Kaum jemand an der Börse nimmt Donald Trumps ständige Drohungen im Zollkrieg noch ernst. Anleger kalkulieren inzwischen fest ein, dass der US-Präsident immer nur blufft und am Ende einknickt. Darin liegt eine große Gefahr.

Entwarnung! Donald Trump hat die Welt gerettet - mal wieder. "Unser Deal mit China ist durch und wartet auf finale Bestätigung durch Präsident Xi und mich", verkündete Trump in dieser Woche auf Truth Social ein vorläufiges Rahmenabkommen im Handelsstreit mit der Volksrepublik. Die Welt atmete auf: Nach zweitägigen Marathon-Verhandlungen in London sind beide Seiten wieder zu der 90-tägigen Zollpause zurückgekehrt, die sie im Mai in Genf vereinbart hatten. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob die Vereinbarung entgleisen könnte und zwischen der größten und zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt bald wieder die astronomischen Zölle von mehr als 100 Prozent gelten könnten, die Trump im April in Kraft gesetzt hatte.

Nun steht also alles wieder auf Anfang. Zum x-ten Mal wiederholt sich dabei ein Muster, das seit dem Beginn von Trumps Zollkrieg läuft: Erst schlägt Trump mit den Flügeln und plustert sich auf. Er stilisiert die USA zum Opfer im Welthandel, poltert und droht mit grotesken Strafzöllen. Am Ende knickt er ein und verkündet einen Deal - auch wenn der wenig Neues oder Konkretes enthält. "Eskalation zur Deeskalation" nennen Militärstrategen und Politikexperten die Strategie. An der Wall Street hat sich längst ein anderer Name dafür eingebürgert: "Trump always chickens out" (Taco): Trump kneift jedes Mal - wie ein ängstliches Hühnchen.

Erfunden hat den Begriff vor wenigen Wochen der Financial-Times-Kolumnist Robert Armstrong. Weil Trumps ständige Bluffs sprichwörtlich geworden sind, ist das Internet nun voll von Taco-Memes. Sogar Taco-Songs gibt es inzwischen: "Erst bellt er laut und kneift dann doch, der Markt hat's gelernt und springt sofort hoch", haben ein paar findige Blödel-Barden gedichtet. "Kauf wenn die Kurse fallen und warte, ob's zieht, er kommt schneller zurück als ´ne Braut, die flieht."

China nimmt Trump in der Zange

Die Trader haben Trumps Theater längst eingepreist. Wenn man die Nerven hat, mit seiner Zoll-Achterbahn mitzufahren, lässt sich viel Geld verdienen. Die Investmentbank Nomura hat errechnet, dass dank Trumps Zoll-Chaos mit einer einfachen Wette seit Februar 12 Prozent Rendite drin gewesen wären: Jedes Mal, wenn Trump rhetorisch eskaliert, mit Futures auf einen Crash des S&P 500 wetten - und sie dann fünf Tage später wieder kaufen. Das ist in etwa das Zeitfenster, für das Trump den Nervenkitzel bislang durchgehalten hat.

"Buy the Dip", einen Wert nach einem Rücksetzer kaufen, ist schon immer eine gängige Börsenstrategie gewesen. Im Zeitalter des Zoll-Chaos ist es die einzige Taktik, an die sich die Märkte klammern, um mit den ständigen Volten des US-Präsidenten klarzukommen. Es spricht einiges dafür, dass das auch noch eine Weile gut geht. Denn für viele Analysten hat Trump sein Blatt gegen China schon längst überreizt.

Der Handelskrieg schadet auch US-Exporteuren immer mehr, treibt die Preise und droht die Regale in US-Supermärkten leerzufegen. Auch Trumps Wähler beginnen, ihn im Portemonnaie zu spüren. Die Weltbank hat ihre Konjunkturprognose für mehr als zwei Drittel aller Länder deutlich gesenkt, es droht das langsamste Wachstum seit der Finanzkrise 2008. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, als dass Trump seine Drohungen wahrmachen könnte.

