Wolf-Dieter Ahlenfelder kennen alle als den lebensfrohen Schiedsrichter, der im Jahr 1975 eine Bundesligapartie schon nach 32 Minuten betrunken zur Pause pfeifen wollte. Doch hinter der heiteren Fassade des Schiri-Originals aus Oberhausen sah es anders aus. Als die Vergangenheit immer mehr verblich, kam die große Traurigkeit.
Seine Geschichte vom 8. November 1975, als er die Spieler der Partie des SV Werder Bremen gegen Hannover 96 bereits nach 32 Minuten in die Halbzeitpause schickte, ist eine der größten und unterhaltsamsten Legenden der Bundesliga-Historie. Und Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder machte auch nie einen Hehl daraus, was der Grund für seinen verfrühten Pfiff war: "Da hatten wir wohl einen zu viel getrunken!"
Im Jahr 2006 habe ich Ahli, wie er sich selbst am liebsten nannte, zu Hause in seiner Wohnung in Oberhausen besuchte. Er war damals 62 Jahre alt und etwas in Vergessenheit geraten. Sogar seine unglaubliche Geschichte aus dem November 1975 erzählte man sich kaum noch. Und so traf ich an diesem Tag, als ich ihn für Filmaufnahmen für meine Dokumentation "Die 11 des VfL" aufsuchte, einen Mann, der vor allem in der Vergangenheit lebte - und doch so gerne in der Zukunft eine (kleine) Rolle im Fußball gespielt hätte. Denn er hatte noch einen großen Traum, doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Aber erst einmal war er sichtlich dankbar über meinen Besuch: "Ich freue mich doch, wenn man mich nicht vergessen hat."
Der Schiedsrichter mit dem imposanten Bauch
Ahlenfelder begrüßte mich damals an diesem kalten Dezembermorgen in einer kurzen dunklen Buchse, mit schwarzen Hausschlappen an den nackten Füßen und oberkörperfrei. Kurz musste ich ob dieses speziellen Outfits schlucken, doch dann rief der Schiedsrichter des Jahres 1984 offensichtlich aus dem Schlafzimmer: "Ben, wie wäre es, wenn ich mein Original-Schirikostüm aus den 80er-Jahren anziehen würde? Das macht sich doch bestimmt super im Bild, oder?!"
Ich weiß noch genau, wie ich meine Kamera anschaute und selig grinste. Ich wusste: Das hier heute sind sämtliche Feiertage eines Jahres in einem Moment vereint. Schon als aktiver Schiedsrichter hatte Ahli einen imposanten Bauch vor sich hergetragen - es gibt da dieses großartige Foto, von der Seite, das ihn zusammen mit dem Bochumer Lothar Woelk zeigt - und ich wusste von unseren gemeinsamen Abenden, dass er seit dem Ende seiner Karriere nicht unbedingt ins Glas gespuckt hatte. Sein Äußeres war dem beliebten Schiri aber auch nie so wichtig gewesen, wie er selbst einmal so schön sagte: "Mit meinem Bauch habe ich immer gut gelebt. Es ist doch egal, ob ich die 100 Meter in 10,1 mit 75 Kilo laufe oder mit 100 Kilo."
Anderthalb bewegende Stunden später stand Ahli wieder oberkörperfrei vor mir. Vor laufender Kamera hatte er blankgezogen: "Willst du das Trikot haben? Hier, kriegste!" Als ich ihn ungläubig anschaute, kniff er die Augen zusammen: "Jung, du musst dir mal eins merken: Du bist beim Ahlenfelder und der Ahlenfelder ist ehrlich!"
"Woran geht der Mann kaputt?"
Und genau das war der Grund, warum ich einige Jahre vergehen ließ, bis ich mir das komplette Videomaterial unserer damaligen Zusammenkunft in seiner Oberhausener Wohnung noch einmal anschaute. Diese Form des offenen Visiers hatte ich damals nicht erwartet. Wolf-Dieter Ahlenfelders Ehrlichkeit hatte mich erschlagen. Schonungslos erzählte er an diesem Morgen aus seinem Leben. Mit Tränen in den Augen meinte er mittendrin einmal: "Ich darf dir eins sagen: Das ist nicht gespielt. Das ist ehrlich. Ich bin kein Schauspieler! Heute hast du was erlebt, das hast du noch nie erlebt. Das ist Ahlenfelder!"
