Der VfB Stuttgart gehört seit geraumer Zeit wieder zu den Spitzenklubs der Bundesliga. Das ist insbesondere auch ein Verdienst von Sebastian Hoeneß (43). Der Trainer führte den schwäbischen Traditionsverein zu neuen Erfolgen wie der Teilnahme an der Champions League oder dem DFB-Pokalsieg im vergangenen Jahr. Auch in dieser Spielzeit mischt der VfB trotz abermals prominenter Verkäufe wie Nick Woltemade oder Enzo Millot wieder oben mit.
Frage: Herr Hoeneß, gefühlt läuft es aktuell noch nicht komplett rund. Trotzdem steht Ihre Mannschaft auf Platz vier. Was ist diese Saison drin, wenn der VfB auch noch gut drauf ist?
Sebastian Hoeneß: Ich nehme auch wahr, dass bei einigen Beobachtern das Gefühl vorherrscht, dass bei uns noch nicht alles läuft. Das ist zwar kein komplett falscher Eindruck, weil wir am Anfang der Saison stehen und es im Sommer bedeutende Veränderungen im Kader gab. Deswegen kann noch nicht alles rund laufen. Dennoch würde ich bei der Beschreibung unserer aktuellen Situation in eine andere Richtung gehen: Wir stehen auf Platz vier, haben drei Heimspiele ohne Gegentor gewonnen. Es läuft also schon einiges gut bei uns.
Frage: Trotzdem gab es beim letzten Heimspiel zur Pause Pfiffe. Finden Sie die Erwartungshaltung unfair?
Hoeneß: Überhöhte Erwartungshaltungen gibt es im Fußball immer wieder. Es ist deshalb wichtig herauszustellen, wo der VfB herkommt. Wir standen vor nicht allzu langer Zeit mit einem Bein in der Zweiten Liga, jetzt spielen wir das zweite Jahr in Folge international und stehen aktuell in der Liga auf Platz vier. Vor drei Jahren hätte man von so einer Situation nicht zu träumen gewagt.
Frage: Die Veränderungen im Sommer wurden bereits angesprochen. Nach dem Woltemade-Wechsel und dem geplatzten Transfer des Südkoreaners Hyeon-gyu Oh soll es interne Debatten gegeben haben, ob ein Mittelstürmer im Kader fehlt. Wurden durch die Verletzungen von Undav und Demirovic ihre Befürchtungen schon bestätigt?
Hoeneß: Es geht nicht darum, ob sich meine Befürchtungen bestätigt haben. Wir alle wussten, dass wir durch den Verkauf von Nick und dem nicht zustande gekommenen Oh-Transfer ein Risiko eingehen. Die Hoffnung war groß, dass Medo (Ermedin Demirovic; d. Red.) stabil durch die Saison kommt, so wie das in den letzten Jahren der Fall war. Verletzungen sind aber leider Teil des Leistungssports.
Frage: Und jetzt?
Hoeneß: Medo ist der einzige echte Mittelstürmer im Kader. Für uns bedeutet das, dass wir als Trainer-Team mit den Spielern an Lösungen arbeiten müssen. Das haben wir aufgrund der Vielzahl an Spielen auch schon vor Medos Ausfall getan, jetzt ist die Aufgabe aber natürlich noch mal deutlich anspruchsvoller.
Frage: War das eingegangene Risiko denn abgesprochen?
Hoeneß: Ich habe immer gesagt, dass ich den Verkauf von Nick aufgrund der wirtschaftlichen Dimensionen nachvollziehen konnte. Aber ich bin kein Bankdirektor, sondern Trainer. Da steht natürlich die sportliche Qualität des Kaders im Vordergrund. Es war klar, dass wir durch Nicks Verkauf viel Qualität verlieren, zumal sein Stürmer-Profil so besonders ist. Wir haben alle die Notwendigkeit gesehen, Ersatz für Nick zu verpflichten, der Transfer konnte zu diesem späten Zeitpunkt aus den bekannten Gründen aber leider nicht realisiert werden.
Frage: Sie haben zumindest Badredine Bouanani und Bilal El Khannouss bekommen .
Hoeneß: Mit ihnen haben wir zwei spannende Mittelfeld-Spieler geholt, die ihr Potenzial schon gezeigt haben. Beide wurden spät verpflichtet, und ich bin sehr zuversichtlich, dass im Laufe der Zeit ihre Bindung zum Spiel noch besser wird und entsprechende Automatismen entstehen.
Frage: Kurz vor Transferschluss war klar, dass Sie keinen neuen Stürmer bekommen. War das für Sie zufriedenstellend?
Hoeneß: Dazu habe ich mich zum damaligen Zeitpunkt ausführlich geäußert. Jetzt geht es darum, die Situation anzunehmen und nach vorne gerichtet Lösungen zu finden.