Zudem hat China inzwischen ein echtes Druckmittel gegen Trump gefunden: seltene Erden. Wegen der kritischen Mineralien flehen US-Autohersteller das Weiße Haus immer lauter an, eine Einigung mit Peking zu suchen. Sie waren auch der Grund für die neue Verhandlungsrunde in London. Denn in manchen US-Fabriken stehen bereits die Bänder still. China hat ein globales Monopol auf die Produktion der unersetzlichen Bodenschätze, aus denen vor allem Magneten für die Hightech-Industrie hergestellt werden. Und auf absehbare Zeit können die USA nichts gegen Chinas Exportkontrollen machen - so sehr Trump auch wütet und droht.

Der Waffenstillstand mit Peking ist überaus brüchig

Doch in der Offensichtlichkeit von Trumps Bluffs liegt zugleich auch das Problem. Je mehr sich die Wall Street auf den Taco-Trade einschießt, desto geringer werden nicht nur die Gewinne, weil sich der Effekt abnutzt und die Rally am Ende von Trumps immer gleichem Drehbuch immer kleiner ausfällt. Auch das Potenzial für einen Crash steigt, je mehr sich die Märkte an das Auf und Ab gewöhnen. Denn die Gefahr, dass sie daneben liegen oder Trump sie auf dem falschen Fuß erwischt, ist real.

Trotz vieler Rückzieher hat Trump manche seiner Drohungen beinhart durchgezogen: Seine Stahlzölle etwa hat er von 25 auf 50 Prozent verdoppelt, obwohl längst Gespräche darüber mit der EU laufen. Und auch Trumps Gegner machen den Taco-Tradern womöglich einen Strich durch die Rechnung. Je öfter er China verbal attackiert, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Peking weiter mitspielt und deeskaliert, wenn es Trump gerade passt.

Der Waffenstillstand mit der Volksrepublik ist überaus brüchig. "Es scheint, als würden wir im Kreis verhandeln", zitiert die "New York Times" den ehemaligen Cheflobbyisten der US-Handelskammer. "Was genau bekommen wir, das wir nicht schon vorher hatten?", fragt sich auch die leitende Analystin eines libertären Thinktanks in der Zeitung. "Dieser Deal deutet darauf hin, dass es nie einen wirklichen Plan gab."

Trumps fehlende Strategie schafft ständige Unsicherheit, die die Märkte am Ende doch paralysieren könnte. Denn auch wenn die Händler kurzfristig am Taco-Trade verdienen, ist der langfristige Schaden für die reale Wirtschaft, für Lieferketten, mittelständische Unternehmen und das allgemeine Verbrauchervertrauen ungleich größer.

Trumps Ego könnte die Weltwirtschaft erschüttern

Das größte Risiko bleibt jedoch Trump selbst. Je öfter er blufft, desto schwieriger wird es für ihn, von dem rhetorischen Baum herunterzusteigen, auf den er geklettert ist, ohne sein Gesicht zu verlieren. Dass die Wall Street über ihn lacht, kratzt an Trumps Ego. Möglich also, dass er irgendwann aus Prinzip den starken Mann markiert, um seine Glaubwürdigkeit zu retten - und dabei die Weltwirtschaft in den Abgrund stürzt.

Finanzjournalist Armstrong warnt genau davor: "Der beste Teil von Trumps Zollpolitik sind die Rückzieher", sagt der Erfinder des Taco-Trades im Gespräch mit einem US-Podcaster. "Die Vorstellung, dass ich mit diesem dämlichen Witz den Präsidenten womöglich ein wenig mehr dazu treibe, nicht zu kneifen, ist eine schreckliche, unbeabsichtigte Folge, von der ich meine Hände gerne reinwaschen möchte."

Die Gefahr eines Börsencrashs ist weiterhin da: Der 90-tägige Waffenstillstand zwischen Washington und Peking läuft im August aus. Klare Hinweise, dass Trump bereit ist, ihn zu verlängern oder seine astronomischen Strafzölle komplett zu kassieren, gibt es bislang nicht. So sehr sich die Börsianer also über Trump lustig machen, so sehr unterschätzen sie womöglich sein Zerstörungspotenzial.

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