Für gute Sprüche war er in seiner Amtszeit ab und an zu haben. „Wenn ich übers Wasser laufe“, sagte der frühere Bundestrainer Berti Vogts einmal, „dann sagen meine Kritiker: Und schwimmen kann er auch nicht.“ Der mittlerweile 78-Jährige war von 1990 bis 1998 Nationaltrainer – und damit einer der elf Vorgänger von Julian Nagelsmann, der seit zwei Jahren den wichtigsten Trainerjob im deutschen Fußball innehat. Vogts, der 1996 mit Deutschland den EM-Titel gewann, sagte aber auch mal Folgendes: „Es gibt keine Kleinen mehr.“

Mit dem Satz bezog er sich in seiner Amtszeit auf Gegner, die ob ihrer fußballerischen Qualität leicht zu besiegen schienen, die man aber nach Auffassung von Vogts bloß nicht unterschätzen sollte. Für den Satz wurde er oft belächelt.

Am Freitagabend, wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Qualifikation für die WM 2026 in Sinzheim gastiert (20.45 Uhr/ARD), ist der Gegner mit dem Weltranglisten-96. Luxemburg auch einer, der vermeintlich locker zu bezwingen sein müsste. Nur wer weiß das schon in Zeiten wie diesen, in denen die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes große Schwächen offenbart, wie im September, als sie einen Fehlstart in der WM-Qualifikation hinlegte. Sie verlor 0:2 in der Slowakei und mühte sich dann zu einem 3:1 gegen Nordirland.

Kritik der Kroos-Brüder

In Sinsheim, wo der heute 38 Jahre alte Nagelsmann im Februar 2016 bei der TSG 1899 Hoffenheim als jüngster Bundesliga-Coach durchstartete, möchte die Nationalelf Zweifel an ihr ausräumen. Sie will wieder Stärke zeigen, Dominanz – und mit gutem Fußball versuchen, den Anhang zu besänftigen, der zuletzt die schwachen Darbietungen mit Pfiffen quittiert hatte.

Die Kritik, die vor, während und unmittelbar nach der Heim-EM im vergangenen Jahr verstummt war, hat wieder zugenommen. Experten melden sich verstärkt zu Wort. Mit deutlichen Worten, aber auch mit Ratschlägen. So ließ Matthias Sammer, Europameister von 1996, bei Sky wissen, dass Julian Nagelsmann „nach der richtigen Lösung und Stabilität für unsere Mannschaft“ suche: „Und die geht erst mal über Kontinuität und Vertrauen. Gib dieser Mannschaft diese Dinge. Ich kenne sehr viele dieser Spieler. Wir haben immer noch genug Qualitäten. Ich weiß nicht, ob wir den Titel holen können, aber in der Slowakei zu verlieren, macht keinen Sinn.“

Felix Kroos hatte vor wenigen Wochen im Podcast „Einfach mal Luppen“, den er mit seinem Bruder Toni aufzeichnet, gesagt, es sei kein gutes Zeichen, wie einfach es aktuell wäre, Nationalspieler zu werden. „Wenn ich in den Kader rein sehe, bezweifle ich auch, dass du alle Spieler kanntest, die dabei waren. Gehe ich richtig in der Annahme?“, hatte er zu seinem Bruder gesagt – und der hatte entgegnet: „Da hast du einen Punkt. Kann man mir das vorwerfen?“

Bierhoff fragt, in welchen Vereinen die Profis spielen

Oliver Bierhoff findet, dass die Nationalmannschaft durch ihre Geschlossenheit, ihren Elan, ihrer Spielfreude und der Unterstützung des Publikums bei der EM im vergangenen Jahr ihr Maximum herausgeholt habe.

„Insgesamt aber muss man festhalten“, sagt der ehemalige DFB-Direktor Bierhoff gegenüber WELT: „Dass weniger Qualität vorhanden ist, als wir glauben zu haben. Aber das war auch schon 2016 der Fall. Um das zu erkennen, muss man kein Experte sein. Man muss einfach sehen, in welchen Vereinen die Spieler unter Vertrag stehen und wie viele internationale Spiele jeder von ihnen schon absolviert hat. Es ist ein Unterschied, ob du mal sechs Monate gut in der Bundesliga performst, was kein Kriterium für internationale Klasse ist, oder ob du regelmäßig auf dem internationalen Parkett gefordert bist.“

Nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2022 in Katar hatte sich der DFB von Bierhoff getrennt. Der langjährige Stürmer, der im EM-Finale 1996 das „Golden Goal“ beim 2:1 gegen Tschechien erzielt hatte, gründete im vergangenen Jahr die FINVIA Sports GmbH, die Sportler bei Investments und Finanzfragen berät.

