Bei den "Berlin Games" der NFL wandelt sich das Olympiastadion deutlich. Nur die deutschen Fans von American Football bleiben reservierter als ihre Vorbilder aus den USA.

Eine ältere Dame spricht in der überfüllten U-Bahn einen Mann im Colts-Trikot an: "Fahren Sie zum Public Viewing?" American Football, hier, in Berlin? Sie ist erstaunt. Willkommen beim NFL-Sonntag, an dem niemand vorbeikommt.

Schon in der Woche davor hängen überall im Stadtbild die Plakate der National Football League, die Berliner Verkehrsbetriebe haben ein eigenes Trikot designt, Dönerbuden verkaufen eigens entwickelte Teigtaschenspezialitäten. Die Stadt fieberte auf dieses Spiel hin. Oder zumindest sollte eine Werbekampagne diesen Eindruck erwecken. Amerika kommt nach Berlin. Funktioniert das?

Nach dem Aussteigen am Olympiastadion zeigt sich der erste große Unterschied zu Football in Amerika: Dort gibt es Tailgating – Fans grillen auf den Parkplätzen, trinken dabei ein, zwei, ein paar mehr Biere. Hier gibt es das Kiosk "Zur Blau-Weißen-Legende": Buletten und Bratwurst für 4 Euro. Manch ein Fan kauft sich dazu ein Berliner Jubiläums-Pils – Budweiser steht nicht auf der Karte.

Mit dem Bier in der Hand geht es an Sprengstoffspürhunden und Westen mit der amerikanischen Aufschrift "K-9-Unit" vorbei. Die Besucher sind ein buntes Wimmelbild: Trikots der Falcons, der Colts, anderer Teams, Football-Helme aus Plastik, manchmal sogar NFL-Ledermasken.

Little America im Olympiastadion

Und dann, hinter den Sicherheitskontrollen, steht man plötzlich in Little America. Überlebensgroße Football-Helme begrüßen die Besucher, der Duft von Hot Dog liegt in der Luft. Budweiser kostet hier 8 Euro pro halbem Liter, bestellt bei herumlaufenden Menschen mit Fass auf dem Rücken – oder an einem automatisch zapfenden Automaten. Wer ein Bier will, der zahlt, und nimmt sich sein frisches Getränk. Die Stände, an denen Menschen das Bier zapfen, scheinen aber noch beliebter zu sein. 

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Es gibt Smashburger, Pommes, Nachos. Und Käsespätzle, und das alles zu einem gepfefferten Preis. Aber der größte Hinweis darauf, dass das hier eine andere Welt ist: An vielen Ständen kann man nicht nur mit Karte zahlen – sondern ausschließlich mit Karte. 

"Hier haut sich niemand auf die Schnauze"

Nadine und Johannes sind wegen der Stimmung hier. Sie hat während Corona den Fernseher angemacht, der übertrug Football, und dann ist sie irgendwie "hängen geblieben." Aber entscheidend ist für sie etwas anderes: "Hier haut sich niemand auf die Schnauze." Fans beider Mannschaften feiern miteinander und sind nicht aggressiv, wie bei so manch anderen Sportarten, die im Olympiastadion stattfinden. Was sie in den 90 Minuten bis zum Anpfiff machen? "Schlechtes Bier trinken." Bei amerikanischem Bier, Budweiser, hört der Spaß für manche Deutsche dann doch auf.

Je mehr Besucher ins Stadion strömen, desto größer wird die Partystimmung. Ein amerikanisch gestyltes Volksfest: Fans tanzen vor einem DJ-Pult, drehen am Nacho-Glücksrad, werfen Footballs auf Ziele. Familien mit Kindern, Väter mit Babys. Es ist nicht nur ein Spiel, es ist ein Event. Ein Event, das funktioniert, weil Football kein Nischensport mehr ist. Eine halbe Million Menschen wollte Tickets für dieses Spiel kaufen, obwohl die Tickets teilweise mehrere hundert Euro kosten. American Football ist in Deutschland angekommen. 

