Es gibt da dieses altbekannte und schon reichlich abgenutzte deutsche Sprichwort: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das könnte dieses Wochenende in der Formel 1 mal wieder zum Tragen kommen. Vor dem letzten Grand Prix in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Sonntag, 14.00 Uhr, Sky) sind mit den McLaren-Piloten Lando Norris und Oscar Piastri sowie Max Verstappen im Red Bull noch drei Fahrer im Rennen um den Weltmeistertitel.

Dass Letzterer noch auf seinen fünften WM-Erfolg in Folge hoffen darf, liegt vor allem an seinen Konkurrenten. Genauer gesagt an deren Vorgesetzten: Mehrmals sorgten die McLaren-Verantwortlichen um CEO Zak Brown und Teamchef Andrea Stella mit Entscheidungen für Diskussionen im Fahrerlager. Denn während sie auf der technischen Seite goldrichtig lagen und der britische Rennstall unter ihrer Führung zweifelsfrei das beste Auto der Formel-1-Saison entwickelte, verursachten Brown und Stella mit ihren strategischen Entscheidungen oft Stirnrunzeln.

Obwohl Piastri zwischenzeitlich mit 34 Punkten vor Norris und bis zu 104 Zählern vor Verstappen führte und damit der klare Titelfavorit war, wollte McLaren die Teamtaktik nicht auf den Australier ausrichten. In der Formel 1 gilt das normalerweise als selbstverständlich, geht es doch um den maximalen Erfolg, zumal Piastri in diesem Falle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits zum aktuellen Zeitpunkt Weltmeister wäre.

Vermutung im Fahrerlager der Formel 1: Norris soll Weltmeister werden

McLaren entschied sich dennoch dagegen. Die Verantwortlichen wollten nicht gegen ihren eigenen Kodex verstoßen. Denn während die meisten Teams einen Nummer-1-Fahrer haben, will der Rennstall keinen seiner Piloten bevorzugen. Grund dafür sind die „Papaya Rules“ (zu Deutsch: Papaya-Regeln; angelehnt an die Farbe der McLaren-Wagen). Diese manifestieren nicht nur die Gleichbehandlung, sondern erlauben Piastri und Norris auch, sich auf der Strecke miteinander zu duellieren.

Kontakt oder gar ein Unfall der McLaren-Boliden ist dabei zwar streng verboten, dennoch kam es dazu. In Singapur rammte Norris den Wagen seines Teamkollegen und verursachte dadurch nachhaltigen Schaden am Auto des Australiers. Trotz des klaren Regelverstoßes blieb der Vorfall ohne teaminterne Konsequenzen für den Briten. Eine Tatsache, die viele im Fahrerlager vermuten lässt, dass es bei McLaren insgeheim doch eine klare Priorität gibt, wer Weltmeister werden soll: Norris.

Auch Piastri scheint das zu ahnen. Er dementiert das zwar öffentlich immer wieder und betont, dass das Team intakt sei und den selbst auferlegten Regeln folge. Doch in den sozialen Medien versah er Ende November einen Beitrag, der den langjährigen Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone zitierte, mit einem „Gefällt mir“. Darin hieß es: „McLaren bevorzugt den englischen Fahrer Norris. Er hat mehr Starqualitäten und ist besser zu vermarkten. Zudem hat er mehr Kamerapräsenz und zieht so die Öffentlichkeit an. Das ist vermutlich der Grund, warum er besser (als Weltmeister, die Redaktion) für McLaren wäre.“ Piastri löschte seine Zustimmung zwar prompt, doch da war es bereits zu spät: Fans und Medien hatten die Reaktion längst aufgegriffen.

McLaren-Geschäftsführer Brown bestätigte am Freitag nach dem ersten freien Training zwar nicht, welcher Fahrer Präferenz genieße. Er sagte dem Sender Sky Sports UK aber, das Team werde nun doch von seinem Kurs abweichen und im notwendigen Fall eine Teamorder aussprechen: „Ja, natürlich. Wir sind realistisch. Wir wollen diese Fahrer-Weltmeisterschaft gewinnen.“

Beide Fahrer würden erst mal mit der Chance auf den Titel antreten, betonte Brown. Aber man wisse nicht, wie das Qualifying verlaufen werde und es um die Zuverlässigkeit stehe. „Aber wenn wir ins Rennen gehen und es ziemlich klar wird, dass einer eine Chance hat und der andere nicht, werden wir alles tun, um die Fahrerwertung zu gewinnen. Es wäre verrückt, das nicht zu tun“, sagte Brown nun.

Der Profiteur der Unruhen bei McLaren ist Verstappen. Seit der Sommerpause gewann er mit seinem Red Bull vier von acht Grands Prix und überholte dadurch nicht nur Piastri in der Fahrerwertung, sondern verkürzte den Rückstand auf Norris von 88 auf zwölf Punkte. Die Titelchance des Niederländers ist vor dem letzten Rennen so groß wie nie zuvor in dieser Saison.