Mit Blick auf die deutsche Nationalmannschaft und ihre schwankende Form verweist Bierhoff aber auch auf ein Problem: „Dadurch, dass es in den vergangenen Monaten viele Wechsel auf der einen oder anderen Position gegeben hat, – natürlich vereinzelt auch verletzungsbedingt – ist es schwer, sich als Mannschaft einzuspielen und damit zu finden. Wenn Spieler wie Wirtz, Musiala, Havertz, Tah oder Schlotterbeck mal ausfallen, gibt es zwar Spieler in der Hinterhand. Doch wenn ich das mal mit der Mannschaft von 2014 vergleiche, fehlt es uns heute an viel mehr Persönlichkeiten und eben auch an Qualität.“

Bierhoff setzt auf Woltemade

Was die WM angeht, ergänzte Bierhoff, „bleibt aber die Hoffnung, dass der eine oder andere Spieler sich weiter steigert und entwickelt. Nick Woltemade beispielsweise. Er hatte nicht den besten Einstand in der Nationalmannschaft, dafür aber einen guten Start in England. Zudem wird es wichtig, dass alle Spieler fit sind. Sonst wird es schwer in Spielen gegen die Top-Nationen“.

Luxemburg gehört zumindest nicht in diese Kategorie. Und dennoch bleibt die Frage, ob es der deutschen Auswahl gelingt, ein Statement zu setzen.

52 Spieler hat Bundestrainer Nagelsmann in 25 Länderspielen bislang eingesetzt, darunter 19 Debütanten. Zehn von den 19 zählen auch zum aktuellen DFB-Kader. Trotzdem bleibt Nagelsmann, dessen Punkteschnitt von 1,8 nur von Vorgänger Hans-Dieter Flick (1,72) und dem früheren Teamchef Erich Ribbeck (1,5) unterboten wird, ein Suchender – in Bezug auf das Spielsystem und auch die Fixpunkte in seinem Team, was durch die Verletzungen einiger Stars erschwert wird.

Kai Havertz etwa wird 2025 kein Länderspiel mehr bestreiten. Jamal Musiala hat sich bei der Klub-WM im Sommer schwer am Bein verletzt. Marc-André ter Stegen, als WM-Torwart vorgesehen, fehlte erst monatelang nach einem Patellasehnenriss und aktuell wegen einer Rücken-Operation. Niclas Füllkrug stoppten ebenfalls mehrere Blessuren. Nun hat der Coach den Stürmer von West Ham United nicht mehr nominiert. Der Gladbacher Mittelstürmer Tim Kleindienst fehlt wegen einer Knieverletzung, auch Vize-Kapitän Antonio Rüdiger fällt in der Abwehr aus.

Schlotterbeck ist zurück in der Abwehr

Immerhin ist Nico Schlotterbeck, als feste Größe in der Verteidigung vorgesehen, wieder fit. Er wird am Freitag neben Jonathan Tah und Waldemar Anton in der Verteidigung spielen. Im Mittelfeld ist Joshua Kimmich als Kapitän gesetzt – in der Offensive dürften Florian Wirtz, Serge Gnabry und Nick Woltemade die Fixpunkte sein. Letzterer war zuletzt aber krank.

Beim WM-Titel 2014 in Brasilien hätte Deutschland „viele Säulen“ gehabt, hatte der Bundestrainer vor wenigen Wochen erst gesagt. „Bei uns waren und sind viele Säulen verletzt.“ Trotzdem wolle er nicht „jammern“, fügte der Coach an, der von höchsten WM-Zielen vorerst nicht mehr sprechen mag. Es dürfte eine große Erkenntnis aus den Spielen im September gewesen sein, dies erst einmal nicht mehr zu tun. „Wir wollen mehr ins Machen kommen und weniger ins Reden“, hatte Nagelsmann vor der Nominierung des aktuellen Kaders gesagt.

Während Anhänger und Experten das Wirken des Bundestrainers bisweilen mit Skepsis beobachten, genießt er im Verband Rückendeckung. Regelmäßig bezeichnet Sportdirektor Rudi Völler Nagelsmann als „Glücksfall“ für den DFB. In den anstehenden Spielen gegen Luxemburg und Montag in Belfast gegen Nordirland gehe es nicht darum, „schön oder spektakulär zu spielen“, mahnte Völler. Es gehe darum, „wach zu sein und besser zu spielen“. Völler musste 2001 als Teamchef in die WM-Play-offs gegen die Ukraine (0:0/4:1) und weiß, wie groß der Druck dann wäre, sollte die deutsche Nationalmannschaft erneut stolpern.

Um das zu vermeiden, wurde in den vergangenen Tagen intensiv gearbeitet. Nach Fotoaufnahmen für Werbepartner am Montag ging es ab Dienstag ins Training. Die Einheiten dauerten bis zu zwei Stunden. Der eine oder andere Spieler legte auch eine Extra-Schicht ein. Florian Wirtz etwa, der nach seinem 130-Millionen-Euro Wechsel beim FC Liverpool bisher nicht so gut zurechtkommt, machte Torschusstraining und ging zudem in den Kraftraum.

Zwölf der bislang 13 Spiele gegen Luxemburg konnte die deutsche Nationalmannschaft für sich entscheiden. Der einzige Sieg Luxemburgs datiert vom 26. März 1939. In Differdingen unterlag Deutschland 1:2.

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