Ziele und Realität für den Glasfaserausbau klaffen immer weiter auseinander. Kaum noch jemand hält eine flächendeckende Versorgung mit den schnellen Glasfasernetzen in Deutschland bis 2030 für realistisch, wie es die Gigabitstrategie der vorherigen Ampel-Regierung vorgegeben hat. Das gilt auch für die Abschaltung der Kupfernetze, die von der EU-Kommission für 2030 in Europa angestrebt wird. Selbst die in solchen Einschätzungen eher vorsichtige Bundesnetzagentur hat nun das Stoppschild gezeigt.
„Perspektivisch wird es zu einer Abschaltung des Kupfernetzes kommen“, heißt es zwar in einer Mitteilung der Behörde. Der Ausbau von Glasfasernetzen und die Nachfrage nach Glasfaseranschlüssen sei jedoch regional unterschiedlich ausgeprägt. „Deshalb ist noch unklar, wann in den ersten Gebieten das Kupfernetz abgeschaltet wird.“ Die EU-Kommission habe zwar in ihrem Weißbuch zu digitalen Infrastrukturen die Abschaltung aller Kupfernetze bis 2030 als Ziel formuliert. „Das scheint aufgrund der Entwicklung des Ausbaus und von der Nachfrage nach Glasfaseranschlüssen für Deutschland jedoch unrealistisch“, heißt es inzwischen von der Bundesnetzagentur.
Auch auf dem Breitband-Branchentreff AngaCom in Köln beeilen sich die Anbieter von Internetzugängen, das Gespenst der DSL-Abschaltung zu vertreiben. Missverständliche Medienberichte über ein vermeintliches DSL-Aus hatten in den vergangenen Tagen 23 Millionen Nutzer von DSL-Anschlüssen aufgeschreckt, die in Deutschland noch ihre Internetverbindung über die Kupferleitungen beziehen. Nach wie vor beherrschen DSL-Anschlüsse den Großteil des Breitbandmarktes. Der Telko-Branchenverbands Breko sprach von einem „realitätsfernen Schreckensszenario“, das unnötig verunsichere. Die Telekom versicherte ebenfalls, dass es gegenwärtig keine konkreten Pläne für eine Abschaltung des Kupfernetzes gebe.
Auch wenn das Jahr 2030 für eine Abschaltung unrealistisch ist: Irgendwann soll das Aus für das Kupfernetz kommen. Für die Telekom wird es am Ende zu teuer, zwei Netztechnologien parallel zu betreiben. Das bestreitet das Unternehmen auch nicht. Wie das am Ende jedoch geschehen soll, ist noch unklar. Die Bundesnetzagentur hat die Diskussion mit einem Impulspapier nun angestoßen und sammelt noch bis zum 23. Juni Stellungnahmen dazu ein. Tatsächlich muss die Telekom selbst einen solchen Abschaltungsantrag bei der Behörde stellen, wenn sie DSL-Nutzer in einer Region komplett auf die Glasfaser bringen will.
Die Konkurrenten der Telekom befürchten, dabei auf der Strecke zu bleiben. „Wir möchten jedem DSL-Kunden ein besseres und günstigeres Angebot machen“, sagte Vodafone-Chef Marcel de Groot gegenüber WELT. „Das können wir aber nur, wenn wir mit ausreichend Vorlaufzeit von der Telekom wissen, wann und wo DSL abgeschaltet wird.“ Diese Transparenz solle die Bundesnetzagentur der Telekom schnellstens verordnen. „Wir müssen jetzt sicherstellen, dass aus dem heutigen Telekom-Kupferprivileg kein Glasmonopol wird.“ Sollte die Telekom ihr Kupfernetz abschalten, wollen die Konkurrenten die Möglichkeit erhalten, auf dem der Telekom-Glasfaser eigene Angebote zu machen, so wie es heute auch im DSL-Netz möglich ist.
Der anstehende Umstieg von DSL auf Glasfaser könnte für die Telekom-Konkurrenten eine neue Chance sein, ihren Marktanteil zu erhöhen. Ob die Rechnung jedoch aufgeht, ist fraglich. Denn zuletzt ist genau das Gegenteil geschehen. „Wir beobachten, dass die Marktdominanz der Deutschen Telekom von Jahr zu Jahr zunimmt“, sagte Andreas Walter, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsinstituts Dialog Consult, das die jährliche Analyse des Telekommunikationsmarktes im Auftrag des Branchenverbandes VATM erstellt. Derzeit laufen fast 70 Prozent der Breitbandanschlüsse in Deutschland auf dem Netz der Telekom.
