Die Gelegenheit wäre eigentlich günstig gewesen, an diesem verregneten Abend im Frankfurter Stadtwald mal im Applaus des LFC-Anhangs zu baden. Schließlich waren die mitgereisten Fans des FC Liverpool ja bester Laune: Eine Machtdemonstration auf deutschem Boden wie ein 5:1 bei Eintracht Frankfurt fühlt sich für einen englischen Meister immer gut an. Und weil der für viel, viel Geld erworbene Neuzugang aus Deutschland im Herzen von Europa sein bisher bestes Spiel im roten Dress macht, hätte sich auch Florian Wirtz vor den Block stellen können – stattdessen wurde die Nummer sieben mit Schlusspfiff sofort an den Spielfeldrand zum ersten Field-Interview geführt.
"So schnell nach dem Spiel habe ich noch nie ein Interview gemacht, deshalb ein bisschen schwer", sagte der 22-Jährige dem Streamingdienst DAZN, als gerade in seinem Rücken das Schiedsrichtergespann vom Rasen ging. "Ich glaube, es war ein eindeutiges Spiel, ein eindeutiges Ergebnis. Wir haben unsere Sache heute gut gemacht. Wir sind nicht gut gestartet, dann haben wir uns ein bisschen zusammengerafft und das Spiel gedreht." Ihn hätte Krise mit den vier Pflichtspielniederlagen in Folge jedenfalls nicht nervös gemacht: "Wir wissen, was wir für Qualität in der Mannschaft haben. Das sind alles Weltklassespieler."
Florian Wirtz: Doppelte Befreiung im Waldstadion
Unbestritten gehört auch der deutsche Nationalspieler in diese Kategorie, doch war die Kritik an seinen Darbietungen fast von Woche zu Woche gewachsen. Null Vorlagen, null Tore in der Premier League und in der Champions League lautete die Bilanz vor diesem Auftritt. Der für 125 Millionen Euro plus Bonuszahlungen von Bayer Leverkusen an die Anfield Road gelockte Superstar hatte bloß im Community Shield – dem englischen Supercup – einen Assist geschafft. Ein bisschen wenig bei dem Preisschild.

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Nun gelang ihm im Waldstadion die doppelte Befreiung: Erst legte Wirtz überlegt für Cody Gakpo zum 4:1 (66.) auf, dann gab er den Querpass für den überragenden Ex-Leipziger Dominik Szoboszlai zum 5:1 (70.). Balsam für die Seele. "Es ist kein Geheimnis, dass ich gerne mehr Torbeteiligungen gehabt hätte. Aber ich kann meine Spiele wahrscheinlich am besten bewerten, bin zu mir selbst ehrlich. Es war nicht immer so schlecht, wie es gesagt wird", sagte Wirtz später im ZDF. Endlich huschte ein Lächeln über seine Lippen, zumal der Neuzugang durchspielen durfte.
Auf der Position im rechten offensiven Mittelfeld hinter der Sturmreihe mit Alexander Isak, Gakpo und Hugo Ekitiké: Der Ex-Frankfurter verzichtete bei seinem famosen Sprint zum 1:1 auf überschwänglichen Torjubel (35.). Dass es danach Kopfbälle wie Rammstöße durch die Abwehrrecken Virgil van Dijk (39.) und Ibrahima Konate (44.) brauchte, um der Eintracht den Stecker zu ziehen, hatte Wirtz nicht zu interessieren, der in eigener Sache mit erstaunlicher Selbstkritik aufwartete, obwohl ihn Mitspieler wie Andy Robertson gleich als "exzellent" bezeichneten.
Wirtz übt Selbstkritik
"Ich weiß, dass ich noch viel Luft nach oben habe. Das macht mich sogar froh. Wir haben jetzt zehn Spiele gespielt, deshalb bin ich da sehr entspannt, dass ich irgendwann meine Topform habe", sagte er. "In der ersten Halbzeit habe ich mich noch schwergetan. Insgesamt war es okay – ich weiß, dass ich noch viel, viel mehr kann." Womöglich hat Bundestrainer Julian Nagelsmann als interessierter Augenzeuge auf der Ehrentribüne in Frankfurt schon den Neustart erlebt. Nagelsmann hatte seinen Feingeist in der WM-Qualifikation gegen Luxemburg (4:0) und Nordirland (1:0) demonstrativ gelobt, obwohl Wirtz auch dort kein Tor erzielte.
Doch werde Deutschlands Fußballer des Jahres aus seiner Sicht in England nicht richtig bewertet: "Flo ist der Spieler, der die meisten Chancen in der Premier League vorbereitet. Es ist nicht seine Schuld, wenn der Mitspieler die nicht macht, und die Statistik ist dann nicht mal ein Drittel der Wahrheit. Er muss sich in der Liga daran gewöhnen, dass es noch ein Stück körperlicher ist als bei uns." Ein wichtiger Hinweis.

