Für Wirtschaftsministerin Katherina Reiche war es ein Auftritt mit Wohlfühl-Atmosphäre. Das jährliche Treffen der deutschen Energiewirtschaft in Berlin, eine Veranstaltung mit rund 1600 Teilnehmern, sei für sie „kein unbekannter Platz, sondern das Wohnzimmer, was man immer besucht im Juni“, sagte die CDU-Politikerin auf der Bühne. „Wir kennen uns. Mich verbindet viel mit dieser Branche.“

Das gilt auch für die politischen Ziele der ehemaligen Chefin der E.on-Tochterfirma Westenergie. Reiche skizzierte vor ihren früheren Kollegen die Pläne der Bundesregierung für die Energiebranche. Das stieß auf Zustimmung, auch weil ihre Pläne ziemlich genau den Vorstellungen von Stromkonzernen, Kraftwerks- und Netzbetreibern entsprechen.

Die Harmonie zwischen der Ministerin, den Managern und ihrer der Cheflobbyistin Kerstin Andreae – die „liebe Kerstin“, wie Reiche sagte – setzte sich sogar beim Auftritt des Umweltministers Carsten Schneider (SPD) fort. Er kam nach Reiche auf die Bühne und betonte als Erstes, dass er sich mit der Kabinettskollegin in allen Zielen und Projekten einig sei.

Versorgungssicherheit oder mehr Erneuerbare?

Und doch zeigten sich in der direkten Abfolge der beiden Regierungsmitglieder die künftigen Sollbruchstellen in der Koalition. Mehr Versorgungssicherheit oder ein immer noch schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien – da sind sich Reiche und Schneider trotz aller Bekenntnisse nicht einig.

Die Wirtschaftsministerin verspricht eine neue Balance zwischen den Zielen Versorgungssicherheit, bezahlbarer Energie und Klimaschutz. Den Ausbau der erneuerbaren Energien bezeichnete sie als „den erfolgreichen Teil der Energiewende“. „Aber der Erfolg der Energiewende macht sich nicht allein an der installierten Leistung fest, an der Anzahl der installierten PV-Module“, sagte sie.

In der Vergangenheit sei die Betrachtung auf die installierte Leistung etwas einschränkend gewesen. „Was vergessen wurde oder man gerne um den Tisch gekehrt hat, sind die Systemkosten. Wir müssen einen Blick auf die Systemkosten der Energiewende werfen.“

Als Carsten Schneider ans Mikro tritt, betont er zunächst, dass er alles unterschreiben könne, was seine Vorrednerin erwähnt habe. „Die Regierung steht geschlossen“, so Schneider. Das sei ein wichtiges Signal. Darauf erntet er Lachen aus dem Publikum. Doch die Botschaften, die der ehemalige Ostbeauftragte im Laufe seiner Rede und in einer Panel-Diskussion später platziert, sind alles andere als immer im Einklang mit Reiche.

Das Signal des Ausbaus der Erneuerbaren habe Deutschland in den letzten Jahren geholfen, die klimapolitischen Ziele zu erreichen, sagte Schneider. Nun müssten die Netze diesem Ausbau noch viel stärker folgen als es bisher der Fall gewesen sei.

Auf die Frage des Moderators, ob man nicht erst mal wirtschaftlichen Aufschwung brauche, bevor man sich um die erneuerbaren Energien kümmern könne, antwortet Schneider zunächst. „Wir brauchen stärkeres Wachstum in Deutschland, eine Wettbewerbsfähigkeit.“ Zu diesem Punkt habe er sich auch klar bekannt. Dazu stelle man die Weichen im Parlament, unter anderem durch das Investitionspaket von 500 Milliarden Euro in Deutschland. „Und die Erneuerbaren“, so Schneider, „senken den Preis für Strom. Also die billigste Form der Stromerzeugung, die wir haben können. Und deswegen steht das nicht im Widerspruch, sondern ist ergänzend.“

Im Saal hebt sich Schneider nicht nur durch seine Argumente von seiner Vorrednerin ab. Er spricht lockerer und kommt mit seinem Auftritt beim Publikum besser an. Obwohl Reiche politisch mehr auf der Linie der Energiemanager argumentiert erhält der Umweltminister spürbar mehr Applaus.

Klimaschutz müsse laut Schneider mit der sozialen Frage zusammen gedacht werden, damit man in der Frage des Zusammenhalts der Gesellschaft, aber auch beim Erreichen der Klimaneutralität vorankomme. Er spricht über die Wähler, Menschen mit geringem Einkommen, aus Dörfern und von Pendlern. Reiche hingegen konzentriert sich auf die Industrie, aus der sie kommt – und auf die Pläne, die sie umsetzen will.

Ihren Schwerpunkt legt die Energieministerin derzeit auf Gaskraftwerke. Sie plant bis zum Jahresende eine Ausschreibung für die ersten Anlagen, mit einer Leistung von fünf bis zehn Gigawatt. Der Koalitionsvertrag sieht bis zu 20 Gigawatt vor, das entspricht 40 Kraftwerken. Die Anlagen sollen das Netz künftig stabil halten, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Vor allem „südlich der Mainlinie“ müsse man das schnell hinbekommen, sagte Reiche. Weil die Kraftwerke mit staatlichen Subventionen gebaut werden sollen, muss die EU-Kommission in Brüssel zustimmen. Darüber verhandeln ihre Beamten gerade.

Die Ministerin erwähnt auch den großen Stromausfall in Spanien und Portugal, dessen genaue Ursache noch immer untersucht wird. „Sicher ist: Wenn flexible, steuerbare Leistung nicht genug vorhanden ist, laufen wir in Versorgungssicherheitszustände, die ernst zu nehmen sind“, sagte sie am Rande des Kongresses. „Wir können es uns nicht leisten, auf Kante genäht zu fahren. Viele Übertragungsnetzbetreiber haben ihre Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir sehr, sehr knapp sind, was Reserven betrifft.“ Deswegen sollen die neuen Kraftwerke nun schnell gebaut werden. Die Ersten davon wohl auch ohne die Möglichkeit, sie später auf Wasserstoff umzustellen.

Joana Lehner ist Wirtschaftsredakteurin und berichtet über Energie-Themen und Sanktionspolitik.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet unter anderem über Wirtschaftspolitik.

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