Bis das Kupfernetz abgeschaltet wird, können die Telekommunikationsunternehmen noch viele Fehler machen. Dass der Glasfaserausbau zäh läuft, zeigt sich schon länger. Zwar liegt inzwischen die Glasfaser in unmittelbarer Nähe von etwa der Hälfte der Haushalte in Deutschland, doch tatsächlich angeschlossen an die Glasfaser ist gerade einmal jeder fünfte Haushalt. Die Zahl der Haushalte, die dann tatsächlich auch einen Glasfasertarif gebucht haben, liegt noch deutlich darunter.
Offenbar haben die Anbieter das Akzeptanzproblem der Glasfaser lange unterschätzt. „Dem Nutzer ist es egal, über welche Technologie er seine Geschwindigkeit bekommt“, sagt Timo von Lepel, Chef des Kölner Anbieters NetCologne im Gespräch mit WELT. Tatsächlich sind nur wenige Nutzer bereit, einen Aufpreis für die Glasfaser zu zahlen, wenn die Geschwindigkeit mit den DSL-Anschlüssen vergleichbar sind. Mitte Juni will NetCologne Glasfasertarife einführen, die bei gleicher Geschwindigkeit unter den DSL-Tarifen liegen.
Auch andere Anbieter gehen diesen Weg. „Verschiedene Glasfaseranbieter haben Tarife mit über 100 Megabit pro Sekunde für unter 30 Euro monatlich im Programm, manche DSL-Tarife sind teurer und bieten weniger Leistung“, sagt Jörg Schamberg, Telekommunikationsexperte beim Verbraucherportal Verivox. „Wenn Glasfaser zumindest für durchschnittliche Anwender oft sogar günstiger zu haben ist, könnte auch eine Trendwende bei der Nachfrage eingeläutet werden.“
Möglicherweise könnte auch der Ausbau beschleunigt werden. Die Bundesregierung hat bereits eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) beschlossen, sodass der Glasfaserausbau nun auch offiziell von „überragendem öffentlichem Interesse“ ist, was Baugenehmigungen beschleunigen kann. In Genehmigungsverfahren wird dem Ausbau bei der Abwägung unterschiedlicher Belange wie dem Naturschutz dann in der Regel Vorrang eingeräumt.
Mit einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Breitbandverbandes ANGA macht sich die Branche jetzt Mut. So sieht mehr als die Hälfte der Bevölkerung die auf Kupferkabeln basierende DSL-Technologie als Auslaufmodell. Knapp zwei Drittel der Deutschen sind nach eigenen Angaben auf schnelle Internetverbindungen angewiesen. Vier von zehn Befragten würden aber erst Geschwindigkeiten von mehr als 250 Megabit pro Sekunde als schnell bezeichnen. Für DSL-Leitungen ist das bereits die Höchstgeschwindigkeit.
Doch Umfragen beschleunigen nicht den Netzausbau. Noch immer ist es eine Minderheit, die sich an das Glasfasernetz anschließen lässt, wenn sich die Bagger durch die Straße arbeiten. Die Folge: Zwar liegt dann die Glasfaser in der Nähe der Haushalte, was als „Homes Passed“ bezeichnet wird, aber die letzten Meter zum Haus fehlen. Denn nur die wenigsten entscheiden sich während des Ausbaus für einen Glasfasertarif. Nach den Zahlen der aktuellen Marktanalyse des Breitbandverbandes Breko liegt die Quote bei der Telekom bei nur 16 Prozent, bei den Telekom-Konkurrenten ist sie zumindest doppelt so hoch.
Die Verbände bezeichnen das Vorgehen der Telekom als „Handtuchwerfen“, weil sie an vielen Orten ihre Glasfaser nur in die Straße lege, damit dort keine Konkurrenten ausbauten. Denn zwei parallele Glasfasernetze rechnen sich betriebswirtschaftlich nicht. Die Telekom habe dann keine Eile, Nutzer an das Glasfasernetz anzuschließen, weil die meisten von ihnen bereits Tarife auf dem DSL-Netz abgeschlossen hätten. Die Telekom weist diese Vorwürfe regelmäßig von sich.
Thomas Heuzeroth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Verbraucher- und Technologiethemen, Unterhaltungselektronik und Telekommunikation.
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