Verstappen hat das Momentum auf seiner Seite. Der viermalige Weltmeister weiß, worauf es im Titelrennen ankommt und dass besagtes Momentum allein nicht genügt. Er gibt längst auch außerhalb der Rennserie Vollgas und will Norris, mit dem er abseits der Rennstrecke befreundet ist, unter größtmöglichen Druck setzen. In einem Interview sagte er: „Wenn man schon vier Weltmeisterschaften gewonnen hat, ist das unglaublich. Ich habe nichts zu verlieren.“ Dann schaltete er einen Gang hoch: „Ich sollte nicht Teil des WM-Kampfes sein – und trotzdem bin ich es. Hätte ich Landos Auto, würden wir längst nicht mehr über die Weltmeisterschaft reden. Sie wäre längst entschieden.“

Sollte Verstappen am Sonntag tatsächlich das Rennen machen, wäre er nach Michael Schumacher der erste Pilot, der fünf Titel in Folge gewinnen konnte. Routine wäre das aber nicht für den Ausnahmefahrer, der laut eigener Aussage keine Motivation in dem geteilten Rekord von Schumacher und Lewis Hamilton mit je sieben Titeln sieht. Denn würde sich Verstappen erneut zum Weltmeister krönen, würde erstmals einer seiner wichtigsten Wegbegleiter fehlen: Christian Horner.

Der Brite wurde im Juli nach 20 Jahren im Amt des CEOs und Teamchefs von Red Bull entlassen. Grund dafür war neben einer über Monate anhaltenden Formkrise des Rennstalls eine Investigation gegen Horner. Der musste sich zwei internen Untersuchungen unterziehen, nachdem publik geworden war, dass er eine Affäre mit seiner Sekretärin gehabt haben soll. Horner wurde jeweils freigesprochen, doch aus seiner Position der Schwäche entfachte sich ein Machtkampf zwischen ihm und Motorsportberater Helmut Marko. Nachdem sich der Teamchef zwischenzeitlich durchgesetzt und den Rennstall praktisch im Alleingang geführt hatte, fiel er der Formkrise zum Opfer.

Red Bulls Sport-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff zog die Reißleine und installierte Laurent Mekies als neuen Teamchef. Mit dem Franzosen, der zuvor das Schwesterteam Racing Bulls geführt hatte, kam die Wende. Red Bull – und vor allem Verstappen – drehte auf. „Das Problem davor war, dass wir keine Ruhe hatten. Zudem hatten wir Probleme mit dem Auto, was es nicht gerade einfacher machte. Als Laurent für Christian übernommen hat und wir plötzlich unser Auto verstanden haben, kam auf einmal alles zusammen. Wir hatten wieder Ruhe, weil die Leute plötzlich auch wieder zuversichtlicher waren.“

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Abgerissen ist Verstappens Kontakt zu Horner nie; der Ausnahmefahrer und sein langjähriger Förderer sind nach wie vor in engem Kontakt. Verstappen sagte: „Wir schreiben an jedem Rennwochenende. Er kommentiert mein Rennen oder etwas anderes. Manchmal halten wir uns auch einfach nur auf dem Laufenden, was gerade in unserem Leben passiert. Er war ein sehr wichtiger Faktor für meine Karriere. Man sollte nicht vergessen, was er für dieses Team geleistet hat.“ Worte, die klarmachen, dass Verstappen definitiv auch seinem Ex-Teamchef einen Teil des Titels zuschreiben würde. Die Chance darauf ist größer denn je. Denn wenn sich zwei streiten, freut sich oft der Dritte ...

Norris wird Weltmeister, ...

  • wenn er Erster, Zweiter oder Dritter wird.
  • wenn er den vierten oder fünften Platz belegt und Verstappen nicht gewinnt.
  • wenn er den sechsten oder siebten Platz belegt und Verstappen oder Piastri nicht gewinnen.
  • wenn er den achten Platz belegt, Verstappen höchstens Dritter wird und Piastri nicht gewinnt.
  • wenn er Neunter wird, Verstappen höchstens Vierter und Piastri maximal Zweiter.
  • wenn er nicht über Platz zehn hinauskommt, Verstappen nicht über Rang vier und Piastri nicht über Platz drei.

Verstappen wird Weltmeister, ...

  • wenn er siegt und Norris nicht über Platz vier hinauskommt
  • wenn er auf Platz zwei landet, Norris höchstens Achter wird und Piastri hinter dem Niederländer bleibt.
  • wenn er als Dritter ins Ziel kommt, Norris höchstens als Neunter und Piastri nicht gewinnt

Piastri wird Weltmeister, ...

  • wenn er das Rennen gewinnt und Norris nicht über Platz sechs hinauskommt.
  • wenn er auf den zweiten Platz kommt, Norris höchstens einen Punkt als Zehnter holt und Verstappen nicht auf das Podest kommt.

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