Ausgerechnet mit einem Bekenntnis zum Militär erntet Friedrich Merz (CDU) den größten Applaus. „Die Bundeswehr muss zurück in die Mitte unserer Gesellschaft“, ruft der Bundeskanzler auf dem „Tag der Industrie“ in Berlin in die Halle – und die versammelten Wirtschaftsvertreter stimmen ihm offensichtlich zu. Verteidigung, Sicherheitspolitik, die „Zeitenwende“ sind wesentliche Themen auch für die Unternehmen und ihre Lobbyisten.
„Wir haben eine ganze Reihe Brandherde auf der Welt und die Gefahr, dass einer der kriegerischen Brandherde, außer Kontrolle gerät, wächst exponentiell mit der Anzahl der Herde“, warnte Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Industrie (BDI). Der Verband hat zu seinem jährlichen Kongress ein dazu passendes Papier mit dem Titel „Gesamtverteidigung“ vorgelegt. „Unternehmerinnen und Unternehmer wollen Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes übernehmen“, sagte der BDI-Chef.
Die Stimmung im Saal ist ernst, fast düster, als Leibinger und danach der Kanzler sprechen. Es geht auch um die wirtschaftspolitischen Pläne der Bundesregierung. Doch das Thema Verteidigung dominiert nach den Luftschlägen der USA gegen das iranische Atomprogramm am Wochenende. Es gebe für ihn keinen Grund, das zu kritisieren, was Israel und die USA im Iran getan haben, sagte Merz mit Blick auf die Bombardements. „Es so zu belassen, wie es war, war auch keine Option.“
„Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit“
Das Gleiche gelte für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Sie verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Souveränität, unsere Unabhängigkeit, unsere Demokratie und unsere offene Gesellschaft.“ Bei der Unterstützung der Ukraine sei Durchhaltefähigkeit gefragt, „nicht nur militärisch, sondern vor allem politisch“.
Das Umdenken in der Wirtschaft hin zur Kriegstauglichkeit ist nicht nur abstrakt. „Unternehmen spüren täglich unmittelbar die veränderte Bedrohungslage. Hybride Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Cyberattacken, auf Produktionsanlagen und gezielte Störungen von Lieferketten sind längst Realität“, sagte BDI-Präsident Leibinger. Im Bereich der Cybersicherheit müssten die Unternehmen ihre Anstrengungen „wahrscheinlich verdoppeln“. Insbesondere im Mittelstand brauchten die Unternehmen außerdem ausgearbeitete Krisenpläne; daran mangele es noch.
Merz forderte die Unternehmen auf, die Verteidigungsfähigkeit des Landes auch mit ihren Mitarbeitern zu unterstützen. Nicht Geld sei das entscheidende Problem bei der Bundeswehr, sondern qualifiziertes Personal. „Wir werden eine Reserve aufbauen müssen“, sagt der Kanzler. Die Firmen müssten ihren Mitarbeitern immer wieder mal die Gelegenheit geben, bei den Streitkräften zu üben. Es sei ein Fehler gewesen, die Wehrpflicht auszusetzen, sagte Merz. Das hatte die schwarz-gelbe Regierung von Angela Merkel 2011 getan.
Heute sind die Voraussetzungen allerdings andere, vor allem, was den Schutz durch die USA betrifft. Über Jahrzehnte hätten die Amerikaner „unsere sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei“ akzeptiert, sagte Merz. „Jetzt nicht mehr. Und sie werden auch nach einem erneuten Regierungswechsel nicht zum alten Denken zurückkehren.“ Die Konsequenz: Deutschland und Europa müssen ihre Verteidigungsfähigkeit und ihre Unabhängigkeit massiv stärken.
BDI fordert strategische Medikamenten-Reserve
Der BDI-Chef forderte „strategische Reserven für Rohstoffe, Seltene Erden und Medikamente“ in Deutschland. Er verwies darauf, dass es auch Lebensmittelreserven für Krisensituationen gebe. Außerdem forderte Leibinger „gezielte Investitionen in innovative Zukunfts- und digitale Schlüsseltechnologien, die militärisch und zivil genutzt werden, wie künstliche Intelligenz, Cloud-Systeme, Cybersicherheit“. Die Stahlindustrie nannte er in dieser Reihe nicht. Wenn man sich politisch entscheide, dass die Stahlindustrie strategisch wichtig sei, dann unterstütze man das, sagte Leibinger auf Nachfrage im Gespräch mit Journalisten.
