Nach der längsten Rezessions- und Stagnationsphase seit Bestehen der Bundesrepublik schaltet die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstum. US-Präsident Donald Trump und seine konfrontative Handelspolitik belasten zwar die Weltwirtschaft, aber die deutsche Wirtschaft zeigt sich erstaunlich widerstandsfähig.

Die Ökonomen der OECD, einer Denkfabrik vorwiegend wohlhabender Industrieländer, sehen erste Anzeichen dafür, dass Deutschland Anlauf nimmt, wieder der Wachstumsmotor der europäischen Wirtschaft zu werden – eine Rolle, die während der rund drei Jahre währenden wirtschaftlichen Schwächephase Spanien, Italien und Polen übernommen hatten.

Die deutsche Wirtschaft trotzt dem Trump-Effekt erstaunlich gut. In ihrer am Dienstagmorgen veröffentlichten Konjunkturprognose korrigieren die Ökonomen der OECD zwar wegen der Handelspolitik des US-Präsidenten ihre Wachstumserwartungen für die Welt nach unten. Die Weltwirtschaft, die im vergangenen Jahr um 3,3 Prozent gewachsen ist, soll in diesem und im kommenden Jahr nur noch um bescheidene 2,9 Prozent zulegen. „Schwächere Wachstumsaussichten werden weltweit spürbar sein und es wird beinahe keine Ausnahmen geben“, heißt es in dem aktuellen Papier. Der Zollkrieg von Trump werde Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze kosten.

Auch die Euro-Zone wird weit hinter ihren Wachstumsraten der Vergangenheit zurückbleiben: In diesem Jahr soll sie um 1,0 Prozent zulegen und 2026 um immerhin 1,2 Prozent. Zum Vergleich: zwischen 2013 und 2019 ist der Währungsraum beinahe doppelt so schnell gewachsen. Auf diese Wachstumsphase folgten der Einbruch in der Covid-Pandemie und die lange quälende Konjunkturschwäche in Deutschland, die den Rest Europas in Mitleidenschaft gezogen hat.

2026: 1,2 Prozent Wachstum in Deutschland

Offenbar sehen die OECD-Ökonomen aber Zeichen für eine Trendwende hierzulande: In ihrem Konjunkturpapier schlagen sie in Bezug auf Deutschland erstaunlich positive Töne an. Zwar soll die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr lediglich um magere 0,4 Prozent zulegen und im kommenden nur um 1,2 Prozent – aber dass Deutschland überhaupt wieder auf Wachstum schaltet, ist auch für die anderen Volkswirtschaften in Europa eine gute Nachricht.

„Die neuen US-Importzölle und eine ausgeprägtere Unsicherheit in der Handelspolitik werden Europa in diesem Jahr belasten“, schreiben die Ökonomen. „Aber ein kräftigeres Wachstum in Deutschland im kommenden Jahr sollte eine Erholung des innereuropäischen Handels befeuern.“

Verantwortlich für die positivere Einschätzung sind vor allem die angekündigten Investitionsprogramme in die Infrastruktur und die geplanten höheren Militärausgaben. Ein spezieller Infrastrukturfonds soll in den kommenden zwölf Jahren bis zu 500 Milliarden Euro in Infrastruktur und Klimaschutz investieren und davon sind allein 100 Milliarden für lokale öffentliche Investitionen vorgesehen. Die noch vor dem Amtsantritt durch den Bundestag gebrachte Lockerung der Schuldenbremse macht derweil höhere Verteidigungsausgaben möglich: Ab 2028, wenn das nach Russlands Einmarsch in der Ukraine geschaffene Sondervermögen erschöpft ist, sollen jedes Jahr 80 Milliarden Euro in die Verteidigung fließen.

„Die Reform der Haushaltsregeln in Deutschland sowie die geplanten Erhöhungen der Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur dürften im Jahr 2026 zu einem erheblichen Konjunkturimpuls und deutlich stärkeren öffentlichen Investitionen führen“, resümieren die OECD-Ökonomen.

Briten in Panik vor Inflation

Hinzu kommt die gesunkene Inflation. Die Organisation warnt zwar, dass in vielen Volkswirtschaften, die Preissteigerungen immer noch nicht unter Kontrolle sind oder hohe Inflation wieder aufflammt. In Großbritannien etwa müssen derzeit bei den Zentralbankern die Alarmglocken schrillen, weil die Inflationserwartungen der Menschen nicht mehr unter Kontrolle sind: Die britischen Verbraucher gehen offenbar davon aus, dass die Preise auch in den kommenden Jahren kräftig steigen werden– aus Zentralbanksicht eine gefährliche Situation, weil dermaßen aus der Verankerung gerissene Inflationserwartungen die Inflation weiter befeuern.

