Eine Kommission empfiehlt eine zweistufige Erhöhung des Mindestlohns. Das könnte Jobs kosten und den Standort Deutschland schwächen, warnen Wirtschaftsvertreter. DIW-Präsident Fratzscher hätte sich mehr gewünscht. Die SPD-Arbeitnehmer beharren indes auf 15 Euro.

Die Entscheidung der Mindestlohnkommission hat ein geteiltes Echo bei Wirtschaftsvertretern und Ökonomen ausgelöst. Unternehmen der Logistikbranche etwa sehen mit dem Beschluss, wonach der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro in zwei Schritten bis zum 1. Januar 2027 auf 14,60 Euro pro Stunde steigen soll, "die nächsten großen Kostensprünge" auf sich zukommen.

Unter dem Druck wachsender Personalkosten müssten Logistikunternehmen ihre Prozesse automatisieren und digitalisieren - und Beschäftigte freisetzen, teilten der Bundesverband Paket- und Expresslogistik (BPEX) und weitere Verbände der Branche in einer gemeinsamen Erklärung mit. "Der von der Bundesregierung angekündigte Investitions- und Wachstumsbooster kann so nicht zünden", warnten die Logistiker.

Der Bauernverband warnt vor gravierenden Folgen für viele Betriebe. "Dieser Mindestlohn hat das Potenzial, den Anbau von Obst, Gemüse und Wein aus Deutschland zu verdrängen", sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. "Wir werden dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU nicht standhalten können, was zu einer weiteren Produktionsverlagerung ins Ausland führen wird." Es brauche zudem dringend eine Sonderregelung für Saisonkräfte. Rukwied schlägt vor, dass sie 80 Prozent des Mindestlohns bekommen sollten.

Handelsverband: Jobs könnten wegfallen

Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) kritisierte die beschlossene Erhöhung des Mindestlohns scharf. "Jobs müssen sich für Arbeitgeber in der Privatwirtschaft rechnen, sonst fallen sie weg", sagte HDE-Präsident Alexander von Preen. Die Entscheidung setze im Einzelhandel zahlreiche Stellen aufs Spiel. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen nannte die Entscheidung der Kommission "einen extrem harten Kompromiss".

Die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, sprach von einem "kräftigen Schluck aus der Pulle". Es sei zu befürchten, dass einigen Unternehmen turbulente Zeiten bevorstünden: "Zumal die Erhöhung zum Jahresanfang 2027 einen wirtschaftlichen Aufschwung voraussetzt, der aktuell noch nicht erkennbar ist."

Fratzscher: "Verpasste Chance"

DIW-Präsident Marcel Fratzscher nannte die Entscheidung der Kommission gegen eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro hingegen "eine verpasste Chance". Aus seiner Sicht würde ein höherer Mindestlohn nicht nur Millionen Beschäftigten helfen, sondern auch die Produktivität steigern, faire Wettbewerbsbedingungen fördern und den Arbeitsmarkt attraktiver machen - angesichts des akuten Arbeitskräftemangels gerade auch für Menschen aus dem Ausland.

"Die Einigung der Mindestlohnkommission ist ein gutes Signal in einer Zeit, in der wir zunehmende Polarisierung erleben", sagte Wirtschaftsweise Veronika Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dass die Empfehlung unter der 15-Euro-Marke bleibe, zeuge von "einem gewissen Realismus".

Laut dem Tarifpolitik-Experten Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) reflektiert die Erhöhung um über acht Prozent zum nächsten Jahr und weiteren fünf Prozent im Jahr 2027 eine durchaus optimistische Sicht auf den derzeit angespannten Arbeitsmarkt: "Weil unklar ist, ob die aktuelle Krise alsbald überwunden werden kann und sich die Arbeitskräftenachfrage der Betriebe erholt."

Der Mindestlohn-Experte Malte Lübker vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) verweist hingegen darauf, dass die Kommission mit der Erhöhung auf 13,90 Euro im Wesentlichen die Tarifentwicklung der vergangenen beiden Jahre nachvollziehe. Bemerkenswert sei der zweite Schritt auf 14,60 Euro im Jahr 2027: Das liege nahe am europäischen Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns, den das Statistische Bundesamt für April 2025 ermittelt habe. "Das ist ein Erfolg für die Gewerkschaften, die den Referenzwert als neues Kriterium durchgesetzt haben."

SPD-Arbeitnehmerflügel für 15 Euro

Die Kommission war mit ihrem Beschluss unter der Ankündigung von SPD-Spitzenpolitikern geblieben, nach deren Aussage die Lohnuntergrenze bereits 2026 auf 15 Euro steigen werde. Der SPD-Arbeitnehmerflügel ging daraufhin auf Distanz zu der Entscheidung. Die schwarz-rote Koalition solle den Mindestlohn gesetzlich auf 15 Euro hochsetzen, sagte die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit in der SPD, Cansel Kiziltepe.

"15 Euro sind das Minimum für ein Leben in Würde", sagte Kiziltepe, die auch Berliner Sozialsenatorin ist. "Wer Vollzeit arbeitet, darf nicht aufstocken müssen oder im Alter in Armut leben." Dies sei ein zentrales Versprechen sozialdemokratischer Politik.

Bundeskanzler Friedrich Merz hält die Debatte rund um den Mindestlohn nun für beendet. Er gehe davon aus, dass es in der Koalition zu dem Thema nun keinen weiteren Diskussionsbedarf gebe, sagte Merz. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann begrüßte die Verständigung der Kommission. "Es ist gut, dass die Mindestlohnkommission sich einvernehmlich geeinigt hat", sagte er. "Das ist gelebte Sozialpartnerschaft und zeigt, dass die Kommission funktioniert. Die Lohnfindung bleibt auch in Zukunft Sache der Tarifpartner."

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