Zwischen all den wunderbaren Anekdoten, an die er sich mit leuchtenden Augen erinnerte, sackte der einst so beliebte und gefragte Schiedsrichter ein ums andere Mal in sich zusammen: "Meine Frau sagt immer: Woran geht der Mann kaputt? Das ist das, was mir fehlt. Du bist nicht mehr da oben. Und wenn du heute noch auf die Straße gehst in Oberhausen, wissen alle: Das ist der Ahlenfelder! Alle, alle. Da sagt nie einer: Wer ist das? Die sagen, das ist der Ahli. Die haben versucht, mich kaputt zu machen - jetzt nicht mehr. Sie haben mich schon kaputt gemacht!"
"Wir sind echte Männer, wir trinken keine Brause"
Mit "die" meinte er den DFB: "Ich war unwahrscheinlich beliebt. Bei den Spielern, bei den Zuschauern, und das hat dem DFB nicht in den Kram gepasst. Schiedsrichter müssen gehasst werden, weil das Schiedsrichter sind. Und ich habe gesagt, Schiedsrichter müssen geliebt werden, weil das Schiedsrichter sind."
Ahlenfelder hatte das alles nie verstanden. Er selbst sah sich schon immer als umgänglichen Typen, der statt Ärger lieber "Spaß an der Freud" haben wollte: "Was soll man den Ahlenfelder anmachen? Kann man nicht. Man kann mich auch heute in der Kneipe nicht anmachen. Ich weiß nicht, wie ich mich bezeichnen soll. Ich bin so ein geradliniger Mensch, lustig und humorvoll. Meine Frau würde sagen: Das Einzige, wo du ihn anmachen kannst, ist, wenn du ihm sein Bier aussäufst!"
Das liebe Bier. Ahlenfelders Lieblingsgetränk. Nach dem trunkenen, viel zu frühen Pfiff damals im Bremer Weserstadion sagte Ahli als Entschuldigung auch den mittlerweile legendären Satz: "Wir sind echte Männer, wir trinken keine Brause."
"Keiner kann pfeifen wie der"
Als ich mir die alten Filmaufnahmen noch einmal anschaute, erinnerte ich mich genau an dieses Gefühl von damals zurück. Ich hatte zusammen mit Ahli für anderthalb Stunden eine Zeitreise erlebt. In eine Vergangenheit, in der sein großer Durst und sein imposantes Selbstvertrauen für manch unvergessliche Anekdote gesorgt haben. In einer Zeit, als er selbst ein ganz Großer war, den die Leute liebten und schätzten. Als das alles vorbei war, blieben nur noch die Erinnerungen zurück. Und die wurden mit den Jahren auch immer größer: "Wir haben wunderschöne Zeiten erlebt. Und was mich am meisten freut - egal zu welchem Klub ich hinfahre, die sagen alle: Da kommt der Ahlenfelder. Sagenhaft! Saufen konnte der Hund, aber auch Pfeifen, vom Feinsten - da kommt keiner mit! Keiner kann pfeifen wie der. Das war die absolute Krönung. Ich kann das eben. Ich habe da ein Auge für."
Wenn Wolf-Dieter Ahlenfelder an diesem Tag von früher sprach, blühte er in seinen Erinnerungen an die Vergangenheit auf. Plötzlich war die Traurigkeit weg und die Hoffnung zurückgekehrt. Und so sagte Ahli damals mit leuchtenden Augen: "Ich würde heute gerne noch einmal ein Spiel pfeifen. Einen finde ich einmal, der das klar macht im RWO-Stadion. Der Ahlenfelder vor großer Kulisse. Dann zeig ich denen mal, wie ein Spiel gepfiffen wird. Mit Liebe, Regelkenntnis und mit Fingerspitzengefühl."
Doch es sollte nicht mehr sein. Als Wolf-Dieter Ahlenfelder einige Jahre später starb, waren die Zeitungen voll mit Geschichten über sein Leben. Man erinnerte sich gerne zurück an den lebensfrohen Ahli, der viel mehr war, als ein Schiedsrichter, der einmal schon nach 32 Minuten zur Halbzeit gepfiffen hatte, weil er und seine beiden Linienrichterkollegen einen zu viel getrunken hatten. Seine Worte beim Abschied im kalten Dezember 2006 werde ich nie vergessen: "Es ist schön, dass man sich an mich erinnert!" Und das, lieber Ahli, soll noch lange so bleiben.
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