Folgt man dem ehemaligen Fifa-Schiedsrichter Urs Meier, dann sind die deutschen Unparteiischen auf Ebene des Profifußballs an einem ziemlichen Tiefpunkt angekommen. Der 66 Jahre alte Schweizer sieht im deutschen System großen Nachholbedarf für das Schiedsrichterwesen. In einem Interview mit RTL/ntv und sport.de listet er auf, wo aus seiner Sicht die Missstände liegen. Meier über ...

... die Bundesliga-Schiedsrichter im internationalen Vergleich: „Grundsätzlich ist die Bundesliga für mich eine der besten Ligen der Welt – Top drei. Deutschland hat die größte Anzahl an Schiedsrichtern. England, Italien, Spanien haben weniger. Also müsste auch die größte Qualität herauskommen. International gehören die deutschen Schiedsrichter nicht zu den Top-Drei-Nationen. Das sollte zu denken geben. Eigentlich müssten sie Top eins oder zwei sein. Das müsste der Anspruch sein – sind sie aber nicht. Bei den letzten zwei Weltmeisterschaften, wo Deutschland früh ausgeschieden ist, hätten deutsche Schiedsrichter im Viertel-, Halb- oder Finale stehen müssen. Waren sie nicht. Bei Siebert und Jablonski sehe ich Stagnation. Die Entwicklung fehlt. Andere überholen sie – ein 35-Jähriger aus Frankreich (François Letexier, d. Red.), junge Schiedsrichter aus Schweden, Norwegen, Osteuropa.“

... Maßnahmen, die der DFB ergreifen sollte, um die Schiedsrichter besser zu machen: „Man muss mit den Guten intensiv arbeiten, damit sie das nächste Level erreichen. Oft sind es nur drei, vier, fünf Prozent Verbesserung – wie bei Spitzensportlern. Manche sind fünf, zehn Jahre in der Bundesliga, haben immer noch die gleiche Körpersprache, die gleichen falschen Laufwege. Es geht um die Vermittlung von Fußballverständnis. Sie müssen in Körpersprache und Stellungsspiel geschult werden. Auch der Umgang mit Spielern ist entscheidend – Kommunikation, Präsenz.“

... die Einführung von Profi-Schiedsrichtern auch in Deutschland, die er bereits in einem seiner früheren Bücher forderte: „2016 habe ich das DFB-Präsidium (Reinhard Grindel war damals Präsident, d. Red.) in Paris getroffen. Sie sagten: ,Wir haben Ihre Botschaft gelesen.‘ Ich fragte: ,Und?‘ Antwort: ,Wir sind dran.‘ Ich sagte: ,2050, 2051?‘ Jetzt ist 2025 – und es ist immer noch nicht umgesetzt. Die Schiedsrichter tun schon viel – beruflich, Familie, nebenbei. Die Zitrone ist ausgepresst. Der Saft muss von außen kommen – durch Entlastung. Es gibt keine professionellen Strukturen, keine echten Profi-Schiedsrichter in Deutschland. Das wäre längst überfällig. Die Bundesligavereine müssten mehr Druck auf den DFB ausüben. Die 19. Mannschaft – das müssten die Schiedsrichter sein. Punkt. Aber das sind sie nicht. Deshalb reden wir jedes Jahr über dieselben Versäumnisse, dieselben Probleme. Sie werden nicht angegangen. Wir können nächstes Jahr wieder ein Interview führen – und stehen wieder am gleichen Punkt.“

... die Unterstützung von ehemaligen Profifußballern im Schiedsrichterwesen: „Wer nie auf dem Mount Everest war, kann nicht erklären, wie es sich dort anfühlt. Deshalb: Holt ehemalige Profifußballer dazu. Sie können erklären, was im Kopf eines Spielers passiert.“

... die Altersregelungen für Schiedsrichter im deutschen Fußball: „Ein großer Fehler in Deutschland ist das Alterslimit nach unten. Sie verhindert, dass 26-, 27-Jährige, die noch nicht in einer höheren Liga pfeifen, aufsteigen können. Ehemalige Spieler mit Verletzungen, die umschulen wollen, haben keine Chance. Die müssten die Möglichkeit bekommen, Bundesliga oder sogar internationales Level zu erreichen. Junge Schiedsrichter brauchen mehr Zeit zur Entwicklung in unteren Ligen. Sie werden zu schnell hochgezogen – ohne Fundament. Der DFB muss die Altersgrenze aufbrechen. Sonst fehlen uns in Zukunft viele Schiedsrichter. Viele hören mit 25, 26 auf, weil sie keine Perspektive sehen. Dabei könnten sie noch 20, 30 Jahre pfeifen – wenn das System offen wäre. Es ist geschlossen, und das ist falsch.“

... den Einfluss des VAR auf die Schiedsrichter: „Fouls, Karten, Spielgefühl, Chemie im Spiel: Das muss der Schiedsrichter übernehmen. Der Videoassistent kann das nicht. Die Schiedsrichter sind irgendwo hinter dem VAR verschwunden. Macht die Schiedsrichter wieder stärker. Akzeptiert auch mal einen Fehlentscheid. Seit acht Jahren gibt es den VAR in Deutschland – aber nicht weniger Diskussionen. Der Fußball ist nicht gerechter geworden – nicht bei Foulspiel, Elfmeter. Auch wenn der DFB andere Statistiken zeigt. Wenn ich beweisen will, dass der Airbag nicht funktioniert, muss ich gegen die Mauer fahren. Der VAR funktioniert, weil der Schiedsrichter keine Entscheidung trifft. Dann entscheidet der VAR – und alle sagen: Bravo, der VAR hat funktioniert. Aber warum? Weil der Schiedsrichter nicht entschieden hat. Der Schiedsrichter soll das Spiel leiten. Heute pfeifen sie nur. Sie sind keine Spielleiter mehr. Ein Spielleiter führt das Spiel, hat eine Linie, eine klare Meinung. Er entscheidet – schneller als das Publikum.“

... England als Vorbild bei der Ausbildung und Entwicklung von Schiedsrichtern: „In England versucht man – und das kommt von der Führung unter Howard Webb –, den Schiedsrichtern mehr Eigenverantwortung zu geben. Das fordere ich schon lange: Wir müssen die Schiedsrichter stark machen. Sie müssen die Entscheidungen treffen. Der Videoassistent ist ein Fangnetz für klare Fehlentscheidungen. Der Rest soll der Schiedsrichter entscheiden, weil er mehr Informationen hat. Die Ausbildung muss so sein, dass die Schiedsrichter eine Linie haben. In England ist klar: Es wird mehr laufen gelassen. Das wird von den Spielern akzeptiert.“

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