Aleix Garcia ahnte, dass ihm eine „harte Nacht“ bevorstehen würde. Der spanische Mittelfeldspieler, im Sommer 2024 zu Bayer Leverkusen gewechselt, konnte die historisch hohe Niederlage nur schwer verarbeiten. Er müsse sich „bei den Fans entschuldigen“, hatte er nach dem 2:7 (1:4) gegen Paris St. Germain am vergangenen Dienstag gesagt. Dann empfahl er sich und kündigte an, in Erwartung eines längeren Einschlafvorgangs, besser mal nach Hause zu fahren.
Die Nachwirkungen der zweithöchsten Niederlage, die der Werksklub jemals in der Champions League erlitten hatte, waren auch am Tag danach noch spürbar. Kasper Hjulmand hatte eine Aufarbeitung angesetzt: Das Debakel musste analysiert werden – vor allem aber wollte der dänische Trainer die Niedergeschlagenheit der Spieler vertreiben. Die dürften am Mittwoch dann mit herunterhängenden Köpfen vor ihm im Besprechungsraum gesessen haben.
Hjulmand selbst war es nach der Vorführung durch den Champions-League-Sieger auch nicht gut gegangen. „Wir fühlen viel Schmerz, das ist ein hartes Ergebnis. Wir sind verletzt“, waren die Worte, mit denen er die Pressekonferenz nach dem denkwürdigen Spiel eröffnet hatte.
Da war sich der 53-jährige Däne – ein ruhiger, emphatischer Typ, der nur selten laut wird – bereits bewusst: Es wird weniger darauf ankommen, taktische Fehler zu besprechen als darum, die Selbstzweifel, die diese Klatsche ausgelöst hatte, irgendwie zu zerstreuen. Denn falls dies nicht gelingen sollten, droht ernste Gefahr.
Kasper Hjulmand: „Den Fans etwas zurückgeben“
In der Bundesliga dagegen haben die „neuen“ Leverkusener alle Möglichkeiten. Vor dem Heimspiel gegen den SC Freiburg am Sonntag (15.30 Uhr/live DAZN) haben sie die Champions League-Plätze im Visier. Und die Bringschuld, die sie nach diesem schwarzen Dienstag gegenüber ihren Anhängern verspüren, sollte zusätzliche Motivation sein. „Ich hoffe, dass wir unseren Schmerz abschütteln und den Fans etwas zurückgeben können“, sagte Hjulmand.
Es gebe zwar nichts zu beschönigen. „Aber wir müssen auch unsere Erwartungen managen. Wir dürfen nicht zu hoch fliegen, wenn wir ein Spiel gewinnen – und uns nicht zu klein machen, wenn wir ein Spiel verlieren“, sagte Hjulmand. Die Gründe, warum die Mannschaft, die er erst Anfang September übernommen hatte, auf absolutem Spitzenniveau noch nicht wirklich abwehrbereit ist, liegen auf der Hand.
„Wir haben ein junges Team und vor allem sind wir als Gruppe noch nicht so lange zusammen“, so der Coach. Niemand könne erwarten, dass alles reibungslos läuft – nur zwei Monate nach Abschluss eines der radikalsten Umbrüche, die es in der Bundesliga-Historie überhaupt je gegeben hat. Bayer hatte im Sommer fast alle seine Schlüsselspieler verloren.
Seit dieser Woche ist klar: Es bleibt eine Illusion, dass der Neuaufbau schon vor dem Abschluss steht. Auch wenn der in den vergangenen Wochen schon erkennbar Konturen angenommen hatte. Nach sieben Bundesligaspielen weist das Team die gleiche Bilanz wie in der Vorsaison auf: vier Siege, zwei Unentschieden und eine Niederlage. Und damals hatte sich Leverkusen am Ende unter Xabi Alonso die Vize-Meisterschaft sichern können.
Unter Hjulmand, der nach dem fatalen Missverständnis mit Erik ten Hag geholt wurde, gab es in sieben Pflichtspielen erst eine Niederlage – die gegen Paris. In der Liga wurden 13 Punkte aus fünf Spielen geholt: nur die Bayern waren in diesem Zeitraum noch erfolgreicher.
Vor allem jedoch wurde dank Hjulmand erkennbar, dass Bayer nach dem Aderlass im Sommer auch gut eingekauft hat. Junge Spieler wie Malik Tillmann, Jarell Quansah und vor allem die Offensivtalente Ernest Poku und Christian Kofane deuteten an, was in ihnen steckt. Die Mannschaft spielte angriffslustig, mit viel Tempo – wenn auch nicht immer stabil.
Doch spätestens nach dem 4:3 in Mainz am vergangenen Samstag sahen sie sich unter dem Bayer-Kreuz bestätigt. Man sei sich im Klaren gewesen, keine Titelmannschaft „zusammenkaufen“ zu können, aber man könne sehr wohl eine „entwickeln“, so Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes. „Unsere Qualität ist hoch.“
Davon ist auch Hjulmand überzeugt. „In unseren Spieler steckt noch mehr Potenzial, als viele denken. Die Voraussetzungen für die Mannschaft und den Verein sind hervorragend“, sagte er „Sportbild“. Das unterscheidet sich stark von den Nörgeleien seines Vorgängers: Ten Hag hatte ständig auf „Schwachstellen“ im Kader verwiesen. Das war bei den Verantwortlichen nicht gut angekommen und trug auch nicht dazu bei, das Selbstvertrauen der Spieler wachsen zu lassen.
Einen gewissen Preis für die kurze Episode mit ten Hag zahlt Bayer jedoch immer noch. Irgendwann, so schien es, hatten die Spieler nicht mehr auf den ungeliebten Niederländer gehört – und aufgehört, an taktischen Vorgaben zu arbeiten. Sie hatten es im Training schleifen lassen. Jedenfalls greifen trotz aller Fortschritte unter Hjulmand die Automatismen immer noch nicht so, wie sie es mittlerweile eigentlich müssten. Das führt zu Fehler. Die gab es auch schon in der Bundesliga - nur wurden sie da nicht so brutal bestraft wie von den PSG-Stars.
Leverkusen fehlt noch ein gerütteltes Maß an Reife und Erfahrung. Und wenn dann vermeintliche Führungsspieler wie Kapitän Robert Andrich auch noch die Nerven verlieren und nach einer Tätlichkeit vom Platz fliegen, wird es ganz schwer. „Du darfst nie den Kopf verlieren. Auf diesem Level musst du immer deine Stabilität behalten“, sagte Rolfes.
Die allerdings muss sich das Team von Hjulmand grundsätzlich erst noch aneignen. Viel Zeit sollte es sich dabei nicht lassen: nach zwei Unentschieden und der Niederlage vom Dienstag steht Bayer in der Königsklasse bereits unter Druck.
Oliver Müller ist Sportreporter für WELT. Er ist zudem Podcaster und berichtet schwerpunktmäßig über die Klubs aus dem Westen Deutschlands.
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