Frage: Wie wollen Sie den Demirovic-Ausfall jetzt auffangen?
Hoeneß: Mit den Offensivspielern, die wir haben. Das werden wir durch taktische Anpassungen versuchen oder auch dadurch, dass wir Spieler im Training in andere Positionen bringen, um sie auf die Spiele vorzubereiten.
Frage: Ist Silas Katompa Mvumpa dafür eine Option?
Hoeneß: Silas war in der vergangenen Saison verliehen und dann längere Zeit verletzt. Jetzt ist er auf dem Weg zurück. Wenn er wieder komplett fit ist, kann er uns helfen.
Frage: Ist Deniz Undav bereits in der Verfassung, Demirovic nach der Länderspielpause Spiel für Spiel ersetzen zu können?
Hoeneß: Deniz kommt aus einer fünfwöchigen Verletzungspause. Ihn von null auf hundert zu belasten, wäre unverantwortlich. Da müssen und werden wir behutsam vorgehen.
Frage: Anders als im Sturm haben Sie im Mittelfeld mit Atakan Karazor, Angelo Stiller und Chema Andrés ein echtes Luxusproblem. Wie moderieren sie das?
Hoeneß: Da gibt es nicht besonders viel zu moderieren. Wir haben viele Spiele und entsprechend viel Spielzeit zu verteilen. Nichtsdestotrotz gibt es eine gewisse Konkurrenzsituation, wie wir sie in den letzten zwei Jahren auf dieser Position so vielleicht nicht hatten.
Frage: Karazor ist für die Türkei auf Länderspielreise und steht vor seinem Debüt. Ausgerechnet jetzt, wo er beim VfB seinen festen Stammplatz an Andrés verloren hat. Überraschend für Sie?
Hoeneß: Ata hat in den vergangenen Jahren sehr gute Leistungen gezeigt. Leistungen, die ihn für den Kreis einer Nationalmannschaft qualifizieren. Ich wünsche Ata, dass er für die Türkei zum Einsatz bekommt.
Frage: Angelo Stiller ging verletzt ins Pokalfinale, verletzte sich dann in der Vorbereitung – und hat trotzdem fast immer durchgespielt. Zuletzt wirkte er etwas ausgepowert und stand in der Kritik.
Hoeneß: Ange hat durch außergewöhnliche Leistungen die Messlatte sehr hochgelegt. Damit werden nun in der Öffentlichkeit gewisse Ansprüche verbunden. So kritisch, wie seine jüngsten Leistungen teilweise gesehen wurden, habe ich sie nicht gesehen. Wir sprechen über einen Spieler, der zum Ende der letzten Saison verletzt war, alles dafür getan hatte, im Pokalfinale auf dem Platz zu stehen und dann in Berlin auf sehr hohem Niveau gespielt hat. Nach einem guten Start in die Vorbereitung auf die neue Saison wurde er wieder von einer Verletzung gestoppt. Unter dem Strich sprechen wir von drei bis vier Wochen, in denen die Leistungen vielleicht nicht so waren, wie in den vergangenen Jahren. Man hat zuletzt nach seiner Einwechslung im Spiel gegen Heidenheim gesehen, wie elementar wichtig Ange für unser Spiel ist.
Frage: Es ist ja gerade Länderspielwoche: Wie zufrieden sind Sie mit der deutschen Nationalmannschaft?
Hoeneß: Ich bin natürlich ein absoluter Supporter der Nationalmannschaft und hoffe auf eine starke WM, am besten mit mehreren VfB-Spielern.
Frage: Es waren mal sechs, jetzt sind nur noch drei VfB-Spieler für Deutschland nominiert. Viele konnten beispielsweise die Nicht-Nominierung von Maxi Mittelstädt nicht nachvollziehen.
Hoeneß: Ich habe ja schon gesagt, dass ich mich darüber gewundert habe. Aber Julian Nagelsmann hat so entschieden, und Maxi hat die Nicht-Nominierung so genommen, wie man das nehmen muss, nämlich als Ansporn, weiter Gas zu geben. Ich bin von Maxi total überzeugt und glaube, dass seine Qualitäten bei einem WM-Turnier gebraucht werden.
Frage: Erste Saison Klassenerhalt, dann Vizemeister, dann Pokalsieger. Wie wollen Sie diesen Aufstieg beim VfB eigentlich noch toppen?
Hoeneß: Wir haben diese Erfolge in den letzten Jahren erreicht, ohne im Vorfeld viel über Ziele zu sprechen. So wollen wir das auch weiter handhaben. Wenn man den Fokus auf die jeweils nächste Aufgabe richtet, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass besondere Dinge entstehen. Für den VfB ist es nach wie vor nicht selbstverständlich, oben dabei zu sein.
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in BILD AM SONNTAG veröffentlicht.
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