Der Blick voraus auf die Fußball-EM bereitet Bundestrainer Christian Wück große Sorgen. Seine DFB-Frauen gewinnen zwar haushoch gegen Schottland. Doch das Ergebnis kaschiert eklatante Probleme.
"Die Mädels haben mich heute zweimal sprachlos gemacht, einmal in der ersten Halbzeit, einmal in der zweiten Halbzeit", sagte Bundestrainer Christian Wück in der ARD über das Nations-League-Spiel der DFB-Frauen gegen Schottland. Das Endergebnis von 6:1 sagt nichts aus über den Spielverlauf: Zuerst fiel das Gegentor. Mit einem Rückstand durch den Treffer von Caroline Weir (40.) verschwand Wücks Team in den Katakomben des Wolfsburger Stadions. Auf den Tribünen herrschte Konsterniertheit bei den 16.102 Fans.
Erst nach der Halbzeitpause drehten die Deutschen auf. Ab der 51. Spielminute gab es dann Tore wie vom Fließband. Sechs Treffer in nur 25 Minuten. Dreimal Selina Cerci von der TSG Hoffenheim (51., 56. und 76. Minute), zweimal Giovanna Hoffmann von RB Leipzig (63./65.), zudem Laura Freigang von Eintracht Frankfurt (67.). Das Debakel gegen die in der Nations League noch punktlosen Schottinnen vermieden. Und die Fans doch noch zu Jubelstürmen animiert.
"Wie man so zwei Gesichter zeigen kann mit nahezu der gleichen Truppe, das ist schon außergewöhnlich. Das müssen wir in den Griff kriegen", so Wück. Der natürlich immer das Highlight des Sommers im Blick hat: die Europameisterschaft in der Schweiz (2. bis 27. Juli), sein erstes Turnier als Bundestrainer der Frauen: "So eine Halbzeit darf man sich bei der Europameisterschaft nicht leisten."
"Noch viel deutlicher bestraft"
Denn da stehen - bei allem Respekt - andere Kaliber als Gegnerinnen auf dem Platz als die Schottinnen. Diese konnten sich nicht für das Turnier qualifizieren. Erst einmal - 2017 - waren sie überhaupt bei einer EM dabei. 2019 hatten sie es dann noch einmalig zur WM geschafft. Beide Male war nach der Gruppenphase Schluss. Das DFB-Team bekommt es in der EM-Gruppe mit Top-Gegner Schweden zu tun, zudem mit Dänemark und Polen. Das Weiterkommen ist Pflicht; schon im Viertelfinale aber wartet dann ein Team aus der extrem starken Gruppe mit den Titelverteidigerinnen aus England, den Niederländerinnen sowie Frankreich.
Kapitänin Giulia Gwinn sagte daher auch: "Das darf uns nicht passieren, das wird auf dem Niveau bestraft. Gegen andere Mannschaften wird das noch viel deutlicher bestraft." Dreifach-Torschützin Cerci betonte dagegen das Positive: "Wenn wir so in der zweiten Halbzeit auftreten, kann es gut werden." Sie ergänzte jedoch: "Ich glaube, dass wir eine fette Ansage bekommen mussten."
Was in der Halbzeitpause in der deutschen Kabine los war, kann nur gemutmaßt werden. Bei so mancher Spielerin und dem Trainerteam dürfte das Spiel gegen Österreich Ende Februar im Kopf herumgespukt haben. Da hatte die DFB-Auswahl ebenfalls die erste Hälfte komplett verschlafen. Auch damals kaschierte das 4:1-Endergebnis die Probleme. Ein Antrag, dass ein Spiel erst in der 46. Minute angepfiffen wird, wird bei der UEFA nicht durchgehen.
Also müssen Wück und sein Team schleunigst dafür sorgen, dass die Spielerinnen direkt wach auftreten. Vor vier Tagen hatte das noch geklappt, beim Hinspiel in Schottland. Schon nach zwei Minuten hatte Elisa Senß die Deutschen in Führung gebracht, am Ende stand ein lockeres 4:0 zu Buche. Und daher suchte Wück zumindest eine Teilschuld bei sich und seiner Co-Trainerin Saskia Bartusiak. "Ich glaube, so ein bisschen hat mit reingespielt, dass wir es im Trainerinnenteam nicht hinbekommen haben, die Ernsthaftigkeit reinzubekommen", sagte er. Wenn man gegen dieselben Gegnerinnen nur wenige Tage zuvor deutlich gewinnt, dann könnte man denken "es reichen 80 Prozent - und dann kommt man nur auf 50 Prozent". "Das waren maximal 50 Prozent, was die Mannschaft in der ersten Hälfte abgeliefert hat", so Wück deutlich.
Wücks Händchen für Einwechslungen
Der Bundestrainer wechselte zur Halbzeit dreimal - und bewies ein Händchen. Vor allem Hoffmann sorgte für Wirbel in der Offensive, während die für sie ausgewechselte Lea Schüller blass geblieben war. "Das war ein abgesprochener Wechsel", so Wück. Schüller sollte eine Halbzeit spielen dürfen aber: "Gio hat ihre Chance exzellent genutzt." An der 26-Jährigen, die in der Bundesliga in 17 Spielen 10 Treffer für RB Leipzig geschossen hat, dürfte Wück künftig kaum vorbeikommen.
Auch die im Mittelfeld eingewechselte Sjoeke Nüsken belebte das Spiel, zirkelte mehrfach passgenaue Seitenwechsel zu ihren Mitspielerinnen und war viel mehr ins Spiel eingebunden als zuvor Sydney Lohmann. Die Münchnerin konnte ihre Chance nicht nutzen. Dass Wück erstmals seit dem Antritt als Bundestrainer zweimal in Folge dieselbe Viererkette aufbieten konnte, befriedigte ihn zunächst nicht. Die Schottinnen stellten erstaunlich effektiv unter Beweis, dass die Abwehr die große Baustelle des DFB-Teams ist.
Dort, wo Sara Doorsoun verletzt passen musste, obwohl sie beim Lehrgang dabei ist. Wo die langjährige Stamm-Innenverteidigerin Kathrin Hendrich ebenso fehlte wie die erst neu berufene Rebekka Knaak. Wo Bibiana Schulze Solano noch an einem Kreuzbandriss laboriert und die mit Hendrich jahrelang so aufopferungsvoll spielende Marina Hegering ihre DFB-Karriere beendet hat. Dort herrscht wenige Monate vor der EM Unruhe.
Aber nicht nur dort, wie das Spiel gegen die Schottinnen zeigte. Kein Plan, zu wenig Mentalität? Beides darf kein Grund sein bei Nationalspielerinnen. Es haperte an Grundsätzlichem: Präzision fehlte, Missverständnisse waren offensichtlich, ging es mal nach vorn, verpufften Angriffe schnell wieder. "Solche Spiele sind für uns im Hinblick auf die EM sehr lehrreich und hilfreich", so Wück. Doch er hat nur noch zwei Spiele Zeit, sein Team in EM-Form zu bringen: gegen die Niederlande am 20. Mai in Bremen und in Österreich am 3. Juni. Da wird er viel lieber so sprachlos sein wie in der zweiten Halbzeit.
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