Hierzulande ist die Situation eine andere: Im April und im Mai lag die Inflation laut den aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes bei 2,1 Prozent und damit nur knapp über den zwei Prozent Inflationsrate, die die Europäische Zentralbank mit ihrer Politik anstrebt. Ökonomen wie Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, gehen denn auch davon aus, dass die Teuerungsrate hierzulande bald unter zwei Prozent fallen könnte.

„Die niedrigere Inflation, steigende Nominallöhne und weniger politische Unsicherheit nach der Regierungsbildung werden dafür sorgen, dass die privaten Haushalte mehr konsumieren“, schreiben die OECD-Ökonomen. Die Anfänge zeichnen sich bereits ab: Das Konsumbarometer des Handelsverbands Deutschland (HDE) ist zuletzt fünf Monate in Folge gestiegen. Vor allem die Sorgen der Verbraucher vor der Teuerung sei mehr Optimismus gewichen, berichtete der Verband am Montag.

Die niedrigere Inflation befeuert einen Positiv-Kreislauf: Die EZB hat wegen des nachlassenden Preisdrucks in der Euro-Zone zuletzt sieben Mal in Folge ihren Leitzins gesenkt und viele Beobachter gehen davon aus, dass sie ihre Geldpolitik weiter lockern wird. Bereits in dieser Woche könnte es so weit sein. Die niedrigeren Zinsen beflügeln hierzulande Investitionen der Unternehmen und den privaten Konsum zusätzlich.

Konjunkturprogramme allein reichen nicht

Die Ökonomen der OECD warnen allerdings, dass die neue Bundesregierung ihren Teil dazu beitragen muss, dass aus der besseren wirtschaftlichen Lage ein selbsttragender Aufschwung wird. Konjunkturprogramme allein reichen nicht; da sind die Wirtschaftsforscher in ihrem Urteil sehr klar. Die Bundesregierung müsse jetzt strukturelle Reformen anpacken, um Wachstumskräfte in der Wirtschaft freizusetzen.

Das ist auch wichtig, damit die vielen zusätzlichen Milliarden aus der Staatskasse zu mehr Investitionen und Arbeitsplätzen führen. Entwickeln sich die Kapazitäten in der Produktion und bei Dienstleistern nämlich nicht mit den höheren Ausgaben, und heizt der Geldregen aus öffentlichen Investitionen die Nachfrage nach knappen Ressourcen an, kann aus dem Konjunkturprogramm schnell ein Inflationsschock werden. Deshalb müssten Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren vereinfacht und harmonisiert werden, damit öffentliche Investitionsprojekte schnell umgesetzt werden, mahnt die OECD.

Wichtig sei es, Bürokratie und Regulierung abzubauen, damit Firmengründungen einfacher werden und bestehende Firmen leichter wachsen können. Firmengründern sollten etwa weniger Vorschriften gemacht und auch der Zugang zu bestimmten Berufsgruppen vereinfacht werden, auch um den Fachkräftemangel abzumildern. Das gelte besonders für Firmen im Bauwesen und Dienstleister, schreiben die Ökonomen. Das sei „der Schlüssel, um den Wettbewerb zu stärken, die Wirtschaft wieder zu beleben und Investitionen und Innovationen anzutreiben.“ Dazu gehöre auch, die öffentliche Verwaltung weiter zu digitalisieren und bestehende Regeln und Verwaltungsroutinen zu vereinfachen und in ganz Deutschland zu harmonisieren.

Zudem plädieren die OECD-Experten dafür, Kapitalbesitzer stärker zu besteuern und dafür Arbeitnehmer weniger stark mit Steuern und Sozialabgaben zu belasten. So könne die Regierung etwa Unternehmenserben, die bisher privilegiert behandelt werden, stärker zur Kasse bitten. Wenn Arbeitnehmern mehr Netto vom Brutto bleibt, könne das helfen, Arbeit attraktiver zu machen und den Arbeitskräftemangel lindern. Für Arbeitnehmer könnte es etwa attraktiver werden, von Teilzeit auf Vollzeit aufzustocken, länger im Job zu bleiben – oder überhaupt zu arbeiten. „Die steuerlichen Anreize für die Frühverrentung zu reduzieren, würde es attraktiver für ältere Arbeitnehmer machen, länger zu arbeiten“, schreiben die Autoren. Zur Stabilisierung des Rentensystems könne das obendrein beitragen.

Tobias Kaiser verfolgt andere europäische Volkswirtschaften, schreibt über den Standortwettbewerb auf dem Kontinent und berichtet vor Ort über Entwicklungen und deren Folgen für Deutschland.

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