Am Samstag empfängt der FC Bayern den BVB zum Top-Spiel der Bundesliga (18.30 Uhr, Sky und im WELT-Liveticker). Die Borussia geht als Außenseiter in die Partie beim Rekordmeister. Dortmunds Geschäftsführer Sport Lars Ricken glaubt an eine Chance seines Teams in München, wenn alles optimal läuft.
Frage: Herr Ricken, der BVB ist in der Liga seit sieben Monaten ungeschlagen. Was versprechen Sie den Fans für den Fall, dass diese Serie bis Saisonende hält?
Lars Ricken: Das sehen wir dann (lacht). Was ich sagen kann: Ich habe in den 90er-Jahren mit einigen der größten Spieler zusammengespielt, die die Bundesliga zu der Zeit hervorgebracht hat. Stefan Reuter, Jürgen Kohler, Matthias Sammer, Kalle Riedle, um nur die deutschen Spieler zu nennen. Damals war unser Motto: „Erfolge sind da, um sie zu bestätigen.“ Wir hatten eine Mannschaft, die nie satt war. Und das erwarte ich auch von unserem jetzigen Team.
Frage: Hat der BVB auch solche Charaktere im aktuellen Kader?
Ricken: Wir haben ja einige Spieler, die zuletzt sehr klar formuliert haben, was ihre Ambitionen sind. Seien es Nico Schlotterbeck, Karim Adeyemi, Julian Ryerson oder Maxi Beier, um ein paar zu nennen.
Frage: Letztgenannter sagte zuletzt: „Unser Ziel ist: Wir wollen Meister werden.“ Trainer Niko Kovac fing diese Worte schnell ein. Sie auch?
Ricken: Ich finde das nicht verkehrt, wenn solche Ansprüche geäußert werden. Es hat ja folgende Auswirkung: Die Spieler nehmen sich selbst in die Verantwortung und müssen über die gesamte Saison meisterliche Leistungen bringen. Damit verhindert man genau das, was uns in der vergangenen Saison passiert ist: dass wir bis auf Platz elf abrutschen. Und dennoch war Nikos Einordnung verständlich, denn wir hatten vergangene Saison nun mal 25 Punkte Rückstand auf Platz eins.
Frage: Dann können ja auch Sie sagen: Wir wollen Meister werden!
Ricken: Wir sind maximal ambitioniert, und Spieler sind zu uns gekommen, um Titel zu gewinnen. Aber man kann sie nicht versprechen. Durch Reden hat noch keiner die Meisterschale in der Hand gehalten. Und mit Bayern München haben wir eine der besten Mannschaften im europäischen Fußball als Platzhirsch und größten Konkurrenten in der Liga.
Frage: Wie ist es zu erklären, dass der BVB auch in dieser Saison so stabil wirkt?
Ricken: Das hat mehrere Gründe. Zum einen haben wir unseren Kader im Sommer bewusst zusammengehalten und uns nur punktuell verstärkt. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Uns war wichtig, dass wir gut in die Saison starten und nicht von Anfang an wieder hinterherhecheln. Da half es Niko sehr, dass er über Monate seine Ideen an den Kern der Mannschaft vermitteln konnte.
Frage: Der zweite Grund?
Ricken: Die Fitness. Mit unserem Spielstil müssen wir den Anspruch haben, die fitteste Mannschaft zu sein. Die Daten haben sich extrem verbessert, schon während der vergangenen Saison. Unsere Umstellungen im Athletik Bereich tragen Früchte.
Frage: Nummer drei?
Ricken: Es war wichtig, den Verein zu vereinen. Gemeinsam am Ziel zu arbeiten. Rund um den BVB war es lange Zeit sehr unruhig. Und ich muss sagen: Niko hat sehr dazu beigetragen, dass es deutlich besser wurde. Wie er die Mannschaft führt. Und wie er in der Öffentlichkeit auftritt. Auch deshalb war es uns sehr wichtig, ihn zu stärken.
Frage: Sie sprechen die vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2027 an – die einige Kritiker als zu früh empfanden.
