Der HSV erzielte zuletzt in Leipzig zwar das erste Auswärtstor der Saison, bleibt in der Fremde aber weiter sieglos, womit der Druck im eigenen Stadion nun wieder angewachsen ist. Zu Gast am Samstag (15.30 Uhr, im Sport-Ticker der WELT): der VfL Wolfsburg. Zuletzt gelangen den Hamburgern vor den eigenen Fans zwei Siege in Folge, dreimal in Serie gewannen der Bundesliga-Aufsteiger daheim zuletzt vor zwei Jahren in der 2. Liga. Ein Sieg hätte einen noch wichtigeren Nebeneffekt, Nordrivale Wolfsburg wäre dann um sechs Punkte distanziert. Klubchef Stefan Kuntz weiß, wie beruhigend das für das Team wäre, um sich in Ruhe in der Liga akklimatisieren zu können.
Frage: Herr Kuntz, wie stolz ist der HSV auf seinen Doppel-Bundesliga-Aufstieg mit den Damen und Herren, für den er mit dem Award der „Sport Bild“ ausgezeichnet wurde?
Stefan Kuntz: Zusammen mit dem FC St. Pauli hat die Stadt Hamburg sogar drei Erstligisten im Fußball. Das ist etwas Besonderes. Unser Doppel-Aufstieg ist schon eine überragende Geschichte gewesen und macht uns natürlich stolz. Es unterstreicht auch noch mal: Wir bekennen uns ganz klar zum Frauenfußball und reden nicht nur.
Frage: Das heißt?
Kuntz: Wir professionalisieren weiter die Strukturen und Trainingsbedingungen, dazu kam der Umzug der Frauen ins Volksparkstadion als Spielstätte. Für uns war es auch nur logisch, dass das Männer- sowie Frauen-Team gemeinsam den Erfolg mit den über 80.000 Fans in der Innenstadt an jenem 19. Mai feiern konnten und dafür vom Ersten Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher, geehrt wurden. Eine schöne und ausgelassene Party. Und dann kam die gemeinsame Auszeichnung mit dem „Sport Bild“-Award hinzu.
Frage: Ein Aufstiegsheld bei den Herren war Trainer Merlin Polzin, den Sie Ende Dezember 2024 vom Co- zum Cheftrainer befördert hatten. Wie groß war der Druck, dass das Projekt schiefgehen könnte?
Kuntz: Durch all meine Erfahrung habe ich keine Angst vor Druck und Versagen. Wenn es nicht geklappt hätte mit Merlin und dem Aufstieg, dann wäre ich wohl gegangen – oder hätte gehen müssen. In unserem Job kann man nichts schönreden, das ist mir bewusst, sonst hätte ich fairerweise als Experte beim Fernsehen bleiben müssen. Am Ende der Entscheidungsphase habe ich auch auf mein Bauchgefühl gehört, Merlin zum Chefcoach zu machen – und es war eine richtige und sehr gute Entscheidung.
Frage: Wie genau haben Sie in den vier Wochen herausgefunden, dass Polzin der richtige Trainer für die Aufstiegs-Mission war?
Kuntz: Ich habe mir in der Zeit alles angeschaut, wie er nun in der Rolle als Chef arbeitet: angefangen vom Umgang mit der Mannschaft über die Spielvorbereitung bis hin zu seinen Ansprachen in der Kabine. Dazu habe ich viel mit ihm geredet. Gleichzeitig haben wir uns, also Claus Costa (HSV-Sportdirektor, d. Red.) und ich, auch mit anderen Trainerkandidaten getroffen. Am Ende entschieden wir uns für Merlin und sein Team.
Frage: Weil er Erfolge lieferte.
Kuntz: Zwei Siege, zwei Unentschieden. Das gehört dazu. Doch ganz wichtig war, dass er uns inhaltlich überzeugte. Dazu kam, dass er die Spieler nicht mehr kennenlernen musste – ein neuer Trainer schon. Das hätte vielleicht zusätzlich wieder viel an wertvoller Zeit gekostet. Außerdem wusste ich nach meinen Gesprächen mit Fangruppierungen und Leuten aus dem Umfeld, dass in der Stadt ein gewisser Rückhalt für Merlin und sein Team da ist.
Frage: Der HSV steht nach dem siebten Spieltag trotz des 1:2 beim Tabellenzweiten RB Leipzig auf einem gesicherten Mittelfeldplatz.
