Es waren ergebnistechnisch grauenhafte 28 Stunden für Darts-Deutschland. Der Traum von einem tiefen Lauf eines Deutschen bei der Darts-WM ist schon zwei Tage nach der Weihnachtspause ausgeträumt. Pietreczko, Schindler, Clemens und Merk lautet die Viererkette des postchristkindlichen Scheiterns. Sie verloren am Samstagabend, Sonntagmittag und Sonntagabend hintereinander in der dritten Runde.
Ist die WM aus deutscher Sicht deshalb eine Enttäuschung? Immerhin hatten es überhaupt erst zum zweiten Mal nach 2024 vier Deutsche in die dritte Runde geschafft. Acht Starter für Schwarz-Rot-Gold sind Rekord. Für die Bewertung muss man die Spieler voneinander trennen. Für WM-Debütant Arno Merk und den abgestürzten Ex-Halbfinalisten Gabriel Clemens ist die Wiederkehr nach Weihnachten ein großer Erfolg, sie waren in ihren Spielen die großen Außenseiter. Clemens präsentierte sich in seiner Partie gegen Luke Humphries dazu auch noch wie eine alte Form seiner selbst, verpasste mit einem deutschen WM-Rekord-Dreitdart-Average von 101,49 nur knapp ein famoses Comeback.
Auch Max Hopps Zweitrundeneinzug kann er nach jahrelanger WM-Abstinenz als positives Ergebnis verbuchen.
Die deutschen Top-Spieler aber haben es erneut nicht geschafft, die Zweifel daran zu beseitigen, dass dieses Land bei den großen Turnieren keine absoluten Weltklassespieler hat. Dann, wenn es knistert, präsentieren sich die Deutschen in aller Regelmäßigkeit gehemmt. Statistik dazu gefällig? 20 Mal bestritt ein deutscher Spieler nach Weihnachten, wenn es bei der WM wichtig wird, ein Spiel bei der Darts-WM. Nur fünfmal ging er als Sieger vom Board. Drei Erfolge davon entfallen allein auf Gabriel Clemens‘ wundersamen Einzug ins Halbfinale. Ein One-Hit-Wonder des deutschen Darts – so klar muss man es mit drei Jahren Abstand benennen.
Dennoch haben sich die Zeiten geändert. Es gab solche, da waren die deutschen Spieler Randfiguren, die klaren Außenseiter. Ein einzelner Sieg galt als Erfolg, manchmal als Sensation. Mittlerweile aber ist Deutschland die drittstärkste Kraft, zumindest in der Breite. Nur England und die Niederlande stellten mehr Spieler in der dritten Runde. In der Spitze schlägt diese Stärke aber bei den großen Turnieren nicht durch. Wie vor zwei Jahren schieden alle vier Deutschen in der dritten Runde aus. Ein unschönes Déjà-vu – und Zeichen einer WM-Stagnation.
Schindlers Major-Rätsel
Die deutsche Nummer eins Martin Schindler ist eigentlich dafür gemacht, das deutsche Darts auf die nächste Stufe zu haben. Er ist die Nummer 13 der Welt, höher war noch nie ein Deutscher eingestuft. Seine Position rührt aber vor allem aus der Konstanz auf der kleineren European Tour – Schindler ist hier dreifacher Sieger – und den Floor-Turnieren ohne Publikum. Dort zeigt der 29-Jährige regelmäßig, dass er mit den besten seines Sports mithalten kann. Es ist ein Rätsel, warum es bei den großen Major-Turnieren im Einzel trotzdem bislang maximal fürs Viertelfinale reichte. Bei der WM sogar maximal für die dritte Runde.
Vielleicht liegt eine Erklärung in vorschneller Zufriedenheit. Trotz seines Ausscheidens gegen Ryan Searle sei es eine „gute WM“, aber „keine Sensations-WM“ gewesen, sagte Schindler bei DAZN. Den anderen übertragenen TV-Sender Sport1 hatte er das ganze Turnier über boykottiert – aus Protest über die Berichterstattung. Vielleicht kostete auch dieser Nebenschauplatz ein paar Prozent Fokus.
Die eigene sportliche Erwartung sollte nämlich eigentlich eine andere sein. Schindler muss entgegengebracht werden dürfen, den unter ihm platzierten Searle auch auf der größten Bühne der Welt zu besiegen. Oder sich zumindest nicht mit 0:4 abfertigen zu lassen.
Das frühe Aus ist insbesondere ärgerlich, weil es die Auslosung mit Schindler so gut wie selten zuvor meinte. Im Achtelfinale hätte nicht etwa Star Stephen Bunting, sondern Underdog James Hurrell gewartet. Ein Viertelfinale, vielleicht sogar innerdeutsch gegen Ricardo Pietreczko, war keine Utopie. Doch auch die deutsche Nummer zwei enttäuschte. Andreas Harrysson, der nicht mal eine Tourkarte besitzt, war eine Nummer zu groß. Eigentlich ein absolutes Must-Win-Spiel für Pietreczko.
Am schlimmsten erwischte es wohl das größte Zukunftsjuwel. Niko Springer, von einigen schon als zukünftiger Titelträger auserkoren, schied in der ersten Runde aus. Gebrochen von Joe Comito, einem australischen Außenseiter.
Auch Superstar Luke Humphries zeigte sich davon überrascht: „Ich dachte, er könnte einen guten Lauf haben oder zumindest viele Spieler herausfordern. Er hat dieses nächste Level eigentlich in sich.“ Auch Humphries hatte noch einen Erklärungsansatz für die deutsche Misere. „Du musst dein Level in einem anderen Land finden. Sie spielen wirklich gut in Deutschland, wenn die Fans hinter ihnen stehen. Aber du musst dieses Niveau spielen, wenn das nicht der Fall ist“, sagte er.
Dem Wachstum des Sports in Deutschland wird die diesjährige WM-Bilanz keinen Abbruch tun. Die Mitgliederzahlen in den Vereinen explodieren, es gibt so viele deutsche Profis wie nie zuvor, auf der Next-Gen-Tour tummeln sich mittlerweile hunderte Nachwuchstalente. Die Voraussetzungen für einen deutschen Star werden von Jahr zu Jahr besser. Bislang ist dieser aber nicht in Sicht. Die nachrückenden Jugendlichen müssen sich bei ihrem Weg in den Sport am 18-jährigen Luke Littler orientieren. Er ist das Maß aller Dinge – und Engländer.
Luca Wiecek ist Sportredakteur für WELT. Er berichtet bis Silvester in London aus dem Alexandra Palace.
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