Die Aufstellung war gemacht, die taktische Besprechung erfolgt. Nur noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Doch Uwe Rösler hatte vorher noch etwas zu erledigen. Also ging der neue Trainer des VfL Bochum durch die Reihen seiner Spieler, die sich für das DFB-Pokal-Spiel beim FC Augsburg aufwärmten, und steuerte auf die Gästefankurve zu. Dort baute sich der 56-Jährige, die Beine leicht gespreizt, auf. Dann fing er an, mit den Armen zu rudern und reckte eine Faust hoch. Die 1100 mitgereisten Fans reagierten prompt und stimmten einen Schlachtgesang an: „VfL, VfL, VfL... .“

Dass Rösler dabei für neutrale Besucher wie ein „Best Ager“ auf Abwegen wirkte, störte ihn herzlich wenig. Er gefällt sich so. „Ich bin der Uwe, ganz einfach. Und ihr kriegt genau das, was ihr seht“, hatte der ehemalige Stürmer und weitgereiste Coach schon gesagt, als er vor gut drei Wochen bei dem abstiegsbedrohten Zweitligisten vorgestellt worden war. Er sei zwar nicht nur, aber eben auch wegen dieser Emotionalität, die den Ruhrpott-Verein umgibt, gekommen. „Ich brauche solche Vereine, um die beste Version von mir selbst zu sein. Ein ‚normaler‘ Verein ist in meinem Alter nicht mehr so interessant. Ich brauche einen Klub wie den VfL. Dann brenne ich“, so Rösler.

Der Mann, der in den 1990er-Jahren in vier Jahren 150 Tore für Manchester City erzielt hat („als das noch kein globalisierter Klub, sondern ein Arbeiterverein war“), brennt offenbar so sehr, dass ihm auch die mittlerweile recht frischen Temperaturen nichts anhaben können. Rösler coacht gerne in kurzen Hosen. Das mag befremdlich wirken, ist aber in Bochum bislang erfolgreich.

Rösler leistete psychologische Aufbauarbeit

Seit er da ist, hat der Bundesliga-Absteiger, der zuvor sechsmal hintereinander verloren hatte, Hertha BSC mit 3:2 niedergerungen und Holstein Kiel ein 1:1 abgetrotzt. Zudem gelang am Dienstag eine echte Pokalsensation: Der VfL zog durch ein 1:0 beim klassenhöheren FC Augsburg verdient ins Achtelfinale ein. Nach dem Schlusspfiff ging Rösler nochmal in die Kurve – und ließ seine Mannschaft und sich feiern.

Spätestens da wurde klar: Rösler ist mehr als nur Heißmacher an tristen, kalten Herbsttagen. „Wir haben, gepaart mit unserer Mentalität und unserem Fighting Spirit auch einfach besser Fußball gespielt“, sagte Rösler. Damit hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal er selbst gerechnet.

Denn in seinen ersten Wochen hatte er den Schwerpunkt auf Schadensbegrenzung gelegt: Die Anzahl der Gegentore sollte verringert, die löchrige Abwehr stabilisiert werden. „Ich fange beim Fundament an, nicht am Dach“, hatte Rösler angekündigt. Er leistete viel psychologische Aufbauarbeit. Denn die Bochumer waren nach dem Abstieg mental einfach noch nicht in der zweiten Liga angekommen. Die Mannschaft versuchte schönen Fußball zu spielen, vernachlässigte aber die Positionsdisziplin. Wenn es zu Ballverlusten kam, hatten die Gegner viele Räume, um gefährlich zu werden. Und je mehr Gegentore geschluckt werden mussten, um so schlechter wurde die Stimmung an der Castroper Straße. „Wir haben die Schnauze voll“, hatten die Fans, die von einem schnellen Wiederaufstieg geträumt hatten, gerufen.

So konnte es nicht weitergehen. Nach nur fünf Ligaspielen folgte die Trennung von dem lange Zeit äußerst beliebten Trainer Dieter Hecking – und Sportgeschäftsführer Dirk Duffner musste gleich mitgehen. Beides kommt dem VfL teuer zu stehen: Hecking hatte erst Anfang Mai seinen Vertrag verlängert. Duffner war erst im April dazugekommen. Doch die Kombination passte einfach nicht. Während Hecking am liebsten mit erfahrenen Spielern arbeitete, verpflichtete Duffner in erster Linie Talente. Es war eine grobe Fehleinschätzung seitens des Vereins. Die Folge war ein Schock mit Lähmungserscheinungen. Erst nach einer weitere drei Niederlagen andauernden Interimsphase mit U19-Trainer David Siebers kam Rösler.

Er fand einen Verein in der Sinnkrise vor. Das konnte der erfahrene Coach schon feststellen, bevor er sich die Spielernamen draufgeschafft hatte. Beim ersten Training, das er leitete, stand Rösler mit auf DIN-A4-Zetteln gedruckten Porträtfotos der einzelnen Profis auf dem Platz. Vor und nach den Einheiten führte er Gespräche, in denen er versuchte, „so schnell wie möglich herauszufinden, was jeder braucht“. Doch unabhängig von den Persönlichkeiten im Kader, der sich infolge des Abstiegs radikal verändert hatte, ahnte er, was das größte Problem ist: Die neu formierte Mannschaft hatte sich als Team noch nicht zusammengefunden. Es fehlte an Selbstvertrauen.

Mut für die die jüngste Bochumer Pokal-Elf seit 50 Jahren

Rösler machte sich an die Arbeit. Er animierte erfahrene Spieler wie Kapitän Matus Bero, Mittelfeldspieler Maxi Wittek und Mittelstürmer Philipp Hofmann, sich mehr einzubringen, entschlossener zu führen. Denn gerade die vielen jungen Spieler, die neu dazu gekommen waren, brauchen Orientierung, Leitlinien.

Erste Effekte zeigten sich bereits in den beiden Ligaspielen unter Rösler – so deutlich, dass der Trainer in Augsburg sogar die Rotation wagte: Er setzte mit Bero, Erhan Masovic und Hofmann drei Stammkräfte auf die Bank und baute noch mehr Talente ein. Davon gibt es in Bochum reichlich. Es waren dann vor allem die Jungen, die am Dienstag Anteil an der Sensation hatten: Kjell Wätjen (19), der von Borussia Dortmund ausgeliehen ist, Leandro Morgalla (20), ein Talent von RB Salzburg, Francis Onyeka (18) und Farid Alfa-Ruprecht (19) von Bayer Leverkusen sowie das Eigengewächs Cajetan Lenz (18.). „Da haben wir gesehen, wie viel Talent wir haben. Das war die jüngste Bochumer Pokal-Elf seit 50 Jahren“, sagte Rösler stolz.

In Augsburg zeigte der neue, junge VfL, dass er Potenzial hat. Allerdings auch deshalb, weil die Mannschaft dort als klarer Außenseiter in das Spiel gehen konnte. Am Sonntag, wenn das Tabellenschlusslicht 1.FC Magdeburg zum Vorletzten kommt (13.30 Uhr/live Sky) wird das anders sein. „Dann wird der Druck wieder da sein“, so Rösler.

Trotzdem: Mit Rösler ist die Hoffnung an die Castroper Straße zurückgekehrt. Die Spieler seien allemal in der Lage, das, was er fordert, umzusetzen: aggressiv, dynamisch und „forwardminded“ zu spielen – also offensiv. Durch die vielen Jahre in England und Skandinavien neigt Rösler zu Anglizismen. „Eine Mannschaft ist immer ein Spiegelbild vom Trainer“, erklärte er. Und das nicht nur, weil sie in kurzen Hosen spielt.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke