Viele Jahre lang schien alles so klar zu sein. Wer, wenn nicht Hans-Joachim Watzke, der in den vergangenen knapp 21 Jahren den BVB zunächst vor der Insolvenz gerettet und dann alle relevanten Entscheidungen getroffen hat, soll denn sonst, bitteschön, BVB-Präsident werden?
Das, was sich am Sonntag auf einer intensiven Mitgliederversammlung dann tatsächlich vollzog, schien folgerichtig zu sein: Die Entscheidung, dass Watzke, wenn er denn schon aus der Geschäftsführung ausscheidet, doch zumindest weiterhin die strategische Ausrichtung des zweitgrößten deutschen Klubs mitbestimmen wird. Er hatte ja auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich das so wünscht. Und wer in Dortmund hätte denn bis vor einem guten Jahr gewagt, Watzke einen Wunsch, noch dazu einen Herzenswunsch, abzuschlagen? Niemand.
Doch so selbstverständlich war der Übertritt von Watzke ins neue Ehrenamt nicht. In den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten musste viel dafür getan werden, dass es tatsächlich so kommen konnte. Watzke selbst hatte viele Gespräche geführt, war auf seine Gegner zugegangen. Er ist Kompromisse eingegangen, hat Zugeständnisse gemacht. Und er hat heftige Vorwürfe geschluckt – was er kaum über sich gebracht hätte, wenn ihm das neue Amt nicht so wichtig gewesen wäre. Das Ergebnis war nicht wirklich überzeugend: Es gab 2515 Ja-Stimmen, 1729 Nein-Stimmen und 231 Enthaltungen.
Volten im Präsidentenamt
Da waren Beschuldigungen, er hätte private Reisen über den BVB abgerechnet. Die konnten zwar nicht erhärtet werden, aber sie hielten sich hartnäckig. Watzke hat sie ertragen. Selbst den Vorwurf, er hätte nicht genug dafür getan, um einen Missbrauchsskandal um einem ehemaligen Mitarbeiter aufzuklären. Dabei war der mutmaßliche Täter nie ein Mitarbeiter der von ihm verantworteten Geschäftsführung, sondern des e.V.
Watzke hat die Volten seines Vorgängers im Präsidentenamt, Dr. Reinhold Lunow, zur Kenntnis nehmen müssen. Lunow hatte ursprünglich erklärt, nicht mehr kandidieren zu wollen, wenn Watzke antritt, es sich dann aber überraschenderweise anders überlegt. Also ging Watzke, für den das ein Wortbruch unter Freunden war, auf Lunow zu. Dabei soll er ihm zugesichert haben, bestimmte Themen in dessen Sinne voranzutreiben: die Stärkung der Mitgliederbasis, die Übernahme von Forderungen, die die organisierten Fans erhoben haben. Und er erklärte sogar, dass er bereit sei, bei der Mitgliederversammlung im kommenden Jahr noch einmal ein Meinungsbild zum umstrittenen Sponsoring durch den Rüstungskonzern Rheinmetall einzuholen. Das ist bemerkenswert.
Warum er das alles gemacht hat? Weil er gerade wegen der Vorkommnisse der zurückliegenden Monate erkannt hat, dass das Gebilde des BVB, so stabil es in Anbetracht des mehr als soliden wirtschaftlichen Fundaments auch zu sein scheint, doch fragil ist. Und dass es, wenn der Verein in Unruhe geraten sollte, auch schnell vorbei sein kann mit den regelmäßigen Teilnahmen an der Champions League.
Es gibt warnende Beispiele, was mit Traditionsvereinen passiert, wenn sie in eine Zerreißprobe geraten zwischen den Ultras einerseits sowie Turbokapitalisten und Investoren andererseits. Schalke 04 und Hertha BSC sind in der zweiten Liga, der HSV hat es nur mühsam wieder nach oben geschafft.
Auch deshalb wollte Watzke unbedingt Präsident werden. Damit der BVB weiterhin eine Perspektive in der nationalen und internationalen Spitze haben kann.
Allerdings wird er, das haben die vergangenen Monate gezeigt, alle Hände voll zu tun haben, um die auseinanderdrifteten Interessen der 230.000 BVB-Mitglieder zu bündeln. Den Verein nach den Auseinandersetzungen wieder zu einen, ist eine Herkulesaufgabe. Am Sonntag versprach Watzke, sich der zu stellen. „Gemeinsam“ laute sein Motto.
Um dem gerecht zu werden, muss er etwas tun, das nicht zu unbedingt zu seinen Stärken zählt: Er muss sich zurücknehmen. Er muss zuhören, selbst wenn ihm das Ansinnen des einen oder anderen Mitglieds noch so weltfremd erscheint. Das ist der Preis für die „50+1“-Regelung, die Watzke immer so vehement verteidigt hat.
Für den BVB ist wichtig und gut, dass er sich dieser persönlichen Herausforderung stellt.
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