Nicht zufällig blühte der gebürtige Kölner gegen einen Bundesligisten auf. Die Eintracht zerfiel vor allem in Hälfte zwei in ihre Einzelteile und betätigte sich als willfähriger Aufbauhelfer. "Wenn sich Lücken öffnen, gibt es kaum bessere Spieler als Florian Wirtz", sagte Liverpools Coach Arne Slot. Was der Niederländer damit andeutete: Der nächste Auftrag lautet, auch in engeren Räumen im rauen Alltag der Premier League den Unterschied zu machen. Exemplarisch für seine Defizite der Ballverlust vor dem 0:1 fast an der Eckfahne, als ihm Neu-Nationalspieler Nathaniel Brown den Ball stibitzte und die Hessen mit ihrem besten Spielzug die Führung durch Rasmus Christensen (26.) zelebrierten.
Großer Aktionsradius, enorme Laufleistung
Was Wirtz in der Folgezeit hoch anzurechnen war: sein großer Aktionsradius, seine enorme Laufleistung. Auch wenn er nur zwei seiner acht Zweikämpfe gewann, mit zwei von drei Dribblings hängenblieb, hatte er mit seinen 78 Ballkontakten (89 Prozent Passquote) ein gutes Spiel gemacht. Die Uefa-Offiziellen kürten dennoch Abwehrchef van Dijk zum "Spieler des Spiels".
So wäre Wirtz gut beraten, gleich im Punktspiel beim FC Brentford (Samstag, 21 Uhr) wieder abzuliefern. Bei den letzten Niederlagen gegen den FC Chelsea (1:2) und gegen Manchester United (1:2) war er nur eingewechselt worden, ohne für Impulse zu sorgen. Liverpool-Ikone Jamie Carragher arbeitete sich daraufhin beim Sender Sky Sports nicht an Altstar Mo Salah, sondern am Neuzugang Wirtz ab: "Wir haben noch nicht viel von ihm gesehen." Ausgerechnet Liverpools ehemaliger Trainer Jürgen Klopp konterte solche Kritik unter der Woche.
"Warum funktioniert es noch nicht? Weil Entwicklung Zeit braucht. Das kann niemand ändern. Die Leute müssen sich zurechtfinden, sich an Situationen anpassen, sich an Dinge anpassen", sagte er im Podcast "The Diary of A CEO". Der im Red-Bull-Imperium als "Head of Global Soccer" eingespannte Klopp erwartet, dass bei Wirtz früher oder später der Knoten platzt. "Ihr werdet alle eure Worte zurücknehmen müssen, wenn ihr Florian Wirtz falsch einschätzt. Er ist ein unglaubliches Talent."
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Simon Rolfes als Sportchef von Bayer Leverkusen hatte sich im ZDF-Sportstudio ähnlich geäußert. Er sei "nicht überrascht" von den Anlaufschwierigkeiten, denn: "Er muss sich an ein neues Land adaptieren, eine neue Kultur, eine andere Spielweise, ein anderes Mannschaftsgefüge." In Leverkusen sei das Spiel stark auf den Genius zugeschnitten gewesen, "wir haben das Spiel vorbereitet, damit er in der richtigen Position den Ball bekommt." Bei den Reds müsse er sich dieses Standing erarbeiten. Dass ihm das gelingt, bezweifelt Rolfes nicht: "Er hat so viel Qualität. Ich habe ihn fünf Jahre fast jeden Tag im Training gesehen. Er ist ein unglaublicher Spieler."
Wirtz war der zentrale Baustein jener Werkself, die 2024 ungeschlagen die Meisterschaft und den Pokal holte. Ein Zauberfuß, der zusammen mit Jamal Musiala bis zum Viertelfinalaus auch die EM in Deutschland prägte. Im besten Falle hilft das hochbegabte Duo, bei der WM 2026 mit der deutschen Nationalelf noch weiter als nur bis zum Viertelfinale zu kommen. Auf der Weltbühne ist Wirtz noch ohne Fußabdruck. Für die WM 2022 in Katar musste er absagen, weil er sich im Frühjahr 2022 ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub 1. FC Köln das vordere Kreuzband gerissen hatte.
Der Wechsel auf die Insel wirkte diesen Sommer gut vorbereitet, seine Eltern Hans und Karin besuchen ihn oft in der Heimatstadt der Beatles, wo sich der Filius nach eigenem Bekunden wohl fühlt. Die Ablösesumme sei für ihn nicht das Problem, sagte Wirtz zwischenzeitlich in einem Sky-Interview: "Es ist natürlich nicht normal, dass ein Spieler so viel kostet. Das weiß jeder. Aber im Moment wird das einfach bezahlt." Auf die Frage, wann denn 100 Prozent von ihm sichtbar würden, wich er vor einem Monat noch aus: "Das ist schwer zu sagen. Ich würde es auch gerne wissen, aber bis man richtig irgendwo ankommt und eingelebt ist und mit allem vertraut ist, kann es einfach eine Zeit dauern." Und er fügte an: "Es gibt manchmal Phasen, wo nicht alles für dich läuft. Das hatte ich tatsächlich nicht so oft in meiner Karriere. Aber egal, was irgendwer sagt: Ich bleibe cool. Ich weiß, was ich kann, und ich weiß, dass ich es irgendwann auf den Platz bekomme." In Frankfurt ist ihm das in weiten Teilen gelungen.
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