Veronika Grimm ist Professorin an der Technischen Universität Nürnberg und als Wirtschaftsweise Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
WELT: Die Bundesregierung will die Verteidigungsausgaben enorm steigern, weil wir in unsicheren Zeiten leben. Was halten Sie von der Planung?
Veronika Grimm: Weil sich die sicherheitspolitische Lage verschärft hat, ist ja die Grundgesetzänderung beschlossen worden. Diese Einschätzung ist sicherlich richtig. Man muss mehr für Verteidigung ausgeben. Aber man müsste eigentlich dafür sorgen, dass man perspektivisch die Verteidigungsausgaben wieder stärker aus dem Kernhaushalt stemmt. Das wäre eine große Kraftanstrengung, die notwendig wäre. Sie müsste institutionell unterlegt werden. Es gab verschiedene Vorschläge, diese Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse Stück für Stück wieder einzuhegen, indem man zunächst anfängt, dass man alles oberhalb von einem Prozent des BIP über zusätzliche Verschuldung finanzieren kann, und dann Stück für Stück diese Grenze anhebt, auf perspektivisch zwei Prozent. Damit schafft man einen Konsolidierungsbedarf im Haushalt; ist also gezwungen, Spielräume im Kernhaushalt zu schaffen, um zusätzliche Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Diesen Weg geht man nicht, und das führt jetzt dazu, dass wir in eine immense neue Verschuldung hineinlaufen, die perspektivisch den Schuldenstand in Deutschland deutlich in die Höhe treiben dürfte.
WELT: Die Grünen werfen der Bundesregierung nun vor, beim Haushalt zu tricksen. Friedrich Merz und Lars Klingbeil hätten versprochen, dass jeder Euro aus dem Schuldenfonds in neue Investitionen für die Infrastruktur gehe. Dies sei jetzt aber nicht der Fall. Haben die Grünen damit recht?
Grimm: Ja, und das war auch abzusehen, dass es so läuft. Man kann sich immer viel vornehmen. Aber: Wenn das Geld da ist, wird es auch ausgegeben. Wir sehen jetzt schon in den Haushaltsplanungen der Ministerien, dass da immense Forderungen gestellt werden. Das ist aus Sicht jedes einzelnen Ministeriums nachvollziehbar. Wenn viel Geld da ist, dann wird natürlich viel eingefordert. Und wenn man nicht mitmacht, dann zieht man nachher den Kürzeren, weil immer proportional gekürzt werden wird. Das ist eine Standarderkenntnis aus auktionstheoretischen Modellen. Jeder muss da mitmachen, egal, ob man eigentlich konsolidieren möchte oder nicht. Weil man seinem Haus schadet, wenn man dieses Spiel nicht mitmacht. Deswegen gibt es jetzt diesen Überbietungswettbewerb. Deswegen gab es ursprünglich die Schuldenbremse. Und deswegen gab es ja auch die Warnungen, nicht zu groß zu denken bei den Verschuldungspotenzialen. Diese Warnungen hat man in den Wind geschlagen. Und jetzt steht man vor diesen Problemen.
WELT: Der Sozialetat ist weiterhin immens groß. Gibt es da Einsparmöglichkeiten, auch wenn die Union hier mit der SPD als Koalitionspartner sprechen muss?
Grimm: Natürlich gibt es da prinzipiell Einsparmöglichkeiten. Es gibt auch Reformvorschläge, die genau in diese Richtung zielen. Gerade bei der gesetzlichen Rentenversicherung sollte man das Rentenalter moderat anheben, sollte man den Anstieg der Bestandsrenten nicht so stark vorsehen, also nicht mit den Löhnen steigen lassen, sondern zum Beispiel mit dem Preisniveau. Man sollte auch den Nachhaltigkeitsfaktor wieder einsetzen und nicht etwa das Rentenniveau langfristig fixieren. All das hat man in den Wind geschlagen. Man sieht hier auch im Koalitionsvertrag nichts. Und es gibt auch keine Anstrengungen der Bundesregierung, die da in die richtige Richtung zeigen. Auch bei der Pflegeversicherung und beim Gesundheitssystem müsste man eigentlich die Ausgaben eindämmen. Wir haben kein Einnahmeproblem. Wir haben in vielen Systemen ein Ausgabeproblem, das man adressieren müsste. Aber wenn man die Möglichkeit hat, diese Löcher schuldenfinanziert zu stopfen, dann wird man das sehen. Das ist ein Vergehen an der jungen Generation. Eigentlich müssten die jungen Menschen hier viel lauter werden und gegen diese Politik protestieren, weil man ihnen durch diese massive Verschuldung, die jetzt kommt, den Handlungsspielraum in Zukunft nimmt. Man sieht ja, dass die Welt nicht sicherer, sondern unsicherer wird. Wir brauchen diese Handlungsspielräume dringend für die Zukunft. Es ist nicht verantwortungsvoll, jetzt leichtfertig so viel Geld auszugeben.
Das Interview wurde für WELT TV geführt. In dieser schriftlichen Fassung wurde es zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet.
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