Ricken: Das war ja schon kurios. Zuerst wurde ich dafür kritisiert, dass ich ihn überhaupt verpflichtet habe. Nachdem er uns sensationell in die Champions League geführt hat, ging es auf einmal nicht schnell genug, dass ich den Vertrag mit ihm verlängere. Und nun soll es zu früh gewesen sein. Für mich war einfach wichtig, dass wir Klarheit haben. Und ich werde nicht mehr ständig gefragt: Was ist denn jetzt mit Nikos Vertrag? Und er hat es sich einfach auch verdient. Man muss einfach sagen: Niko liefert ab!
Frage: Nun steht das Top-Duell in der Liga an. Gucken Sie Bayern-Spiele eigentlich noch? Oder ist Ihnen das zu langweilig?
Ricken: Natürlich schaue ich mir die noch an. Ich bin ja nicht nur BVB-Verantwortlicher, sondern auch Fußball-Enthusiast.
Frage: Sind diese Bayern überhaupt zu stoppen?
Ricken: Es ist eine jahrzehntelange Arbeit, die gerade darin gipfelt, dass es in dieser Saison noch keine Mannschaft geschafft hat, Bayern auf Augenhöhe zu begegnen. Wir müssen zwei Dinge hinbekommen: Dass wir unsere Top-Leistung zeigen und Bayern daran hindern, ihre Top-Leistung zu zeigen. Dann haben wir eine Chance. Natürlich ist Bayern in dem Spiel Favorit, von David gegen Goliath will ich aber keinesfalls sprechen. Und wenn uns dabei jemand so bezeichnet, dann sind wir ein sehr kampfeslustiger David.
Frage: Das Verhältnis zwischen den beiden Klubs war nicht immer ganz harmonisch. Uli Hoeneß, der Bayern-Patron, und BVB-Boss Hans-Joachim Watzke duzen sich nicht einmal. Wie ist es zwischen Ihnen und Max Eberl?
Ricken: Ich habe im Jugendbereich gegen ihn gespielt. Halbfinale der deutschen A-Jugend-Meisterschaft. Bayern gegen Dortmund. Er war mein direkter Gegenspieler – und hat mich 90 Minuten in Manndeckung genommen. Was zur Folge hatte, dass wir beide die mit Abstand wenigsten Ballkontakte auf dem Platz hatten. Und bei der U21-Nationalmannschaft haben wir später zusammengespielt und haben uns einmal sogar ein Zimmer geteilt. Max ist ein sehr umgänglicher Typ, das sollte Ihre Frage beantworten.
Frage: Als Sport-Geschäftsführer nehmen Sie nun auch an den Bosse-Essen vor den Spielen gegen Bayern teil, richtig?
Ricken: Ich habe nun zwei Essen mit den Bayern-Verantwortlichen vor den Spielen erlebt. Das waren sehr launige Runden, was aber auch daran lag, dass die Bayern uns in der vergangenen Saison aufgrund unseres Abschneidens nicht als Rivalen wahrgenommen haben. Die Reibereien müssen wir uns wieder verdienen.
Frage: Ist es aus Ihrer Sicht das großartigste Spiel der Bundesliga?
Ricken: Definitiv. Und ich bin froh, dass es nun ein Duell zwischen dem Ersten und Zweiten ist. Das ist ein starkes Signal – vor allem auch ins Ausland. Man muss da ehrlich sein: International, in der Champions League, schultern Bayern und wir die große Last der Bundesliga. Kein anderer Verein steht so sehr für die Königsklasse wie diese beiden. Bei der Klub-WM waren wir gemeinsam vertreten. In den Sommerpausen sind in den vergangenen Jahren vorrangig wir es gewesen, die die Bundesliga mit Marketing-Reisen im Ausland vertreten haben. Und kein anderer Klub stellt so viele Nationalspieler wie wir ab. Da bin ich auch sehr froh, dass wir mit Bayern wieder den größten Block in der deutschen Nationalmannschaft stellen. Es ist ein Spitzenduell – nicht nur tabellarisch.