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Auch Jessica, Sven und Basti schauen Football seit den 90ern, es ist ihr viertes Spiel, das sie im Stadion sehen. "Hier ist man wie so eine große Familie", sagt Jessica. Lässt sich das mit Spielen in Amerika vergleichen? "Nein. Nein. Nein." Die drei schütteln vehement den Kopf. "Ist schon gut hier – aber es reicht einfach nicht heran." Die Tailgate-Party fehlt. Auch die Hüte, die Verkleidungen, die man aus Amerika kennt, fehlen im Olympiastadion beinahe vollkommen, es laufen keine als Maskottchen verkleideten Fans herum. Deutschland ist auch beim American Football zurückhaltend. 

Mauerfall und Baxxter bei der NFL in Berlin

Langsam füllen sich die Ränge. Das Olympiastadion ist kaum wiederzuerkennen, so stark wurde es umgebaut. Die deutsche und die US-Fahne hängen prominent neben dem Stadion-Monitor.

Bevor das Spiel losgeht, wird erst einmal – auf amerikanische Art und Weise – des Mauerfalls gedacht. Genau vor 36 Jahren fiel die Berliner Mauer, und deshalb wedeln die 72.203 Besucher nun mit Fahnen in den Farben Amerikas und Deutschlands. Dazu spielt eine Band "Wind of Change" von den Scorpions. Das kann man für großes Entertainment halten oder als überbordend ablehnen. Das ändert aber nichts an der Gänsehaut, die man dabei spürt. 

Dann erklingen beide Nationalhymnen, dazu farblich passendes Feuerwerk. Pyrotechnik ist für die NFL wohl kein Verbrechen. Gegen 15.30 Uhr beginnt das Spiel. Die Defensive der Falcons hält gut gegen die Offensive der Colts stand. Und zwischen jedem Spielzug nutzt die NFL alles, damit auch ja niemandem langweilig wird. Das Stadion erinnert an den TikTok-Algorithmus, der keine Sekunde Langeweile zulässt: die Chio-Tortilla-Kanone, der FedEx Box Shuffle. Warum dazu die Europahymne läuft, bleibt ungeklärt. 

Und dann tritt auch noch H.P. Baxxter kurz auf. Sein "Maria (I Like it Loud)" ist seit 2003 die Touchdown-Hymne der Colts. Baxxter in der NFL – und Tausende Menschen singen mit. 

The Kid Laroi enttäuscht bei Halbzeitshow

Die Halbzeitshow ist enttäuschend. Der australische Rapper The Kid Laroi tritt auf, singt. Die Zuschauer singen nicht mit, gehen Bier holen, auf die Toilette. Das ist kein Vergleich zu den großen Halftimeshows des Super Bowls.

Die Stimmung im Stadion bleibt trotzdem ausgelassen. Bei der Kiss-Cam bejubeln die Zuschauer die küssenden Paare, beide Teams werden angefeuert. Im dritten Viertel startet – diesmal anscheinend ohne die Einheizer der NFL – eine La-Ola-Welle. Auf dem Feld liefern sich Colts und Falcons ein würdiges Duell.

Draußen bauen schon die ersten Stände ab, Little America verschwindet. Währenddessen rennen die Colts im letzten Viertel einem Rückstand hinterher. 25 Sekunden vor Schluss schafft es dann der Kicker Michael Badgley: Er schießt ein Field Goal, gleicht aus. Am Ende der regulären Spielzeit steht es 25 zu 25.

 

Also gibt es Verlängerung: Und in der rennt Jonathan Taylor, der Running Back der Colts, in die Endzone, macht den Touchdown. Das Stadion brüllt sich die Seele aus dem Leib – zumindest hört es sich so an. Die Indianapolis Colts gewinnen in der Verlängerung gegen die Atlanta Falcons.

Tschüss Amerika

Drinnen feiern die Profisportler ihren Sieg, draußen schieben Angestellte blaue Müllsäcke durch die Gegend. Kioske zeigen an, dass der Alkoholverkauf beendet ist.

72.203 Fans strömen aus dem Stadion, im Hintergrund läuft "Don't stop believing." Die Ersten unterhalten sich schon wieder über Fußball: "Der stand aber nicht im Abseits!"

Die NFL geht, Hertha kommt bald wieder. Aber für einen Nachmittag war Berlin ein bisschen Amerika. Mit allem Kitsch, Kommerz und Gänsehaut, die dazugehören. Die drei überlebensgroßen Football-Helme hinter dem Eingang sind mit schwarzen Tüchern verdeckt und ordentlich verstaut. Typisch deutsch. Auch beim American Football.

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