Florian Berg macht für WELT eine Ausnahme. Normalerweise fragt er Bauern oder Restaurantbesitzer nach einem Stück Wiese, auf dem er sich für eine Nacht einrichten kann, oder er baut sein Zelt mitten in der Natur auf. Für das Gespräch aber hat sich Berg auf einem Campingplatz in der Nähe von Costa Ricas Hauptstadt San José eingemietet – mit WLAN-Zugang, damit der Videocall störungsfrei läuft. Ein wenig Luxus nach rund 41.000 Kilometern.
Am Äquator hat die Erde einen Umfang von 40.075 Kilometern. Berg hat sie buchstäblich umrundet. Oder besser gesagt: Er ist dabei. Denn natürlich ist der 29-jährige Deutsche keiner geraden Linie gefolgt. Er hat den langen Weg genommen über Deutschland in Richtung Osteuropa, weiter nach Südostasien, durchs australische Outback und Neuseeland, über Alaska, Kanada und die USA bis Mexiko und schlussendlich Costa Rica. Vier Kontinente hat Berg schon gesehen, Südamerika und Afrika fehlen ihm noch.
62.000 bis 65.000 Kilometer wird er im September des kommenden Jahres auf dem Tacho haben, wenn er in seine Heimat zurückkehren will. Jeder einzelne Kilometer zurückgelegt mit dem Fahrrad, dazwischen ein paar Flüge, um die Ozeane zu überqueren. Aber die zählen für seinen Kilometerstand nicht. Es ist Bergs Lebensprojekt, auf 30 Monate ausgelegt.
Konturen angenommen hat es an einem See in Schweden. Berg hatte da eine stressige Klausurenphase in der Uni hinter sich. Die Flucht vor der Überforderung trieb ihn 2018 auf den Bock, zunächst aus seiner Heimat im Rheinland nach Berlin. Sechs Tage auf einem zu kleinen Rad, ohne größere Vorerfahrung, auf jeder Teiletappe abhängig von der nächsten Jugendherberge. „Es war letzten Endes alles Mist. Jeder andere hätte wahrscheinlich gesagt: ‚Das mache ich nicht noch einmal.‘ Aber mich hat das, warum auch immer, gepackt“, sagt Berg.
Die neue Leidenschaft brachte ihn dann ein halbes Jahr später zum ominösen Schicksalssee in Schweden. Aus Dänemark war er mit einem Kommilitonen losgefahren, der aber hatte die Distanzen unterschätzt und war nach vier Tagen umgedreht. „Ich bin, Gott sei Dank, weitergefahren. An diesem See in Schweden ist mir dann bewusst geworden, dass ich gerade 2000 Kilometer durch andere Länder gefahren bin und unfassbar viel von der Natur gesehen habe. Das war der erste Moment, in dem ich gedacht habe, dass man auch weiterfahren kann.“ Es war die Geburt der Weltumfahrung.
Grob geplant anhand von verfügbaren GPX-Daten und den Jahreszeiten, zu denen er gewisse Regionen erreichen wollte, ging es im März 2024 los. „Ich habe zum Beispiel darauf geachtet, dass ich frühestens im Mai in Alaska sein kann, weil es anderenfalls zu kalt ist“, sagt Berg.
Seine schlanke Statur ist für ein derartiges Vorhaben sicher nicht die schlechteste Voraussetzung, gerade dann, wenn der Weg über Berge und Pässe führt. Der Jülicher ist aber kein Leistungssportler. Im ersten Leben, dem vor der Fahrradtour, war er Wissenschaftler. Im dritten Leben, dem nach der Tour, wird er es wohl auch wieder sein.
Und so geht es dem studierten Chemiker auch nicht darum, sportliche Grenzen auszureizen oder möglichst viele Kilometer – meist sind es zwischen 80 und 120 am Tag – zu schrubben. Es geht ihm um die Erfahrungen, die er macht, die Menschen, die er trifft, und die Natur, die er sieht. „Ich habe mehr über das Leben gelernt als in meiner gesamten Schulzeit“, schreibt er auf seiner Website, auf der er die Tour genauso wie auf Instagram begleitet.
In Australien geht Berg das Wasser aus
Was er meint, wird deutlich, wenn er mit einem Lächeln im Gesicht von einzelnen Stationen berichtet – etwa von den Menschen in ihren selbst gebauten Hütten in der kasachischen Wüste. „Es ist lebensfeindlicher Raum. Aber mir ist eine unfassbare Gastfreundschaft entgegengeschlagen. Die Menschen haben mir immer Wasser gegeben, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen“, erzählt Berg.
Der komplette Kontrast dann wenige Monate später in Australien. „Ich habe mit einer leeren Wasserflasche herumgewedelt. Die Autos haben einfach nicht gehalten“, sagt er. Er habe zwar 19 Liter dabeigehabt, aufgrund der hohen Temperaturen seien diese aber nach nicht mal zwei Tagen leer gewesen – und viele der Reservoirs auf seinem Weg gleich mit.