Kuntz: Das ist eine Momentaufnahme, mehr nicht. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch rund 30 Punkte brauchen, um unser Ziel zu erreichen: Klassenerhalt. Denn ich betonte es schon nach dem Spiel in Berlin: Es wird der härteste Abstiegskampf, seitdem ich im Profi-Geschäft dabei bin, also seit über 40 Jahren.
Frage: Nach sieben Jahren Abstinenz fällt auf: Die Bundesliga freut sich, dass der HSV wieder dabei ist.
Kuntz: Den Eindruck haben wir auch. Natürlich gab es einige, die nach dem Abstieg 2018 gesagt haben: Jetzt ist der HSV endlich mal abgestiegen, nachdem er sich zuvor mehrmals nur knapp rettete. Doch sieben Jahre nicht dabei zu sein, das war einerseits eine große Leidenszeit für unsere Fans – aber ich glaube andererseits, dass viele in Deutschland den HSV in der 1. Liga auch vermisst haben.
Frage: Warum?
Kuntz: Für große Traditionsvereine sind immer gewisse Sympathien da – oder sie sorgen zumindest für eine sehr große Aufmerksamkeit. Sie sorgen für Storys – wie wir jetzt mit dem Doppel-Aufstieg als Erfolgsgeschichte. Dazu kommt eine riesengroße, bunte Fan-Kultur. Unsere Anhänger sind auswärts bisher immer willkommen gewesen. Das gibt uns ein gutes Gefühl, stärkt uns natürlich und wird uns helfen.
Frage: Der teuerste Zugang vergangenen Sommer war Rayan Philippe für rund 2,5 Millionen Euro Ablöse von Zweitligist Eintracht Braunschweig. Wann ist der HSV in der Lage, zehn oder 20 Millionen Euro für einen Spieler auszugeben?
Kuntz: Erstens: Man sollte immer wissen, dass der HSV sieben Jahre in der 2. Liga spielte und somit im Vergleich zu vielen anderen Klubs deutlich weniger Geld aus dem TV-Topf bekommt.
Frage: Der HSV erhält 31,4 Millionen Euro, somit rund 24 Millionen Euro weniger als zum Beispiel Mainz 05 …
Kuntz: Zweitens: Es kommt immer auf die Situation an. Nach dem Aufstieg war uns nach unserer Analyse bewusst: Wir brauchen im Kader viele Veränderungen, um in der 1. Liga bestehen zu können. Macht es dann Sinn, das gesamte oder einen Großteil des Transfer-Budgets nur für einen Spieler auszugeben, oder ist es sinnvoller, davon mehrere zu verpflichten? In unserem Fall war die Antwort klar. Ich will für die Zukunft aber nicht vollkommen ausschließen, wenn das Gerüst der Mannschaft steht, dass wir mal höhere Summen für nur einen oder zwei Spieler ausgeben, um uns auf Positionen entscheidend zu verbessern und den nächsten Schritt zu gehen.
Frage: Zu den Zugängen gehörte auch der 18 Jahre alte Luka Vuskovic, der von Tottenham ausgeliehen wurde und bisher sehr stark spielt. Hat der HSV die Chance, ihn über die Saison hinaus fest zu verpflichten?
Kuntz: Nein, das halte ich für unmöglich. Weil er nächstes Jahr nach seiner Zeit beim HSV noch teurer sein wird – sollte Tottenham ihn überhaupt verkaufen wollen – als vor der laufenden Saison.
Frage: Vuskovics Marktwert liegt laut des Fachportals „transfermarkt.de“ bei 18 Millionen Euro. Haben Sie Sorge, dass der HSV ihn aufgrund einer Rückhol-Klausel schon im Winter wieder an Tottenham verliert?
Kuntz: Zu Vertragsdetails sage ich grundsätzlich nichts. Aber davon ist nicht auszugehen. (lächelt)
Frage: Unter Ihnen als Sportvorstand gelang dem HSV der Doppel-Aufstieg. Zuvor waren Sie unter anderem Spieler und Trainer. Was treibt Sie an?
Kuntz: Meine Motivation im Fußball als Spieler war die Sucht nach Anerkennung, wenn die Leute nach meinen erzielten Toren gejubelt haben. Der Ball musste schnell aus dem Netz geholt werden, um das nächste zu erzielen. Das war meine Triebfeder. Wenn die Spielerkarriere vorbei ist, dann kannst du keine Hütte mehr machen. Dann wird es schwer.
