Es eine dieser legendären Szenen, die Fußball-Deutschland nie vergessen wird. Als vor 30 Jahren der BVB-Spieler Andreas Möller im Strafraum ohne jeden Kontakt abhob, wurde die "Schutzschwalbe" geboren. Ganz nebenbei erfand ein Trainer den Videobeweis.

Als Weltmeister Andreas Möller am Abend des 13. April 1995 im Strafraum des Karlsruher SC zu einer der imposantesten Schwalben der Fußballgeschichte abhob, konnte er noch nicht einmal im Ansatz erahnen, was diese fiese Tat so alles nach sich ziehen sollte. Am nächsten Morgen wäre Möller auf jeden Fall lieber im Bett liegengeblieben. Denn am Kiosk wartete bereits die Zeitung mit den vier Buchstaben auf ihn, die sein Konterfei mit einem neuen Titel versehen hatte: der "größte Fußball-Betrüger" aller Zeiten!

Tatsächlich ist die Szene an diesem unvergesslichen Abend Mitte April vor 30 Jahren bis heute den Fußballfans präsent. Es war der 26. Spieltag der Saison 1994/95, als der Karlsruher SC an einem Donnerstagabend zu einer Partie im ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion antrat. Die Ausgangslage vor dem Spiel war klar: Der BVB und sein Verfolger aus Bremen standen punktgleich in der Tabelle an der Spitze. Jede eigene Schwäche hätte also zur Folge gehabt, dass der SV Werder bei einem Erfolg in Köln an den Borussen hätte vorbeiziehen können. Und so schauten 42.800 Zuschauer gebannt und nervös auf den grünen Rasen - und sahen einen KSC, der begeistern konnte und nach einem Tor von Gunther Metz völlig verdient mit 1:0 führte.

"Das war eine Schutzschwalbe"

Lange Zeit sah es nicht mehr so aus, als ob der BVB würde reagieren können. Es dauerte bis zur 75. Minute, bis die "Reizfigur der Bundesliga" (Andreas Möller über sich selbst) eine Idee hatte. Es war ein äußerst verwegener Einfall, den der Nationalspieler da an diesem Abend verfolgte. Als Möller in den Strafraum des KSC lief, hob er plötzlich ab - obwohl sein Gegenspieler Dirk Schuster meterweit von ihm entfernt war. Doch der Nationalspieler hatte Glück. Denn der Schiedsrichter stand ungünstig. Und so zeigte Günther Habermann trotz einer "dilettantischen Schwalbe" (laut "Sport Bild") auf den Elfmeterpunkt. Den anschließenden Strafstoß verwandelte Michael Zorc sicher. Das Spiel, das bis dahin auf einen Sieg der Karlsruher hinausgelaufen war, wurde komplett gedreht, als Matthias Sammer in der 86. Minute den BVB in Führung schoss.

Die Aufregung im Anschluss an die Partie war verständlicherweise riesengroß - und wurde noch gesteigert, als Andreas Möller in einer ersten Reaktion einen bis heute unvergessenen Satz über sein allzu offensichtliches Vergehen sagte: "Das war eine Schutzschwalbe. Ich dachte, dass Dirk Schuster mich voll umhauen würde." Und als er dann auch noch den gegnerischen Coach Winfried Schäfer mit einer weiteren legendären Aussage direkt mit ins Geschehen zog, war das Fass bereits übergelaufen: "Bei jedem anderen Trainer wäre ich zum Schiedsrichter gegangen und hätte gesagt: Okay, das war kein Foul. Nicht aber bei Winfried Schäfer."

Hansch empört: "Sehen Sie diesen Blick?"

Die TV-Bilder, die einen zufrieden lächelnden Andreas Möller nach dem Elfmeterpfiff zeigten ("Sehen Sie diesen Blick?", Sat1-Kommentator Werner Hansch) waren anschließend nur noch das i-Tüpfelchen, um ganz Fußball-Deutschland kollektiv auf die Palme zu bringen. Kein Wunder, dass sofort von verschiedenen Stellen eine Sperre für Möller gefordert wurde. Doch das war gar kein so leichtes Unterfangen, schließlich galt erst einmal die Tatsachenentscheidung. Doch der Fall kam dem DFB-Chefankläger Horst Hilpert - einem ausgewiesenen Feind der "Schwalbe" - gerade recht. Endlich hatte er einmal eine "breite Allianz" hinter sich, die dieses Vergehen bestrafen wollte. Und so meinte Hilpert schließlich auch fest entschlossen: "Wenn ich diese exorbitante 'Schwalbe' nicht zur Anklage bringe, muss ich meinen Hut nehmen."

Und tatsächlich war der Prozess für den Mann aus Bexbach im Saarland ein voller Erfolg. Da Schiri Habermann schriftlich bestätigte, dass er die Handlung von Möller im Spiel nicht habe sehen können und es deshalb wegen des verzerrten Winkels zu dieser Fehleinschätzung gekommen sei, konnte die eigentliche Tatsachenentscheidung aufgehoben werden. Möller wurde für zwei Spiele gesperrt ("Ich bin auch nur ein Mensch") und musste 10.000 Mark Geldstrafe zahlen. Hilpert sprach anschließend davon, dass der Prozess ein "Meilenstein im Kampf gegen die 'Schwalbe'" gewesen sei.

"Als Schwalbe würde ich es mir verbitten, mit Möller verglichen zu werden"

Interessant aus heutiger Sicht ist aber auch noch etwas anderes. Werder-Trainer Otto Rehhagel, der direkt ein Leidtragender des "Fußball-Betrügers" war, da nur wenige Wochen später die Borussia mit nur einem Punkt Vorsprung vor Werder Bremen Meister wurde, regte damals an, dass die Bundesliga einen "Oberschiedsrichter" bräuchte, der die Kollegen auf dem Platz zu Hause am Fernsehschirm unterstützen sollte. Quasi also der Videoschiedsrichter von heute.

Doch WM-Schiri Hellmut Krug aus Gelsenkirchen konnte damals dieser Idee überhaupt nichts Gutes abgewinnen: "Wie soll das in der Praxis aussehen? Wann ist eine Situation so klar, dass der Oberschiedsrichter einstreiten muss? Wenn der Pfiff ausbleibt, darf der Oberschiedsrichter dann unterbrechen? Wie lange darf er die Fernsehbilder prüfen? Sogar die TV-Sender streiten über Szenen. Im Grunde bliebe trotz eines Oberschiedsrichters alles beim Alten. Es würde weiter diskutiert: War der Pfiff richtig oder nicht?"

Eine interessante Sichtweise, die Hellmut Krug damals nach dem kuriosen Fall der "Schutzschwalbe" auf die Zukunft hatte. 30 Jahre später ist nur eins sicher: Andreas Möller wäre im Zeitalter des VAR wohl gar nicht erst auf die Idee gekommen, so übertrieben im Strafraum des Gegners abzuheben. Wenigstens darf man das hoffen! Einer bewies übrigens damals einen besonders trockenen Galgenhumor. Dirk Schuster, der vermeintliche Gegenspieler des BVB-Stars, meinte mit ein wenig Abstand zu der Szene: "Als Schwalbe würde ich es mir verbitten, mit Möller verglichen zu werden." Das ist doch ein schönes Schlusswort zu einem Fall, der auch dreißig Jahre später immer noch das Potential besitzt, die Gemüter tüchtig zu erhitzen.

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