„Ich war zweimal in der Situation, dass ich kein Wasser mehr hatte, und gemerkt habe, dass ich langsam anfange zu dehydrieren. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich habe dann vorher mit meinem Satellitentelefon meiner Familie Bescheid gegeben: Wenn ich mich nachher nicht mehr bewege, verständigt bitte den Notruf.“ Zum Ernstfall kam es am Ende nie, Berg konnte doch immer irgendwie Wasser auftreiben.
Seine Erkenntnis fürs Leben zieht er aus den so konträren Erfahrungen dennoch: „Die Menschen, die am wenigsten haben, geben am meisten. Das ist das, was mich am meisten berührt. Und diejenigen, die das meiste haben, sind eher geizig.“
Ihren kuriosen Höhepunkt erreichte die Gastfreundschaft in Pakistan, auf dem Weg von Islamabad nach Lahore, der zweitgrößten Stadt des Landes. Berg war bestens versorgt, ein älterer Mann wollte ihm dennoch unbedingt ein Wasser ausgeben. Also folgte Berg ihm zur nächsten Tankstelle. Dort sollte er dem Mann ein paar Sätze auf Hindi nachsprechen. Berg tat, wie es verlangt wurde. Plötzlich brach der Tankstellenshop in Jubel aus.
Berg war gerade unbewusst zum Islam konvertiert, wie er kurze Zeit später merkte. Die Belohnung: Brot und ein Glas Nutella. Dass der Inhalt verschimmelt war, identifizierte er erst am nächsten Morgen. Auch wenn er das Nutella nicht essen konnte. Auch solche Anekdoten erklären, warum Berg auf seiner Reise mit unter 500 Euro im Monat auskommt, jedenfalls wenn man Flüge, Visa und etwaige Ersatzteile nicht mitberechnet. Für Essen und Schlafen zahle er weniger als für die Miete seiner vor Tour-Start gekündigten Wohnung in Deutschland.
Noch kein Muskelkater, nur ein paar Tage Durchfall
Dass er für sein minimalistisches Leben, das in ein halbes Dutzend am Rad befestigte Taschen passt, jeden Tag fünf bis zehn Stunden körperliche Höchstleistung verrichten muss, scheint für Berg Makulatur. Muskelkater habe er noch nie gehabt, auch sonst sei er bis auf ein paar Tage mit Durchfall in Pakistan bisher nie körperlich angeschlagen gewesen.
Gewicht habe er keines verloren, obwohl er ständig knapp über 50 Kilogramm Gewicht durch die Gegend bewegt – bis zu zehn Kilogramm Essen und 25 Liter Wasser sind da noch nicht eingerechnet. „Ich zähle auch keine Kalorien, weiß nicht, wie viel ich verbrauche. Ich esse einfach nach Gefühl, und das scheint zu passen“, sagt Berg.
Extremer als das Dauertreten (natürlich ohne E-Motor) als solches seien die Bedingungen, unter denen er es tut. Zum einen hat der Rheinländer zwischen einer Nacht bei minus 18 Grad in Alaska und 48 Grad in der Sonorawüste in den USA alles an Temperaturen erlebt. Zum anderen hat Berg Bilder gesehen, die sich einbrennen.
Es sind Bilder der Verwüstung. „Ein Taifun in Vietnam hat einen ganzen Landstrich verwüstet. Ich bin dort durch dieses Gebiet gefahren, habe gesehen, dass kein Stein mehr auf dem anderen stand. Wenn du siehst, wie es nach solchen Katastrophen wirklich aussieht, hast du einen Kloß im Hals“, sagt Berg.
Mehrfach sei er Naturkatastrophen nur knapp entkommen, etwa im Norden Pakistans. Eine Woche nach seinem Aufenthalt, so erzählt es Berg, seien ganze Straßenzüge durch Überschwemmungen weggespült worden. Die zwei Räder unter ihm hatten ihn in Sicherheit gebracht. Die Menschen vor Ort hingegen bekamen die Folgen zu spüren, verloren reihenweise ihre Existenz.
Bergs schwieriges Verhältnis zu Deutschland
Wegen Erlebnissen wie diesen hebt Berg gern seine privilegierte Position als Deutscher hervor – und verbindet seine Tour mit einer klaren Botschaft zu mehr Klimaschutz. „Wir sollten auf unseren Planeten besser achtgeben, mehr für den Klimaschutz tun, auch wenn es finanziell wehtut. Wir können uns das in Deutschland leisten. Letzten Endes sind andere Menschen die Leidtragenden“, sagt Berg.
Zu seiner Heimat hat der Weltumrunder ohnehin ein schwieriges Verhältnis. Er sei mit der Politik unzufrieden, dazu kommt die Mentalität der Menschen. „Ich erlebe einen großen Kontrast, der mich vor die Frage stellt, ob ich mich in Deutschland je wieder heimisch fühlen kann, weil es so anders ist.“
Schon jetzt fährt die Frage nach dem Danach, dem Alltag nach der Tour, im Hinterkopf mit. Bislang steht nur fest: Im September des kommenden Jahres will er wieder zurück in Deutschland sein. Aber für wie lange? „Ich habe schon überlegt, ob ich in eines der nicht ganz so weit entfernten Länder – nach Dänemark, Schweden, Norwegen oder so – auswandere.“ Vielleicht sitzt Berg bald schon wieder an dem schwedischen See, an dem alles begann.
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