Frage: Welchen Stürmer finden Sie besser: Serhou Guirassy oder Bayerns Harry Kane?
Ricken: Kane ist mehr als ein herausragender Spieler. Aber Serhou ist das auch. Und: Für den vergleichsweise geringen Preis (18 Mio. Euro; d. Red.) den besten Torjäger der vergangenen Champions-League-Saison zu verpflichten, das passt eher zum BVB als ein Transfer wie Harry Kane. Das ist unsere DNA.
Frage: Seit Wochen wird über die Vertragsverlängerung von Nico Schlotterbeck spekuliert. Gibt es eine Gehalts-Schmerzgrenze oder gilt: Hauptsache, er bleibt!?
Ricken: Es ist sein absolutes Recht, seine Zukunft mit Bedacht zu planen. Das respektieren wir auch. Und ich bin der Meinung, dass dabei nicht das Gehalt im Vordergrund steht, sondern die Perspektive, das Vertrauen und die Überzeugung. Wir werden da nicht in Hektik verfallen. Aber natürlich wollen wir es nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ziehen, das ist auch allen bewusst.
Frage: Auch Karim Adeyemis Vertrag läuft 2027 aus. Ist es aus Ihrer Sicht vorstellbar, mit ihm in sein letztes Vertragsjahr zu gehen?
Ricken: Es gibt aktuell ja nicht wenige Leute, die sagen, dass Karim gerade so gut wie noch nie zuvor beim BVB performt. Er definiert sich nicht nur über Tore und Vorlagen, sondern arbeitet auch für die Mannschaft nach hinten. Seine Entwicklung ist bemerkenswert. Genauso wichtig ist es jetzt, dass er verletzungsfrei bleibt. Mit Niko hat er genau den richtigen Trainer, der das alles immer wieder einfordert. Klar ist: Wir wollen mit Karim langfristig zusammenarbeiten, daran arbeiten wir.
Frage: Würden Sie das Gittens-Angebot von Chelsea in Höhe von rund 60 Mio. Euro auch für Adeyemi annehmen?
Ricken: Wir wollen ihn nicht abgeben. Also: nein.
Frage: Ihr ehemaliger Kaderplaner Sven Mislintat hat zuletzt im Interview auch gegen Sie gestichelt, indem er sagte, dass die Kompetenzen nicht richtig verteilt gewesen seien. Stimmen Sie ihm zu?
Ricken: Sven ist ein guter Typ, ich habe seine herausfordernde Art gemocht. Und seine Expertise ist unbestritten. Aber wir müssen zugeben: In der Konstellation hat es nicht funktioniert. Und da ist es meine Aufgabe, schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir haben uns zu diesem Zeitpunkt ja von mehreren Mitarbeitern getrennt. Und ich habe große Zweifel, ob wir es ohne diese Entscheidungen noch in die Champions League geschafft hätten. Sven wird weiterhin Teil der BVB-Geschichte sein, mein Fokus muss jetzt auf dem Hier und Jetzt und auf der Zukunft liegen.
Frage: „Bild“ berichtete jüngst über eine Missbrauchsaffäre beim BVB. Einem ehemaligen Mitarbeiter werden schwere Vorwürfe zur Last gelegt. Wie sehr haben Sie diese Vorwürfe schockiert?
Ricken: Die Vorwürfe haben den gesamten Verein massiv erschüttert. Wir möchten alle mutmaßlich Betroffenen bestmöglich unterstützen und haben entsprechend gehandelt und eine externe Prüfungsgesellschaft mit der Aufarbeitung aller Hinweise und Vorfälle beauftragt. Für alle mutmaßlich Betroffenen wurde zudem ein Hinweisgebersystem auf der Homepage des BVB eingerichtet. Wir verurteilen jede Form von sexualisierten Übergriffen, so etwas hat weder beim BVB noch in der Gesellschaft etwas verloren. Der Verein wird die Aufarbeitung mit allen vorhandenen Mitteln, Dokumenten und Zugängen vollumfänglich unterstützen.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
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