Frage: Sie wurden 1999 Trainer bei Borussia Neunkirchen …
Kuntz: Weil ich dachte, dadurch meine Fußball-Karriere ein wenig zu verlängern. Aber als es ans Eingemachte ging, stellte ich diese Art der Motivation infrage und machte mir Gedanken. Ich absolvierte dann ein Fernstudium, Schwerpunkt: Modernes Fußball-Management – und diese Sucht nach der Anerkennung hat sich gedreht. Ich wollte mich als Mensch weiterentwickeln. Am Ende war ich dann in einigen anderen Funktionen tätig, mit großer Freude und großem Antrieb.
Frage: Deutschlands U21 führten Sie als Coach 2017 und 2021 zum EM-Titel, dann holte die Türkei Sie als Nationaltrainer – dabei wurden Sie kurz zuvor als Nachfolger von Joachim Löw gehandelt. Waren Sie enttäuscht, dass Sie nach der EM vor vier Jahren nicht Bundestrainer geworden sind?
Kuntz: Enttäuscht war ich nur darüber, dass Oliver Bierhoff (war 2021 Nationalmannschafts-Manager, d. Red.) mit mir nicht persönlich gesprochen hat. Und was die Türkei betrifft. Dazu gibt es eine kuriose Geschichte: Denn vor dem Engagement hatte ich ein Angebot aus Russland als Nationaltrainer. Der Verband wollte ein schnelles Resultat. Zu der Zeit war ich aber mit der DFB-Auswahl noch bei den Olympischen Spielen in Tokio und wollte mich erst danach entscheiden.
Frage: Am 30. Oktober feiern Sie Ihren 63. Geburtstag. Reizt es Sie, nochmals als Trainer zu arbeiten?
Kuntz: Das schließe ich nicht aus. Aber wenn der Fall eintreten sollte, dann sehe ich mich eher als Nationaltrainer. Eine ganze Saison eine Mannschaft zu trainieren, ich glaube, dass ich allein vom Alter diese Energie wohl nicht mehr habe.
Frage: Der Vertrag von Sportdirektor Claus Costa soll in naher Zukunft verlängert werden, der Aufsichtsrat denkt ebenfalls an eine Ausdehnung Ihres bis 2027 laufenden Kontraktes. Was ist der Stand?
Kuntz: Claus macht einen Top-Job. Seine Marktübersicht, sein Netzwerk, sein Einsatz und die Zusammenarbeit haben mich überzeugt. Und was meine Situation betrifft: Ich mache mir keine Gedanken. Ich fühle mich extrem wohl beim HSV und habe noch kurz- und mittelfristige Ideen und Ziele mit dem Klub.
Frage: Wie sehen die mittelfristigen sportlichen Ambitionen des HSV aus?
Kuntz: In der Bundesliga bleiben. Der nächste Schritt wäre dann mal, einen sicheren Mittelfeldplatz anzupeilen. Und wenn das über Jahre gelingt, dann am internationalen Geschäft schnuppern und anschließend schauen, eine Chance auf die Top 6 zu bekommen. Das aber liegt aktuell in weiter Ferne. Ich glaube, dass keiner von unseren Fans verlangt, gleich oben mitzuspielen. Denn das Anspruchsdenken hat sich ein wenig verändert.
Frage: Als HSV-Sportvorstand sind Sie auch für die Frauen verantwortlich. Was sind die Ziele?
Kuntz: Wie eingangs betont: Wir bekennen uns zum Frauenfußball – und lassen ihn nicht nur so nebenbei laufen, sondern wollen ihn weiter stärken. Wir wollen kontinuierlich besser werden, in dieser Saison den Klassenerhalt schaffen und mittelfristig die Top 6 anvisieren. Als Vorstand engagieren wir uns über die Maßen und tauschen uns mit anderen Klubs aus. Eric (Finanz-Boss Eric Huwer, d. Red.) bezüglich Konzeption, Weiterentwicklung und Vermarktung, ich in erster Linie im sportlichen Bereich. Wir wollen, was die Ausbildung der Mädchen und Frauen betrifft, die Leuchtturm-Funktion im Norden übernehmen.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.
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