Es ist eine schwindelerregende Zahl: Die schwarz-rote Bundesregierung plant bis zum Jahr 2029 mit zusätzlichen Schulden in Höhe von 846,9 Milliarden Euro. Das geht aus der Haushaltsplanung für dieses und die nächsten Jahre hervor, die Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) am Dienstag vom Bundeskabinett absegnen lassen will.

Die Zahl zeigt erstmals schwarz auf weiß, welche gewaltigen Verschuldungsspielräume sich durch die im März eiligst beschlossenen Grundgesetzänderungen ergeben. Gemeint sind neben dem neuen Schuldentopf für Infrastruktur und Klimaschutz die Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. Alle Vorgängerregierungen zusammen häuften bis heute Schulden des Bundes in Höhe von 1715 Milliarden Euro an – Schwarz-Rot will innerhalb von fünf Jahren noch einmal 50 Prozent obendrauf packen.

Im Bundesfinanzministerium hält man diesen gewaltigen Sprung angesichts des „herausfordernden sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Umfeldes“ für geboten. Deutschlands Sicherheit sei bedroht, der Investitionsbedarf in die Infrastruktur angesichts der anhaltenden Wachstumsschwäche der Wirtschaft unerlässlich. „Wir ermöglichen dadurch einen Modernisierungsschub“, sagte ein Regierungsmitglied. „Damit unsere Wirtschaft wieder wächst, dafür nehmen wir Geld in die Hand.“ Es werde darauf geachtet, dass die Mittel effizient ausgegeben würden.

Zudem, auch darauf legt man zur Rechtfertigung der gewaltigen Neuverschuldung wert, gingen die hohen Ausgaben in den kommenden Jahren mit Strukturreformen einher, weniger Bürokratie, schnelleren Verfahren und Entlastungen der Bürger und Unternehmen.

Damit versucht man in der Regierung auch dem Vorwurf zu begegnen, dass zu den Motiven der Grundgesetzänderungen nicht nur gehört, mehr Mittel für Straßen, Schienen und die Bundeswehr zur Verfügung zu haben, sondern auch um Lücken im Bundeshaushalt zu schließen, ohne etwa an die Sozialausgaben zu gehen.

Mehr noch: Die geschaffenen Finanzierungsfreiräume sollen für unter Ökonomen umstrittene Ausgaben wie die versprochene höhere Pendlerpauschale, den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Speisen in der Gastronomie und die Ausweitung der Mütterrente genutzt werden.

Erstmals übersteigen die Ausgaben im Kernhaushalt dadurch die 500-Milliarden-Euro-Marke. Die Ausgaben sollen sich über die Jahre von 503 Milliarden Euro in diesem Jahr bis auf 573,8 Milliarden Euro im Jahr 2029 erhöhen. 2024 beliefen sich die Ausgaben des Bundes auf 474,2 Milliarden Euro.

Hinzu kommen die neben dem eigentlichen Haushalt laufenden Sonderausgaben für Verteidigung und Infrastruktur. Die zusätzlichen Ausgaben für Verteidigung, aber auch Zivil- und Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienste, IT-Sicherheit und die Ukraine-Hilfen, die durch die Grundgesetzänderung möglich werden, sollen sich in diesem Jahr auf 32,1 Milliarden Euro belaufen und schrittweise bis auf 121,2 Milliarden Euro im Jahr 2029 anwachsen.

Insgesamt plant die Bundesrepublik dann mit 170 Milliarden Euro in diesem Bereich. Gelingt dies, erreicht Deutschland das neue Nato-Ziel von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung bereits im Jahr 2029.

Damit berücksichtigt Klingbeil in seinen Plänen schon jetzt, was in dieser Woche auf dem Nato-Gipfel erst beschlossen werden soll: Die Partner wollen die klassischen Militärausgaben bis spätestens 2035 auf mindestens 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochfahren und zusätzlich in militärisch nutzbare Infrastruktur investieren. Für dieses Jahr rechnet die Bundesregierung mit einer Quote von 2,4 Prozent.

Die Hälfte der Mittel bereits verplant

Die Infrastrukturinvestitionen sollen sich durch den neuen Sondertopf in diesem Jahr um rund 27 Milliarden Euro erhöhen, im kommenden um 48 Milliarden Euro. Schwerpunkt sollen in diesem Jahr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur (knapp zwölf Milliarden Euro) und die Digitalisierung (vier Milliarden Euro) sein.

Insgesamt will die Regierung bis 2029 bereits rund die Hälfte jener 300 Milliarden Euro ausgeben, über die alleine der Bund für seine Zwecke verfügen kann. Weitere 100 Milliarden Euro an Schulden nimmt der Bund für die Länder auf, noch einmal 100 Milliarden sollen in den kommenden zwölf Jahren in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen.

Der Bundeshaushalt für 2025 und die mittelfristige Finanzplanung gehen jetzt in den Bundestag. Dort sollen sie im September beschlossen werden, womit die vorläufige Haushaltsführung nach dem Ampel-Bruch endet. Im November vergangenen Jahres war die Koalition aus SPD, Grünen und FDP nicht zuletzt daran gescheitert, dass man sich nicht auf einen Bundeshaushalt einigen konnte.

Bundeskanzler Olaf Scholz drängte damals darauf, die Schuldenbremse wegen des Ukraine-Krieges auszusetzen, um so Platz im Bundeshaushalt zu schaffen. Alle Ukraine-Ausgaben in Gesamthöhe von 15 Milliarden Euro sollten außerhalb der Schuldenregeln laufen, wodurch sich Kreditfreiräume für andere Ausgaben ergeben hätten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) war dazu nicht bereit und forderte stattdessen Ausgabenkürzungen, unter anderem im Sozialbereich.

Vorausgegangen waren monatelange Verhandlungen. Als die Bundesregierung Ende Juli 2024 den ersten Regierungsentwurf des Bundeshaushalts für 2025 präsentierte, klaffte noch eine gewaltige Lücke. Verschiedene Ansätze sollten noch geprüft werden, um zusätzliche Ausgabenspielräume zu schaffen, ohne den Verschuldungsspielraum der Schuldenbremse zu überschreiten. Dazu gehörte, die milliardenschweren Zuschüsse an die Bahn und die Autobahngesellschaft durch Darlehen zu ersetzen. Gutachten wurden in Auftrag gegeben, die Ergebnisse sorgten aber nur für den nächsten Streit zwischen den Ampel-Akteuren.

Die Grundgesetzänderungen mit den neuen, gewaltigen Verschuldungsmöglichkeiten haben nun wieder ein „geordnetes Verfahren“ der Haushaltsaufstellung erlaubt, wie es im Bundesfinanzministerium heißt. Kein Wunder, gespart wird zunächst nur minimal bei Personal- und Sachausgaben. Immerhin ist im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode noch eine umfassende Ausgabenprüfung angekündigt.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.

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