Anlass dafür war die Absage von zwei Projekten des Konzerns ArcelorMittal in der vergangenen Woche. Trotz zugesagter Milliardensubventionen verzichtet der Stahlkonzern auf einen geplanten Hochofen in Bremen, der mit Wasserstoff betrieben werden sollte. Auch zwei Elektro-Lichtbogenöfen dort und in Eisenhüttenstadt werden nun nicht gebaut.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hatte dazu am Freitagabend in der ARD gesagt, die „bisherigen Bemühungen, genügend Wasserstoff nach Europa zu importieren oder diesen in Deutschland wettbewerbsfähig herzustellen“, seien „nicht von Erfolg gekrönt“. Daher werde sich die Regierung „darum kümmern, grüne Gase, wozu Wasserstoff gehört, wettbewerbsfähig zu machen. Dann hat die deutsche Stahlindustrie auch eine Chance, an dieser Technologie zu partizipieren.“
Reiches Ministerium hat inzwischen konkretisiert, dass man ArcelorMittal mit Förderbescheiden insgesamt 1,27 Milliarden Euro für die Dekarbonisierung der Stahlproduktion in Aussicht gestellt habe. Davon hätte das Land Bremen rund 250 Millionen Euro kofinanziert. „Bisher ist keine Auszahlung an das Unternehmen erfolgt“, heißt es aus dem Ministerium. Die Bundesmittel bleiben nun im Klima- und Transformationsfonds (KTF), können dort für andere Programme verwendet oder in die Rücklage für die kommenden Jahre verschoben werden.
Die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, forderte eine Unterstützung der Stahlindustrie auf europäischer Ebene. Stahl werde facettenreich in der Industrie genutzt und spiele eine zentrale Rolle für die großen Investitionen im Bereich Verteidigung und Infrastruktur, sagte sie WELT. „Es wäre wichtig, die Unterstützung europäisch zu organisieren und möglichst wettbewerbsorientiert, damit das Preisschild nicht zu groß wird. Es wird uns aber einiges wert sein müssen, wenn wir aus geostrategischen und sicherheitspolitischen Gründen, eine europäische Stahlindustrie erhalten wollen.“
Die Stahlproduktion habe schon länger einen schweren Stand, sagte Schnitzer, die als Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrt. Die Überkapazitäten in China und die hohen Strompreise in Deutschland setzten die Unternehmen unter großen Wettbewerbsdruck. „Diese Unternehmen brauchen aufgrund ihres energieintensiven und kontinuierlich laufenden Produktionsprozesses verlässliche und dauerhaft günstige Energieversorgung. Diese Voraussetzungen bietet Deutschland aktuell nicht“, kritisierte Schnitzer. Beim Aufbau des geplanten Wasserstoffnetzes müsse der Staat verlässliche Zusagen machen und eine koordinierende Rolle übernehmen.
Leibinger lobte die Bundesregierung für die Ankündigung, die Strompreise und Netzentgelte für die Unternehmen zu senken. „Aber eine nachhaltige Antwort auf die Frage, woher die deutsche Industrie und die Menschen in diesem Land ihre Energie zukünftig zu wettbewerbsfähigen Marktpreisen und sicher bekommen, ist damit noch nicht gegeben“, sagte er. Dafür brauche es „mehr Realismus“ bei der Energiewende und tatsächlich erreichbare Ziele.
Noch im vergangenen Jahr hatte die Industrielobby die damalige Bundesregierung hart attackiert. Leibingers Vorgänger Siegfried Russwurm hatte schon vor dem damaligen „Tag der Industrie“ eine scharfe Abrechnung mit der Politik der Ampel-Regierung veröffentlicht. Leibinger hörte sich nun im Zusammenspiel mit Merz ganz anders an. Er forderte eine „Haltungsänderung“ und spracht von der „Gemeinwohlpflicht des Unternehmertums“. Es seien alle gefordert, sich mehr einzubringen für die soziale Marktwirtschaft – Wirtschaft und Politik.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
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