radeberger, Jever, Tucher oder Berliner Kindl. „Bier braucht eine andere Wertschätzung – und eine andere Wertschöpfung.“ Es gebe wohl kaum eine andere Produktkategorie, bei der sich der Preis so nachteilig und zerstörerisch entwickelt haben wie beim Bier.

Absehbar könnten aber auch die Aktionspreise steigen. Denn große Brauer wie Krombacher und Veltins haben für den Herbst Preiserhöhungen sowohl für Flaschen- als auch für Fassbier angekündigt, ohne jedoch die genaue Höhe öffentlich zu machen. Und üblicherweise ziehen viele kleine Konkurrenten dann nach. Radeberger und Warsteiner wiederum hatten schon im Frühjahr ihre Preise erhöht. Branchenbeobachter halten es für wahrscheinlich, dass sich die Kiste mit 20 Halbliterflaschen im Normalpreis um etwas einen Euro verteuern wird.

Zum Standardtarif werden aber ohnehin nur 20 Prozent der Bierkästen eingekauft, jedenfalls von den bekannten nationalen Pils-Marken. „Der Handel wird derzeit relativ aggressiv um die Gunst der Biertrinker“, beschreibt Marktforscher Marcus Strobl von NielsenIQ. „Konsumenten bieten sich seit Wochen so viele Gelegenheiten, Bier deutlich unter dem Regalpreis einzukaufen, wie schon lange nicht.“

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.

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